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Kündigung ohne betriebliches Eingliederungsmanagement

Betriebliches Eingliederungsmanagement nach längerer Krankheit

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.11.2014, Aktenzeichen 2 AZR 755/13

Eine Kündigung wegen wiederholter krankheitsbedingter Fehlzeiten kann sozial nicht gerechtfertigt und damit unwirksam sein, falls von der Arbeitgeberin kein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) durchgeführt wurde.

Ein Maschinenführer erkrankte im Laufe seiner Beschäftigungszeit wiederholt. In den Jahren 2006 bis 2011 war er nach Angaben seiner Arbeitgeberin insgesamt 1061 Tage wegen Erkrankung arbeitsunfähig. Die Krankheiten beruhten auf differenzierten Ursachen.

Im November 2011 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum Ende des nächsten Halbjahres. Der Maschinenführer klagte beim Arbeitsgericht gegen die Kündigung. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die Fehlzeiten beruhten, abgesehen von Arbeitsunfällen und Hüftbeschwerden, auf eine Kontaktallergie, einen Fersensporn, Erkältungskrankheiten, in geringem Umfang auf einer Herz-/Kreislauferkrankung sowie zwei in der Freizeit erlittenen Unfällen. Die Fehlzeiten gäben keinen Anlass für eine negative Zukunftsprognose.

Die Kündigung sei unverhältnismäßig, da die Arbeitgeberin kein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) durchgeführt hätte. Deshalb könne sie sich nicht darauf berufen, es hätten keine Alternativen zur Vermeidung oder erheblichen Verringerung künftiger Fehlzeiten bestanden. Im Übrigen habe ein Gesundheitsmanagement dazu beigetragen, die Gesundheit, insbesondere das Immunsystem des Maschinenführers zu stabilisieren. Veränderungen am Arbeitsplatz, die nunmehr kein kontinuierliches Treppensteigen erfordern, hätten ebenfalls dazu beigetragen.

Der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß zur Kündigung gehört worden.

Der Maschinenführer beantragte festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis mit der Kündigung nicht aufgelöst wurde. Im Fall der Anerkennung des Kündigungsschutzantrages solle die Arbeitnehmerin ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Bedingungen als Maschinenführer weiterbeschäftigen.

Die Arbeitgeberin beantragte, die Klage abzuweisen. Die Kündigung sei in der Person des Maschinenführers bedingt. Er sei bis zum Ausspruch der Kündigung insgesamt 1061 Tage arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Davon habe die Arbeitgeberin für 803 Tage Entgeltfortzahlung geleistet. Die erhöhten Fehlzeiten sprächen für eine erhebliche Krankheitsanfälligkeit und eine negative Gesundheitsprognose. Betriebliche Interessen seien dadurch erheblich negativ beeinträchtigt. Mit der Beauftragung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens sei die Arbeitgeberin der Verpflichtung zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nachgekommen. Nach der betriebsärztlichen Stellungnahme stehe fest, dass die Krankheitsanfälligkeit nicht durch organisatorische Maßnahmen hätte überwunden werden können.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht gaben der Klage statt. Vor dem Bundesarbeitsgericht verfolgt die Arbeitgeberin weiter die Abweisung der Klage.

Das BAG bestätigt mit seinem Urteil, das Arbeitsverhältnis wurde durch die Kündigung nicht aufgelöst. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und damit unwirksam. Die Kündigung sei nicht in der Person des Maschinenführers bedingt und ungeachtet der erheblichen Fehlzeiten unverhältnismäßig.

Es läge wegen der Vielzahl der Krankheitsbilder und des häufigen Wechsels von Arbeits- und Krankheitsphasen kein Tatbestand einer langanhaltenden Krankheit vor.

Bei häufigen Kurzerkrankungen sei eine Kündigung nur dann sozial gerechtfertigt, wenn die Zukunftsprognose negativ ausfällt. Dafür müssten zum Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die Erkrankungen in bisherigem Umfang befürchten lassen. Die zu befürchtenden Fehlzeiten müssten außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Diese Beeinträchtigungen könnten in Störungen des Betriebsablaufs sowie in Entgeltfortzahlungen über einen jährlichen Zeitraum von sechs Wochen hinaus begründet sein.

Im Rahmen der Interessenabwägung ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen von der Arbeitgeberin hingenommen werden müssen.

Traten während der vergangenen Jahre mehrfach Erkrankungen auf, spräche das für eine zukünftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten seien ausgeheilt. Die Arbeitgeberin könne deshalb zunächst aus der Vergangenheit schließen und zukünftig ähnliche Ausfallzeiten behaupten. Es sei dann Sache des Arbeitnehmers darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Es genüge vorzutragen, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv bewertet und diese von Ihrer Schweigepflicht zu entbinden. Danach ist es Sache der Arbeitgeberin, die Beweisführung für eine negative Prognose zu führen.

Es sei nicht zu beanstanden, dass zum Kündigungszeitpunkt wegen der hohen krankheitsbedingten Ausfallzeiten eine negative Gesundheitsprognose bestanden hätte. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Ausfallzeiten auf unterschiedlichen Krankheiten beruhten, da diese auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit rückführbar seien. Das gelte selbst dann, wenn einzelne Erkrankungen wie Erkältungen, bereits ausgeheilt seien.

Maßnahmen zur Rehabilitation, die erst nach der Kündigung begonnen wurden, zählten nicht in Bezug auf die Minderung der negativen Prognose.

Der Arbeitgeberin sei anzurechnen, dass sie auch zukünftig mit einer Lohnfortzahlung von mehr als 6 Wochen jährlich zu rechnen hätte. Dennoch sei die Kündigung sozial ungerechtfertigt. Die Arbeitgeberin habe das gesetzlich vorgeschriebene betriebliche Wiedereingliederungsmanagement nicht durchgeführt. Sie habe nicht dargelegt, dass es kein milderndes Mittel als die Kündigung gegeben hätte, um der Vertragsstörung weiterer Fehlzeiten entgegenzuwirken.

Mildere Mittel einer krankheitsbedingten Kündigung wären beispielsweise die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Beschäftigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz.

Eine in der Person des Arbeitnehmers begründete Kündigung sei unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie nicht zur Beseitigung der Vertragsstörung beitrage oder nicht erforderlich sei.

War ein Arbeitnehmer in den vergangenen 3 Jahren jeweils länger als 6 Wochen arbeitsunfähig krank, so ist die Arbeitgeberin zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX (Sozialgesetzbuch 9) verpflichtet. Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann.

Die betriebsärztlichen Untersuchungen und damit verbundene Gutachten können nicht als bEM angesehen werden. Es werde nicht deutlich, das der arbeitsmedizinische Dienst mit dem bEM beauftragt worden wäre. Es fehle auch an einer Unterrichtung und Belehrung des Maschinenführers bezüglich eines bEM, aus der er hätte schließen können, dass ein bEM durchgeführt werden soll.

Ist die Arbeitgeberin von der Nutzlosigkeit eines bEM überzeugt, hat sie die objektive Nutzlosigkeit darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Die Arbeitgeberin habe nicht vorgetragen, dass sie nicht in der Lage sei, dem Auftreten künftiger Fehlzeiten von mehr als 6 Wochen mit betrieblichen Maßnahmen entgegenzutreten. Sie habe nicht aufzeigt, dass ihr entsprechende Maßnahmen nicht zumutbar oder möglich gewesen wären.

Das unterlassene betriebliche Eingliederungsmanagement (bEM) führte in diesem konkreten Fall zur Unverhältnismäßigkeit der Kündigung. Mit der Hilfe des bEM könnten möglicherweise mildernde Mittel als die Kündigung erkannt und entwickelt werden.

Über den Antrag zur Weiterbeschäftigung bis zur Beendigung des Kündigungsschutzprozesses war nicht mehr zu entscheiden, da der Rechtsstreit mit diesem Urteil abgeschlossen wurde.