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Kostenübernahme einer Betriebsratsschulung

Notwendigkeit einer Betriebsratsschulung

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.02.2017, Aktenezeichen 11 TaBV 1626/16

Die Vermittlung von Kenntnissen in Betriebsratsschulungen ist notwendig, damit der Betriebsrat gegenwärtig oder in naher Zukunft anstehende Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen kann. Außer für die Vermittlung von Grundkenntnissen muss ein aktueller betriebsbezogener Anlass für die Schulung bestehen, für den die erworbenen besonderen Kenntnisse derzeit oder in naher Zukunft benötigt werden, um die Beteiligungsrechte des Betriebsrats sach- und fachgerecht auszuüben.

Ein elfköpfiger Betriebsrat plus Ersatzmitglied nahm an einer 4-tägigen Schulung teil. Themen waren unter anderem Arbeitsschutz, Arbeit menschengerecht gestalten, öffentlich rechtliche Pflichten der Arbeitgeberin nach Arbeitsschutzgesetz und Mitbestimmungen. Die Arbeitgeberin verweigerte die Kostenübernahme. Der Betriebsrat beschloss die Einleitung eines Beschlussverfahrens und die Beauftragung des Verfahrensbevollmächtigten.

Zwei Monate später ging die Antragsschrift des Betriebsrats zur Freistellung von den Kosten der Schulung beim Arbeitsgericht ein. Die Schulung sei eine Grundlagenschulung. Sämtliche Betriebsratsmitglieder hätten keine Schulung und damit Grundkenntnisse zum Gesundheitsschutz gehabt, die zur sachkundigen Begleitung der Einigungsstelle notwendig seien. Bisher absolvierte Schulungen entsprächen inhaltlich nicht dem streitigen Seminar. Das Ersatzmitglied habe geschult werden müssen, da es in der Vergangenheit häufiger nachgerückt sei.

Die Arbeitgeberin bestritt eine ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats ebenso wie überhaupt die Teilnahme der zwölf Betriebsräte an der Schulung. Die Verpflegungskosten von 100 Euro je Person und Tag seien weder im Angebot noch im Beschluss benannt und deshalb schon aus formalen Gründen nicht zu erfassen. Alle Betriebsratsmitglieder würden auf der Basis bereits absolvierter Schulungen über ausreichende Kenntnisse verfügen. Die Schulung habe Spezialkenntnisse vermittelt, keine Grundlagen. In der Einigungsstelle habe der Betriebsrat einen Sachverständigen hinzugezogen. Damit sei keine weitere Schulung notwendig. Dem Ersatzmitglied stehe kein Schulungsanspruch zu.

Das Arbeitsgericht wies den Antrag des Betriebsrats ab. Die Schulung sei nicht erforderlich gewesen. Die Betriebsratsmitglieder seien in den Grundlagen des BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) geschult. Wegen der häufigen Schulungen sei es nicht nachvollziehbar, warum der komplette Betriebsrat ein Seminar zu einem Thema besuchte, zu dem gerade eine Einigungsstelle tagt.

Gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes legte der Betriebsrat Beschwerde beim Landesarbeitsgericht ein. Das Arbeitsgericht habe nicht beachtet, dass es sich um ein Grundseminar handelte, das allgemeine Kenntnisse zu kollektiven Handlungsmöglichkeiten bei der Gestaltung von Arbeit vermittle. Alle Betriebsräte seien erst seit 2013 im Amt. Für die Grundlagenschulungen erstmals gewählter Betriebsratsmitglieder müsse die Erforderlichkeit der Schulungen nicht näher dargelegt werden.

Die bereits absolvierten Schulungen stünden dem Schulungsanspruch nicht entgegen, weil es sich nur um Schulungen zum BetrVG und Arbeitsrecht handele. Grundlagenschulung im Arbeitsschutzrecht sei damit nicht ausgeschlossen, sondern gleichrangig. Entsprechend dem Hilfsantrag sei nach Abzug der Kosten für zwei Betriebsratsmitglieder der Betriebsrat von den Kosten der Schulung freizustellen. Verpflegungskosten müssten nicht gesondert benannt werden, sie gehörten ohne Weiteres zu den zu übernehmenden Kosten. Die bestehende Einigungsstelle stehe dem Freistellungsanspruch nicht entgegen.    

Die Arbeitgeberin bestritt weiterhin, dass die Schulung überhaupt stattgefunden und der Betriebsrat teilgenommen habe. Die Schulung habe Spezialwissen vermittelt und sei deshalb keine Grundlagenschulung. Menschengerechte Gestaltung der Arbeit gehöre nicht zum Arbeitsschutz. Nur die Schulungsbestandteile Arbeitssicherheit und Unfallverhütung seien Grundlagen, die mit bereits absolvierten Schulungen abgedeckt wurden. Mitglieder des Arbeitsschutzausschusses hätten bereits Spezialschulungen besucht.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) stellte fest, der Freistellungsantrag sei unbegründet und deshalb abzuweisen. Die Schulung war nicht erforderlich im Sinne von § 37 Absatz 6 BetrVG. Deshalb sei die Arbeitgeberin nicht verpflichtet, den Betriebsrat von den Kosten der Schulung freizustellen.

Die Vermittlung von Kenntnissen sei erforderlich damit der Betriebsrat seine Aufgaben in der Gegenwart und nahen Zukunft ordnungsgemäß erfüllen kann. Die Bedürftigkeit von Schulungen zu Grundkenntnissen im Betriebsverfassungsrecht, zum allgemeinen Arbeitsrecht und in den Bereichen Arbeitssicherheit und Unfallverhütung bräuchte bei erstmals gewählten Betriebsratsmitgliedern nicht näher dargelegt werden. Für andere Schulungsveranstaltungen müsse ein aktueller betriebsbezogener Anlass bestehen sowie die Annahme, die Kenntnisse würden von dem Betriebsratsmitglied aktuell oder in naher Zukunft benötigt, damit der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte sach- und fachgerecht wahrnehmen kann. Schulungen seien nicht notwendig, wenn die in der Schulung vermittelten Kenntnisse bereits im Betriebsrat vorhanden sind. Es hänge von der Größe, der personellen Zusammensetzung sowie der Geschäftsverteilung des Betriebsrats ab, ob eines oder mehrere Mitglieder über Spezialkenntnisse verfügen müssten.

Basierend auf diesen Grundsätzen sei die Teilnahme des Betriebsrats am Seminar im Sinne von § 37 Absatz 6 BetrVG nicht erforderlich gewesen.

Nicht endgültig nachgerückte Ersatzmitglieder stünden bis zum endgültigen Nachrücken außerhalb des BetrVG und hätten grundsätzlich keinen Schulungsanspruch. Ersatzmitglieder könnten nur dann einen Anspruch auf Schulung haben, wenn sie ein Betriebsratsmitglied häufig und für längere Zeit vertreten müssen. Der Betriebsrat habe eine auf Tatsachen beruhende Prognose zu erstellen. Allein die Erwartung von Vertretungsfällen wegen Urlaubs oder vorübergehender Erkrankung von Betriebsratsmitgliedern genüge nicht zur Rechtfertigung der Schulungsteilnahme. Einem vorübergehend nachrückenden Ersatzmitglied könnte bereits mit der Übersendung der Tagesordnung oder während der Betriebsratssitzung betriebsverfassungsrechtliche Informationen und Erläuterungen übermittelt werden.

Entscheidet sich der Betriebsrat für die Schulung eines Ersatzmitgliedes, habe er zu prüfen, ob die Entscheidung nicht nur den Interessen der Belegschaft diene, sondern auch die berechtigten Interessen der Arbeitgeberin zur Kostentragungspflicht berücksichtige.
Der Betriebsrat habe sich im vorliegenden Fall nur darauf berufen, das Ersatzmitglied sei in der Vergangenheit häufiger herangezogen worden. Eine Prognose wurde nicht erstellt. Es sei nicht Aufgabe der Arbeitsgerichte ohne ausreichenden Sachvortrag der Beteiligten Überlegungen über Ansprüche anzustellen, die auf nicht vorgetragenen Sachverhalt beruhen könnten.

Für die ordentlichen Betriebsratsmitglieder sei die Teilnahme an der Schulung ebenfalls nicht notwendig gewesen. Falls es zur Gewährleistung der Arbeitsfähigkeit des Betriebsrats erforderlich sei, könnten Schulungen zwar für mehrere Betriebsratsmitglieder auch kurz vor Ende der Amtszeit erfolgen. Das sei in diesem Fall aber nicht notwendig. Bei der Schulung habe es sich nicht überwiegend um eine Grundlagenschulung gehandelt. Grundlagen wurden nur an den ersten beiden Tagen der 4-tägigen Schulung vermittelt. Da die Grundlagen nicht überwiegen, wäre ein aktueller betriebsbezogener Anlass darzulegen gewesen.

Werde während einer Schulung in geringem Umfang auch nicht erforderliches Wissen vermittelt, könne die Teilnahme an der Schulung dennoch erforderlich sein. Sei eine zeitweise Teilnahme an solch einer Schulung nicht möglich, ist zu entscheiden, ob die notwendigen Themen mit mehr als 50% überwiegen. Soweit es im zweiten Teil der Schulung um die Gestaltung der Komponenten der Arbeit ging, sei ein betriebsbezogener Anlass nicht vorgetragen. Bei einer Schulung über die menschengerechte Gestaltung von Arbeitsplatz, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung sei der Betriebsrat nur zu beteiligen, wenn Änderungen und Planungen im Betrieb konkret anstehen.

Besitze ein Betriebsratsmitglied bereits über in der Schulung vermittelte Kenntnisse, scheide seine Teilnahme aus. Zwei Betriebsratsmitglieder hätten sich bereits Kenntnisse über Arbeitsschutz und Gesundheitsschutz durch die Teilnahme an entsprechenden Schulungen angeeignet. Die streitige Schulung sei aufgrund ihres Kenntnisstandes nicht erforderlich gewesen. Eine Seminarteilnahme zur Wiederholung und Vertiefung sei prinzipiell möglich, bedürfe jedoch einer Darlegung der Erforderlichkeit.

Für die übrigen Betriebsratsmitglieder sei entscheidend, dass der Betriebsrat seine Geschäfte verteilt und einen eigenen Ausschuss für Arbeitssicherheit gebildet habe. In diesem Fall sei es ausreichend diejenigen Betriebsratsmitglieder zu schulen, die diese Aufgabe übernehmen. Die beiden Mitglieder im Ausschuss für Arbeitssicherheit seien bereits ausreichend geschult worden.

Die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil wurde nicht zugelassen.