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Unangemessene Drohung mit außerordentlicher Kündigung widerrechtlich

Widerrechtliche Drohung mit außerordentlicher Kündigung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.10.2016, Aktenzeichen 11 Sa 114/16

Ist die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung nicht angemessen, so ist die Drohung widerrechtlich.

Ein befristet beschäftigter Mitarbeiter war gemeinsam mit einem Fremdmitarbeiter nach dem 4-Augenprinzip unter anderem für den Schließdienst in einem Warenhaus eingesetzt. Beim Fremdmitarbeiter wurde durch eine Leibesvisitation festgestellt, dass er nach Dienstschluss beim Verlassen der Geschäftsräume ein Stück Sülze ohne Bezahlen an sich genommen hatte. Der Fremdmitarbeiter gestand, bereits in den drei vorhergehenden Wochen Diebstähle begangen zu haben.

Der Schließdienstmitarbeiter bestritt zunächst, den Kameraraum am Tage des Diebstahls betreten zu haben. Sein späterer Vortrag, er habe nachschauen wollen, ob die Monitore noch eingeschaltet sind,
habe aus Sicht der Arbeitgeberin nicht überzeugend gewirkt. Nachdem die Arbeitgeberin eine außerordentliche Kündigung androhte, unterzeichnete der Schließdienstmitarbeiter einen Aufhebungsvertrag.

Vor dem Arbeitsgericht machte der Schließdienstmitarbeiter zunächst das Fortbestehen seines Arbeitsverhältnisses gelten. In einer Klageerweiterung wandte er sich gegen die Wirksamkeit der Befristung seines Arbeitsverhältnisses.

Das Arbeitsgericht stellte fest, der Aufhebungsvertrag habe das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Wegen des unzureichenden Verdachtes habe die Arbeitgeberin eine außerordentliche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen dürfen. Ihr Verdacht habe sich auf eine unzureichend aufgeklärte Sachlage sowie unzulässige Auswertung von Videomaterial gestützt. Die Befristung des Arbeitsverhältnisses sei hingegen wirksam. Die Arbeitgeberin hätte nicht davon ausgehen können, dass der zu vertretende Mitarbeiter nicht wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt.    

 Gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes legte der Schließdienstmitarbeiter Berufung ein. Der zu vertretende Mitarbeiter habe definitiv gegenüber der Arbeitgeberin erklärt, seine Arbeit als Haustechniker nicht wieder aufzunehmen. Seine Anwesenheit im Monitorraum erkläre sich aus seinen Kontrollbefugnissen. Die Videoaufzeichnungen hätten kein belastendes Material enthalten. Es beantragte festzustellen, das Arbeitsverhältnis habe nicht aufgrund der Befristung geendet, es bestehe als unbefristetes Arbeitsverhältnis fort.

Die Arbeitgeberin legte dar, es gebe keine verbindliche Erklärung des vertretenen Mitarbeiters, nicht zurückkehren zu wollen. Der Vorgesetzte des Fremdmitarbeiters sei intensiv befragt worden. Der Vorgesetzte habe festgestellt, dass Kameras in der Lebensmittelabteilung verstellt gewesen seien. Gewisse Bereiche wären daraufhin nicht mehr einsehbar gewesen. Die Kameraanlage sei bei Dienstschluss komplett heruntergefahren und danach wieder hochgefahren und die Kameraeinstellungen verändert worden. Der Schließdienstmitarbeiter habe eingeräumt, das Betreten des Kameraraumes sei ihm nicht gestattet und er könne nachvollziehen, dass die Arbeitgeberin kein Vertrauen mehr zu ihm habe. Als verständige Arbeitgeberin habe sie die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erwägen dürfen.

Das LAG (Landesarbeitsgericht) befand, die Anschlussberufung der Arbeitgeberin sei unbegründet. Das Arbeitsgericht habe zutreffend erkannt, das Arbeitsverhältnis sei nicht durch den Auflösungsvertrag beendet worden. Die Androhung, das Arbeitsverhältnis mit einer außerordentlichen Kündigung beenden zu wollen, stelle eine widerrechtliche Drohung im Sinne von § 123 Absatz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) dar.

Die Drohung der außerordentlichen Kündigung ist widerrechtlich, wenn Mittel und Zweck nicht im angemessenen Verhältnis zueinanderstehen.

Bereits der Verdacht einer schweren arbeitsvertraglichen Verfehlung könne einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Absatz 1 BGB zur außerordentlichen Kündigung darstellen, falls sich der Verdacht auf objektive Tatsachen stütze, die Verdachtsmomente geeignet seien das für das Arbeitsverhältnis notwendige Vertrauen zu zerstören und die Arbeitgeberin alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen habe, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme einräumte.

Die den Verdacht begründenden Umstände dürften nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch Umstände erklärbar sein, die eine außerordentliche Kündigung nicht rechtfertigen könnten. Auf mehr oder weniger haltbare Vermutung gestützte Verdächtigungen genügten nicht zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts.

Wenn die Arbeitgeberin unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls davon ausgehen müsse, die angedrohte Kündigung werde im Falle ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, dürfe sie die außerordentliche Kündigungserklärung nicht in Aussicht stellen, um damit den Arbeitnehmer zum Abschluss einer Beendigungsvereinbarung zu veranlassen.

Die Arbeitgeberin habe keinen Sachverhalt vorgetragen, der annehmen ließe, die außerordentliche Kündigung werde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einer gerichtlichen Prüfung standhalten. Es lagen keine ausreichenden Tatsachen vor, die einen dringenden Tatverdacht gegen den Schließdienstmitarbeiter bestätigten. Unter Würdigung aller Umstände hätte der Arbeitgeberin klar sein müssen, dass lediglich ein Anfangsverdacht bestand, der erheblich von der Verdachtsschwelle eines dringenden Tatverdachts entfernt war.

Es wurde nicht dargelegt, welche konkreten Kameramanipulationen vorgenommen wurden. Ein konkreter Zusammenhang mit der Entwendung der Sülze sei nicht erkennbar. Wegen der unzureichenden Sachaufklärung der Arbeitgeberin hätten keine ausreichenden Tatsachen vorgelegen, die zumindest einen dringenden Tatverdacht bezüglich der Beteiligung an den vom Fremdmitarbeiter begangenen Vermögensdelikten begründen könnten. Wann welche Kamera in der Ausrichtung geändert wurde, bliebe offen. Die Arbeitgeberin habe nicht einmal den Versuch unternommen, den Fremdmitarbeiter persönlich zu befragen. Die zeitliche Abfolge zum Abschalten und Hochfahren der Kameras sei nicht plausibel dem Tathergang zuzuordnen.

Das anfängliche Leugnen des Schließdienstmitarbeiters sei durchaus verdachtserhärtend. Es könnte sich aber auch um eine Schutzbehauptung handeln, da der Mitarbeiter den Raum nicht betreten durfte und bereits zuvor zweimal des Raumes verwiesen wurde.

Das LAG bestätigte auch die Entscheidung des Arbeitsgerichtes zur rechtmäßigen Befristung des Arbeitsverhältnisses. Die Befristung sei durch den unmittelbaren Sachgrund der Vertretung gerechtfertigt und durch den zeitlich begrenzten Beschäftigungsbedarf für die Vertretung des erkrankten Mitarbeiters erforderlich.

Die Arbeitgeberin könne bei durch Krankheit entstandenen Vertretungsbedarf regelmäßig damit rechnen, dass der Vertretene zukünftig wieder seiner Arbeitspflicht nachkommt. Müsse die Arbeitgeberin hingegen anhand vorliegender Informationen an der Rückkehr erheblich zweifeln, könne dies dafür sprechen, dass der Sachgrund der Vertretung nur vorgeschoben sei. Das führe zur Unwirksamkeit der Befristung. In der Regel werde dafür vorausgesetzt, dass der zu vertretende Arbeitnehmer bereits vor Abschluss des befristeten Arbeitsvertrages verbindlich erklärt, er werde die Arbeit nicht mehr aufnehmen.

Nach der Beweisaufnahme stehe für das Landesarbeitsgericht fest, der zu vertretende Mitarbeiter habe keine verbindliche Erklärung abgegeben, dass er nicht zurückkehren werde. Der zu vertretende Mitarbeiter habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er mit der Personalleiterin weder über seine Wiederkehr gesprochen habe, noch darüber nicht zurückzukehren. Aus seiner Sicht bestand die Gefahr, dass die beantragte Erwerbsunfähigkeitsrente nicht bewilligt werden würde. Er wollte durch den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses vermeiden, dass er sich auf dem Arbeitsmarkt hätte bewerben müssen. Er habe zwar gegenüber seinen guten Freunden über die geplante Erwerbsunfähigkeitsrente gesprochen, jedoch bewusst darauf verzichtet, einen mangelnden Rückkehrwillen gegenüber der Arbeitgeberin auszusprechen, da dies aus seiner Sicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätte führen können.

Die Arbeitgeberin konnte mangels Erklärung des zu vertretenden Mitarbeiters nicht verbindlich davon ausgehen, dass dieser nicht mehr in das Arbeitsverhältnis zurückkehre.

Die Revision zu dieser Entscheidung wurde nicht zugelassen.