BLOG RECHTSPRECHUNG

Betriebsbedingte Änderungskündigung – Sozial ungerechtfertigt

Betriebsbedingte Änderungskündigung zur Arbeitszeitverringerung kann sozial ungerechtfertigt sein

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 17.01.2017, Aktenzeichen 5 Sa 166/16

Eine betriebsbedingte Änderungskündigung mit dem Ziel der Arbeitszeitverringerung ist dann sozial ungerechtfertigt, wenn es die Möglichkeit für den Einsatz auf einem anderen Arbeitsplatz im Betrieb oder Unternehmen zu gleichen oder geänderten Bedingungen gibt.

Ein Ökonom war als Leiter Haustechnik mit zusätzlichem Tätigkeitsschwerpunkt Filmvorführung tätig. Die Arbeitgeberin beabsichtigte die vollständige Digitalisierung sämtlicher 6 Kinosäle. Als einzigen Mitarbeiter beabsichtigte die Arbeitgeberin den Haustechnikleiter weiter zu beschäftigen, jedoch zu geänderten Bedingungen. Die Arbeitszeit solle zukünftig nur noch 100 Stunden im Monat statt zuletzt 173 Stunden im Monat betragen. Die weiteren Arbeitsplätze würden entfallen, die weiteren im Bereich Projektion tätigen Mitarbeiter würden eine betriebsbedingte Kündigung erhalten.

Mit dem Betriebsrat wurden Interessenausgleich und Sozialplan vereinbart. Nachdem ein Ebenenleiter kündigte, schrieb die Arbeitgeberin dessen Stelle neu aus. Der Haustechnikleiter bewarb sich um diese Teilzeitstelle. Kurze Zeit später schrieb die Arbeitgeberin die Stelle erneut aus, der Haustechnikleiter bewarb sich wiederum, ebenso wie auf zwei weitere Stellenausschreibungen als Ebenenleiter. Sämtliche Bewerbungen des Haustechnikleiters blieben erfolglos.

Seit Juni 2015 ist der Haustechnikleiter Mitglied des dreiköpfigen Betriebsrates. Etwa einen Monat später beantragte die Arbeitgeberin beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung. Es gäbe unter anderem falsche Aussagen im vorliegenden Rechtsstreit. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung. Die Arbeitgeberin beantragte die arbeitsgerichtliche Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats.

Der Haustechnikleiter vertrat vor dem Arbeitsgericht die Ansicht, der Änderungskündigung fehle es an einem dringenden betrieblichen Erfordernis. Die Arbeitgeberin könne ihn ohne Weiteres mit dem bisherigen Arbeitsumfang in Haustechnik und Projektion weiterhin beschäftigen. Der Haustechnikleiter legte detailliert einen Arbeitsumfang für die Projektion dar, der über den berechneten Zeitaufwand der Arbeitgeberin hinaus gehe. Zusammen mit den Arbeiten der Haustechnik ergebe sich daraus eine Vollzeitstelle.

Aufgrund seiner Ausbildung als Ökonom sei er auch in der Ebenenleitung einsetzbar, insbesondere nach dem Ausscheiden eines Kollegen in der Ebenenleitung. Der Theaterleiter habe ihm bescheinigt, dass er weitere Aufgaben mit einem Stundenumfang von 72 Stunden/Monat im Schlüsseldienst, im Marketing, in der Warenannahme sowie in der Ebenenleitung übernehmen könne. Allerdings wurden ihm diese Arbeiten mit einem geringeren Stundenlohn angeboten. In anderen Häusern der Arbeitgeberin würden die technischen Leiter auch mit zusätzlichen Aufgaben betraut und seien weiterhin in Vollzeit tätig. Er sei als Einziger auf 100 Stunden herabgesetzt worden. Es habe sich herausgestellt, dass die Arbeitszeit von 100 Stunden nicht genüge. Deshalb würden von der Arbeitgeberin auch Ebenenleiter in der Projektion eingesetzt.

Zum Interessenausgleich fehle der Betriebsratsbeschluss. Die Geschäftsgrundlage für den Interessenausgleich sei weggefallen, da der dort berücksichtigte Beschäftigungsumfang des Haustechnikleiters nicht zutreffe. Der Betriebsrat sei zu den Änderungskündigungen auch nicht ordnungsgemäß angehört worden.

Der Haustechnikleiter beantragte festzustellen,
– Die Änderungskündigung sei sozial ungerechtfertigt und deshalb unwirksam.
– Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht durch andere Kündigungen beendet worden, sondern bestehe unverändert fort.
– Die Arbeitgeberin sei zu verurteilen ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstrecke und dem weiteren beruflichen Fortkommen des Haustechnikleiters dienlich sei.
– Die Arbeitgeberin zu verurteilen, für den Zeitraum von Juli 2014 bis Februar 2016 weiteres Arbeitsentgelt zu zahlen.

Die Arbeitgeberin beantragte Klageabweisung. Die Kündigung sei sozial gerechtfertigt, da der Haustechnikleiter nicht mehr im Umfang von 173 Stunden beschäftigt werden könne. Die Tätigkeit sei mit einer maximalen monatlichen Stundenzahl von 100 Stunden zu bewältigen. Dabei wurde der errechnete Bedarf von 84,3 Stunden auf 100 Stunden aufgerundet.

Dem Haustechnikleiter fehle die Eignung, als Ebenenleiter eingesetzt zu werden. Es fehle praktische Erfahrung auf diesem Gebiet. Die Ausbildung als Ökonom liege viel zu lange zurück. Basierend auf dem Interessenausgleich mit Namensliste greife die Vermutung nach § 1 Absatz 5 KschG (Kündigungsschutzgesetz), die Kündigung sei durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt. Der Betriebsrat habe einen wirksamen Beschluss zum Interessenausgleich gefasst. Selbst wenn kein Beschluss zustande gekommen sein sollte, habe der Betriebsrat den Interessenausgleich nachträglich genehmigt, indem er mehrfach dessen Einhaltung verlangte.

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Die Änderungskündigung sei unwirksam, weil die Arbeitgeberin den Betriebsrat nicht ausreichend über den Kündigungsgrund informiert habe. Für den Betriebsrat sei nicht nachvollziehbar gewesen, warum der Haustechnikleiter nur noch 100 Stunden beschäftigt werden könne.

Die Arbeitgeberin legte gegen das Urteil Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Es sei nicht notwendig gewesen, den Betriebsrat im Anhörungsschreiben detailliert die Stundenzahl mitzuteilen. Der Betriebsrat habe die maßgeblichen Umstände bereits aus den Verhandlungen zum Interessenausgleich gekannt. Der Haustechnikleiter verhalte sich widersprüchlich, soweit er sich auf Instandhaltungsarbeiten berufe. Außergerichtlich habe er solche Aufgaben unter Klageandrohung abgelehnt. Es gebe keine anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten.

Der Haustechnikleiter könne keine Übertragung der Aufgaben des Ebenenleiters verlangen, weil dies eine Beförderungsposition sei. Zudem würden für die Ebenenleitung keine Mitarbeiter ohne Gastronomieerfahrung eingestellt.

Das Landesarbeitsgericht stellte fest, die Berufung sei bezüglich der Ausstellung eines Zwischenzeugnisses unzulässig und im Übrigen unbegründet. Die Arbeitgeberin habe keine Einwände gegen das vom Arbeitsgericht zugesprochene Zwischenzeugnis erhoben.

Die Änderungskündigung der Arbeitgeberin sei unwirksam, da sozial ungerechtfertigt. Die Vergütungsdifferenzen zur Vollzeitbeschäftigung seien nachzuzahlen.

Eine betriebsbedingte Änderungskündigung sei nach § 2 KschG sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe im Sinne von § 1 Absatz 2 KschG bedingt ist und nur solche Änderungen vorsieht, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss. Die Änderungen müssen geeignet und erforderlich sein, um den Inhalt des Arbeitsvertrags den geänderten Beschäftigungsmöglichkeiten anzupassen.

Eine betriebsbedingte Kündigung sei nach § 1 Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 Buchstabe b KschG bereits dann sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden könne. Die Weiterbeschäftigung müsse Arbeitgeberin und Arbeitnehmer objektiv möglich und zumutbar sein. Voraussetzung ist, ein freier Arbeitsplatz zu gleichwertigen oder veränderten, auch schlechteren, Arbeitsbedingungen. Der Arbeitnehmer müsse über die notwendigen Erfahrungen und Kenntnisse für diesen Arbeitsplatz verfügen. Diese Grundsätze seien auf eine Änderungskündigung übertragbar, indem sich der Arbeitnehmer darauf berufen könne, auf einem anderen freien Arbeitsplatz beschäftigt zu werden. Zu Bedingungen die weniger belastend, vergleichbar oder auch geändert sind.

Im Streitfall habe der Arbeitnehmer in einem substanziierten Tatsachenvortrag darzulegen und zu beweisen, dass für ihn weiterhin eine Beschäftigungsmöglichkeit bestehe. Der Arbeitnehmer müsse darlegen, weshalb der Arbeitsplatz trotz Betriebsänderung noch vorhanden sei oder wo er sonst im Betrieb oder Unternehmen beschäftigt werden könne.

Der Haustechnikleiter habe jedenfalls ausreichend dargelegt, dass er über die 100 Stunden hinaus, zumindest zu geänderten Vertragsbedingungen weiterbeschäftigt werden könne. Das Vertragsangebot sei unverhältnismäßig, weil die Arbeitgeberin nicht eine zusätzliche Beschäftigung in der Ebenenleitung angeboten habe. Beim Zugang der Kündigung sei absehbar gewesen, dass spätestens nach dem Auslaufen der Kündigungsfrist ein Einsatz in der Ebenenleitung mit rund 50 Stunden möglich gewesen wäre. Der Einsatz als Ebenenleiter sei für beide Parteien objektiv möglich und zumutbar.

Die Einführung der Digitalisierung in der Projektionstechnik habe nicht den Beschäftigungsbedarf in Servicebereich und Ebenenleitung geändert. Der Haustechnikleiter verfüge über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Tätigkeit in der Ebenenleitung. Ihm sei ebenso wie neu eingestellten Arbeitnehmern eine angemessene Einarbeitungszeit zu gewähren. Wegen seiner langjährigen Erfahrungen im Kinobereich könne sich die Einarbeitung auf die gastronomischen Aufgaben beschränken.

Für den Einsatz in der Ebenenleitung werde keine Berufsausbildung vorausgesetzt. In der Ebenenleitung würden unter anderem Studenten eingesetzt, die zuvor als Servicekräfte tätig waren. Die Voraussetzung erster Erfahrungen in der Gastronomie könnte im Rahmen der Einarbeitung nachgeholt werden. Die gastronomischen Anforderungen seien erkennbar gering und den in einem Kino üblicherweise anfallenden Aufgaben. Der Haustechnikleiter verfüge über gewisse Erfahrungen im Umgang mit Personal aus der Zusammenarbeit mit den Filmvorführern. Spezielle Kenntnisse in der Personalführung seien für die Tätigkeit als Ebenenleiter nicht erforderlich.

Die Beschäftigung in der Ebenenleitung erfolge auf einem gleichwertigen Arbeitsplatz und sei nicht mit einer Beförderungsposition verbunden.

Der Haustechnikleiter habe nach § 615 Satz 1, § 611 Absatz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) einen Anspruch auf Fortzahlung der bisherigen Vergütung für den streitgegenständlichen Zeitraum Juli 2014 bis Februar 2016, abzüglich der bereits geleisteten Zahlungen. Die Arbeitgeberin habe nicht auf die Rechtmäßigkeit der Änderungskündigung vertrauen können. Der Haustechnikleiter habe bereits bei Prozessbeginn mehrere Einwände gegen die ausgesprochene Kündigung erhoben, die geeignet waren, die Kündigung zu Fall zu bringen. Damit bestand für die Arbeitgeberin ein erhebliches Risiko, im Kündigungsschutzprozess zu unterliegen. Das gelte selbst dann, wenn sie von der Wirksamkeit des Interessenausgleiches ausgehen konnte. Der Interessenausgleich beruhte auf einer wiederlegbaren Vermutung. Die Arbeitgeberin musste davon ausgehen, dass es dem Haustechnikleiter gelinge, die Vermutung auszuräumen.

Eine Revision zu diesem Urteil wurde nicht zugelassen.