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Missbrauchsverdacht für mehrfach befristete Arbeitsverträge

Rechtsmissbrauch befristeter Arbeitsverträge

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.04.2015, Aktenzeichen 7 AZR 310/13

Mehrfach befristete Arbeitsverträge unterliegen generell dem Missbrauchsverdacht. Es ist jedoch immer im Einzelfall zu überprüfen, ob ein Missbrauch vorliegt.

Nahezu 15 Jahre wurde ein stellvertretender Küchenleiter befristet beschäftigt. Sämtliche Vertretungen bezogen sich auf den Arbeitsausfall der zu vertretenden stellvertretenden Küchenleiterin. Die stellvertretende Küchenleiterin fiel in dieser Zeit infolge der Geburt ihrer drei Kinder aus. Sie war schwangerschaftsbedingt erkrankt, erhielt Erziehungsurlaub, Sonderurlaub, Elternzeit und Mutterschutz.

Die Begründungen und Laufzeiten der befristeten Arbeitsverträge bezogen sich ausschließlich auf kindheitsbedingte Ausfallzeiten der stellvertretenden Küchenleiterin. Der letzte befristete Arbeitsvertrag umfasste einen Zeitraum von 2 Jahren und basierte auf dem Antrag der stellvertretenden Küchenleiterin auf Sonderurlaub zur Betreuung ihrer Kinder im Alter von 6 bis 12 Jahren, entsprechend § 28 TvöD (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst).

3 Monate nach Beginn des letzten Arbeitsvertrages reichte der Stellvertreter beim Arbeitsgericht Klage ein. Die Befristung seines Arbeitsvertrages sei unwirksam und der Sachgrund der Vertretung nicht gerechtfertigt. Die Arbeitgeberin hätte beim Abschluss des letzten befristeten Arbeitsvertrages nicht mehr mit der Rückkehr der stellvertretenden Köchin an ihren Arbeitsplatz rechnen können. Die Befristung sei rechtsmissbräuchlich. Der stellvertretenden Köchin habe kein Anspruch auf Sonderurlaub zugestanden. Die Arbeitgeberin habe auch nicht geprüft, ob der stellvertretenden Köchin nach ihrer Rückkehr ein anderer Arbeitsplatz zugewiesen werden könne.

Der Stellvertreter beantragte die Feststellung, dass sein befristetes Arbeitsverhältnis nicht nach zwei Jahren beendet sein wird und unverändert fortbesteht, sowie die Arbeitgeberin zu verpflichten ihn über die Befristung hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Die Berufung vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) blieb erfolglos. Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte der Stellvertreter seine Klage weiter.

Das BAG entschied, das Arbeitsverhältnis der Parteien habe aufgrund der Befristung zum vereinbarten Termin geendet. Die Befristung sei wirksam. Sie sei nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG (Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge) und § 21 Abs. 1 BEEG (Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit) durch den Sachgrund der Vertretung gerechtfertigt. Sie erweise sich nicht als rechtsmissbräuchlich.

Ein sachlicher Grund, der die Befristung eines Arbeitsverhältnisses rechtfertige, liege etwa dann vor, wenn ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers oder einer anderen Arbeitnehmerin für die Dauer des Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz, einer Elternzeit oder einer auf Tarifvertrag oder einzelvertraglicher Vereinbarung beruhenden Arbeitsfreistellung zur Betreuung eines Kindes eingestellt werde.

Die Arbeitgeberin stehe in einem Rechtsverhältnis zur vertretenen Person und muss mit der Rückkehr der Person rechnen. Deshalb bestehe ein zeitlich begrenztes Bedürfnis für die Wahrnehmung von Vertretungsaufgaben. Die Arbeitgeberin habe eine Prognose über den Wegfall des Vertretungsbedarfes durch die Wiederkehr der vertretenen Person zu erstellen.

Es muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem Ausfall der vertretenen Person und der Einstellung des Vertreters bestehen. Aus den Umständen bei Vertragsabschluss muss sich ergeben, dass der Bedarf für die Beschäftigung des Vertreters auf die Abwesenheit des zeitweilig ausfallenden Arbeitnehmers zurückzuführen ist. Für eine unmittelbare Vertretung hat der Arbeitgeber im Streitfall nachzuweisen, dass der Vertreter Arbeitsaufgaben wahrzunehmen hat, die bereits zuvor dem vorübergehend abwesenden Arbeitnehmer übertragen waren. Es sei unerheblich ob, für die vertretende Person nach Beendigung des befristeten Arbeitsvertrages eine Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz möglich wäre.

 Basiert ein Vertretungsbedarf auf Krankheit, Urlaub oder Freistellung, könne die Arbeitgeberin nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig damit rechnen, dass der Vertretene seine arbeitsvertraglichen Pflichten künftig wieder erfüllen werde. Die Stammkraft habe einen arbeitsvertraglichen Anspruch darauf, nach Wegfall des Verhinderungsgrundes ohne weitere Begründung die vertraglich vereinbarte Tätigkeit wieder aufzunehmen. Die Arbeitgeberin habe auch dann mit der Rückkehr zu rechnen, wenn die Vertretung bereits auf mehreren befristeten Arbeitsverträgen beruht.

Gerichte seien verpflichtet, alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, um zu verhindern, dass missbräuchlich befristete Arbeitsverträge abgeschlossen werden. Bedeutsam sei die Gesamtzahl der befristeten Verträge sowie die Anzahl der Vertragsverlängerungen. Zu berücksichtigen sei auch, ob der Arbeitnehmer stets am selben Arbeitsplatz mit denselben Aufgaben beschäftigt war.

Eine höhere Anzahl befristeter Verträge könne auf einen Missbrauch der Befristungsmöglichkeiten hindeuten. Das gelte besonders wenn ein langjähriger Mitarbeiter, trotzt der Möglichkeit einer dauerhaften Anstellung, immer wieder befristet beschäftigt wird.

Befristete Arbeitsverträge, die nicht auf einem Sachgrund basieren, dürfen innerhalb von 2 Jahren maximal 3 mal verlängert werden. Nach Ansicht des BAG handelt es sich nicht um einen Missbrauch, solange dieser Wert nicht um ein Mehrfaches überschritten wird. Wird diese Grenze jedoch mehrfach überschritten, sei eine umfassende Missbrauchskontrolle geboten.

Das BAG hat bei einer Dauer von insgesamt sieben Jahren und neun Monaten bei vier befristeten Arbeitsverträgen sowie keinen weiteren – vom Arbeitnehmer vorzutragenden – Umständen keine Anhaltspunkte für einen Missbrauch gesehen. Bei einer Gesamtdauer von mehr als elf Jahren und einer Anzahl von 13 Befristungen sowie einer gleichbleibenden Beschäftigung zur Deckung eines ständigen Vertretungsbedarfs sei von einer rechtsmissbräuchlichen Ausnutzung der an sich eröffneten Möglichkeit der Befristung auszugehen, könne aber vom Arbeitgeber noch widerlegt werden.

Das BAG sah wegen des langen Zeitraums von 15 Jahren und 10 befristeten Arbeitsverträgen durchaus die Notwendigkeit eine Missbrauchsgefahr zu betrachten. Im Streitfall bestand jedoch für den klagenden Stellvertreter zu keinem Zeitpunkt ein dauerhafter Beschäftigungsbedarf. Die Vertretung bezog sich ausschließlich auf die stellvertretende Küchenleiterin, die unmittelbar vertreten wurde. Der Vertretungsbedarf entstand nur für die Zeit der Verhinderung der stellvertretenden Küchenleiterin.

Allein der Umstand, dass die Arbeitgeberin wiederholt oder dauerhaft auf befristete Arbeitsverträge zurückgreife, sei kein Indiz für einen Rechtsmissbrauch. Die Vertretungsregelung nach § 21 Abs. 1 BEEG diene dem sozialpolitischen Ziel, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Sie stelle in Konkretisierung von § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG klar, dass der Arbeitgeber Ausfallzeiten, die durch Mutterschutz, Elternzeit und Sonderurlaub zur Kinderbetreuung bedingt sind, durch die befristete Einstellung einer Vertretungskraft überbrücken kann.

Die hohe Anzahl befristeter Verträge stellten ebenfalls keinen Gestaltungsmissbrauch dar. Sie beruhten auf der Geburt von 3 Kindern und damit mehrfacher Beanspruchung von Mutterschutz, Elternzeit und Erziehungsurlaub sowie im Anschluss daran Sonderurlaub.

Wiederholt befristete, aneinandergereihte Arbeitsverträge indizieren generell einen Missbrauchsverdacht. Dennoch darf nicht nur der Sachgrund betrachtet werden. Es muss immer im Einzelfall geprüft werden, ob der Missbrauchsverdacht gerechtfertigt ist. Insbesondere sind Anzahl und Dauer der aufeinanderfolgenden, befristeten Verträge mit einer Person zur Verrichtung der gleichen Arbeit zu betrachten.