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Mitbestimmung Betriebsrat – Vertragsstrafe

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.01.2010, 1 ABR 62/08 NZA 2010, 592.

Vergleiche in arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren; Zahlung eines Betrages an eine gemeinnützige Einrichtung: Eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, wonach der Arbeitgeber bei der Verletzung von Mitbestimmungsrechten an einen Dritten eine Vertragsstrafe zu zahlen hat, ist unwirksam.

In seiner Entscheidung vom 19.01.2010 hat das Bundesarbeitsgericht eine Entscheidung getroffen, die die Arbeit von Betriebs- und Gesamtbetriebsräten nicht gerade erleichtert.

Sachverhalt:

Der Arbeitgeber hatte im Rahmen von Versetzungen gegen die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach § 99 BetrVG verstoßen. Vor dem Arbeitsgericht verglichen sich die Parteien dahin gehend, dass sich die Arbeitgeberin in Ziff. 1 des Vergleichs verpflichtete, im Rahmen von Einstellungen und Versetzungen ein bestimmtes Verfahren einzuhalten, und in Ziff. 2 des Vergleichs für jeden Fall der Zuwiderhandlung der Verpflichtung in Ziffer 1. – bezogen auf jeden Verstoß im Rahmen einer Einstellung und Versetzung im Sinne des § 99 Abs. 1 BetrVG -, ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000,00 Euro an den DRK-Kreisverband H zu zahlen, soweit die Verstöße nach dem 01.04.2006 eintraten.

Urteil zur Vertragsstrafe bei Verletzung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates

Das Bundesarbeitsgericht urteilte, dass die vereinbarte Vertragsstrafe zugunsten des Deutschen Roten Kreuzes für den Fall der Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats aus § 99 BetrVG bei Einstellungen und Versetzungen nicht mit den Grundsätzen des Betriebsverfassungsrechtes vereinbar ist.

Das Bundesarbeitsgericht urteilt:

Nach Auffassung des BAG ziele das Vertragsstrafeversprechen nicht auf die Wiederherstellung eines betriebsverfassungsgemäßen Zustands ab, sondern habe reinen Strafcharakter. Es sei nicht darauf gerichtet, einen betriebsverfassungswidrigen Zustand zu beseitigen. Es werde als Strafe einmal fällig, während das Zwangsgeld nach § 101 Satz 3 BetrVG für jeden Tag der Zuwiderhandlung mit dem Ziel festgesetzt wird, den Arbeitgeber anzuhalten, die mitbestimmungswidrig durchgeführte personelle Maßnahme jedenfalls für die Zukunft aufzuheben.

Darüber hinaus führe ein Vertragsstrafeversprechen der vorliegenden Art typischerweise dazu, dass sich der Betriebsrat bei einem mitbestimmungswidrigen Verhalten des Arbeitgebers mit der Geltendmachung der Vertragsstrafe begnügt und von der Einleitung eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens zur Beseitigung des betriebsverfassungswidrigen Zustands und Wiederherstellung der betriebsverfassungsgemäßen Ordnung absieht. Denn eine solche Abrede bezwecke, die betriebsverfassungsrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten zu beschränken und nicht zu erweitern.

Damit und wegen der vereinbarungsgemäß begrenzten Höhe des Ordnungsgeldes wird betriebsverfassungswidriges Verhalten für den Arbeitgeber finanziell kalkulierbar. Er könne in den Angelegenheiten, die Gegenstand des Vertragsstrafeversprechens sind, von der Beteiligung des Betriebsrats gegen Zahlung der vereinbarten Strafe absehen. Das käme einem „Abkauf“ gesetzlicher Rechte gleich und sei mit der gesetzlichen Konzeption der betrieblichen Mitbestimmung auch dann schlechterdings unvereinbar, wenn der Betriebsrat keinen finanziellen Vorteil aus der Verwirkung der Vertragsstrafe zu erwarten hat. Schließlich sei das Sanktionensystem des Betriebsverfassungsgesetzes nicht darauf gerichtet, Dritte zu unterstützen, mögen sie auch wohltätige Zwecke verfolgen BAG, a.a.O..

Wertung:

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts erschwert in der betrieblichen Praxis den Umgang der Betriebsparteien erheblich. Mir erschließt sich nicht, wie das Bundesarbeitsgericht zu der Wertung kommt, bei Abschluss eines Vertragsstrafeversprechens sei dem Betriebsrat nicht an der Wiederherstellung der gesetzlichen Ordnung gelegen.

Aus meiner Erfahrung ist das Gegenteil der Fall. Die konkrete Verpflichtung zur Zahlung einer Vertragsstrafe, die ggf. einzelne Budgets von Abteilungen in Betrieben konkret belastet, führt vielmehr unmittelbar zum gewünschten Erfolg, nämlich zur Einhaltung der gesetzlichen Verpflichtungen durch den Arbeitgeber. Sicherlich gibt es hier Ausnahmen. Aber durch die Möglichkeit der Kündigung auch solcher Vereinbarungen kann der Betriebsrat jederzeit auch erneut den Weg zum Arbeitsgericht beschreiten und einen Titel nach § 23 Abs. 3 BetrVG erstreiten.

Die Existenz eines derartigen Titels nach § 23 Abs. 3 BetrVG stellt aber intern eine wesentlich größere Belastung für das Miteinander der Betriebsparteien dar als das bloße Vertragsstrafeversprechen. Ein gerichtlicher Titel gegen den Arbeitgeber wird seitens der Arbeitgeber regelmäßig als massiver Vertrauensbruch empfunden.

Arbeitgeber scheuen sich aus meiner Erfahrung auch nicht, genau dies den Betriebsräten vorzuhalten. Das mag zwar nicht logisch klingen, verhält sich aber in der betrieblichen Realität durchaus so. Wenn also Betriebsräte keine Vergleiche mehr abschließen können, wie den hier vorliegenden, werden sie sich dreimal mehr überlegen, ob sie überhaupt den Weg zum Gericht gehen wollen. Die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung wiederherzustellen, wird so erschwert und nicht erleichtert. Daher hat das Bundesarbeitsgericht der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung eher einen Bärendienst erwiesen.