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Betriebsbedingte Kündigung – sozial ungerechtfertigt

Betriebsbedingte Kündigung unwirksam, weil sozial ungerechtfertigt

Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 24.05.2012, 1 Sa 661/11

Ein Krankenpfleger, der auf einer Intensivstation arbeitete, wurde über eine anstehende betriebsbedingte Kündigung informiert. Daraufhin suchte der Krankenpfleger eine neue Arbeitsstelle und wollte einen Aufhebungsvertrag abschließen. Der Aufhebungsvertrag wurde von der Arbeitgeberin abgelehnt, das neue Arbeitsverhältnis konnte nicht angetreten werden. Die Kündigung durch die Arbeitgeberin erfolgte dennoch.

In der Kündigungsklage argumentiert der Krankenpfleger die Kündigung sei treuwidrig. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses wurde abgelehnt, um kurz darauf eine Kündigung auszusprechen. Dem Krankenpfleger wurde die Möglichkeit genommen, ein neues Arbeitsverhältnis zu begründen. Damit verstoße die Arbeitgeberin gegen Treu und Glauben.

Die Kündigung sei auch nicht sozial gerechtfertigt, weil ein betrieblicher Grund für die Kündigung nicht ausreichend dargelegt wurde. Es sei nicht nachvollziehbar, welche Arbeitsplätze am Standort tatsächlich wegfallen. Der Arbeitsort des Krankenpflegers sei jedenfalls nicht davon betroffen.

Basis für die betriebsbedingte Kündigung war die unternehmerische Entscheidung für einen neuen Stellenplan, der den Wegfall von Stellen für die Berufsgruppe der Pflege- und Funktionsdienste vorsah. Die meisten Stellen konnten durch Eigenkündigungen, Wechsel in andere Gesellschaften, Frühverrentungen und Arbeitszeitverkürzungen abgebaut werden. Für 14 verbleibende Stellen sah die Arbeitgeberin betriebsbedingte Kündigungen als Mittel der Wahl, um den geforderten Arbeitsplatzabbau zu erreichen.

Das Sächsische Landesarbeitsgericht erklärte die Kündigung des Krankenpflegers für sozial ungerechtfertigt und somit unwirksam.

Das Sächsische Landesarbeitsgericht führt aus:

Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt, denn sie ist nach § 1 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 KSchG nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb der Beklagten entgegenstehen, bedingt.

Die Arbeitgeberin konnte nicht darlegen, wie viele Beschäftigte in den acht Stationen und Bereichen beschäftigt gewesen seien und weshalb die Umsetzung der geplanten unternehmerischen Maßnahme zum Wegfall von bis zu 70 Vollzeitarbeitsplätzen führe. Es wurde auch nicht dargelegt, ob und in welchem Umfang ein zusätzlicher Personalbedarf in der neu eröffneten ambulanten Dialyse in Riesa entstanden und für die Kündigungsentscheidung berücksichtigt wurde. Schon aus diesen Gründen ist ein betriebsbedingter Kündigungsgrund nicht hinreichend dargelegt.

Die Kündigung ist auch wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) unwirksam.

Der § 242 BGB kommt neben § 1 KSchG zur Anwendung, wenn die Kündigung aus Gründen, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind, Treu und Glauben verletzt. Die typischen Tatbestände der treuwidrigen Kündigung sind insbesondere widersprüchliches Verhalten oder Ausspruch der Kündigung in verletzender Form oder zur Unzeit. Ein solches widersprüchliches Verhalten kann rechtsmissbräuchlich und somit unzulässig sein, wenn der Kündigende sich damit in unvereinbaren Gegensatz zu seinem früheren Verhalten setzt.

Der Krankenpfleger konnte anhand der betrieblichen Situation davon ausgehen, dass es im Interesse der Arbeitgeberin liegt, wenn er sich eine neue Arbeitsstelle sucht und zum Zeitpunkt der beabsichtigten Betriebsteilschließung aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Die Kontaktaufnahme zum neuen potenziellen Arbeitgeber fand statt, nachdem die Arbeitgeberin von der beabsichtigten Kündigung informierte.

Das LAG erläutert weiter:

Die Ankündigung des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis beenden zu wollen, gleichzeitig aber den vom zu kündigenden Arbeitnehmer angebotenen Auflösungsvertrag unter Abkürzung der Kündigungsfrist abzulehnen, bedeutet jedenfalls dann ein nicht mehr hinnehmbares widersprüchliches Verhalten, wenn der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist überhaupt keine Verwendung mehr hat..

Der Krankenpfleger durfte auf eine Weiterbeschäftigung nach dem beabsichtigten Kündigungstermin vertrauen, da die Arbeitgeberin sein freiwilliges Angebot, aus dem Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der beabsichtigten Betriebsteilschließung auszuscheiden, ablehnte.

Die Arbeitgeberin wurde vom LAG verpflichtet, den Krankenpfleger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiter zu beschäftigen.