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Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Aufstellung allgemeiner Beurteilungsgrundsätze

Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Aufstellung allgemeiner Beurteilungsgrundsätze – Zuständigkeit der Gremien und Inhalt der Mitbestimmung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.03.2015, Aktenzeichen 1 ABR 48/13

Werden Beurteilungsverfahren auf der Grundlage von Mitarbeitergesprächen vollzogen, sind diese vom Mitbestimmungsrecht erfasst.

Eine Arbeitgeberin betreibt mehrere Niederlassungen in Deutschland sowie eine Personalabteilung. Mit dem Gesamtbetriebsrat schloss die Arbeitgeberin eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur Durchführung von Personalentwicklungsmaßnahmen auf der Grundlage von Mitarbeiterjahresgesprächen ab.

Laut Vereinbarung sollten freiwillige Gespräche zwischen dem nächsthöheren Vorgesetzten und dem Mitarbeiter geführt werden. Auf Wunsch des Mitarbeiters sollte ein Betriebsratsmitglied teilnehmen können. Die Gespräche sollten als Bestandsaufnahme über die Zusammenarbeit zwischen Mitarbeiter und Vorgesetzten gelten. Sie sollten zudem die Leistungsentwicklung sowie die Entwicklungen und Herausforderungen im Aufgabenbereich des Mitarbeiters umfassen.

Das Gesprächsprotokoll sollte in der Personalakte abgelegt werden. Aus den Ergebnissen des Mitarbeitergesprächs könnten Qualifizierungs- und Fördermaßnahmen für den Mitarbeiter abgeleitet werden. Mit dem jeweils örtlichen Betriebsrat sollte über die Ergebnisse des Gesprächs beraten werden.

Der Betriebsrat einer Niederlassung vertrat die Ansicht, der Gesamtbetriebsrat sei nicht für den Abschluss der Betriebsvereinbarung zuständig. Es gebe kein zwingendes Erfordernis für die überbetriebliche Regelung der Mitarbeiterjahresgespräche. Der Gesamtbetriebsvereinbarung sei kein unternehmenseinheitliches Personalentwicklungskonzept zu entnehmen.

Der Betriebsrat beantragte, vor dem Arbeitsgericht feststellen zu lassen, dass die Gesamtbetriebsvereinbarung auf die Niederlassung des Betriebsrats keine Anwendung finde.

Der Arbeitgeberin solle unter Androhung eines Ordnungsgeldes aufgegeben werden, keine Mitarbeitergespräche auf Basis der Gesamtbetriebsvereinbarung über die Durchführung von Personalentwicklungsmaßnahmen zu führen.

Die Arbeitgeberin, der Gesamtbetriebsrat sowie Betriebsräte weiterer Niederlassungen, beantragten die Abweisung der Klage mit der Begründung, der Gesamtbetriebsrat sei für den Abschluss der Gesamtbetriebsvereinbarung zuständig. Die Vergleichbarkeit von Beurteilungen, die durch eine Vielzahl von Führungskräften und in zahlreichen Betrieben zu erstellen seien, könne nur mit einheitlichen Anforderungen im Unternehmen erreicht werden. Einzelbetriebliche Vereinbarungen seien rechtlich nicht möglich.

Das Arbeitsgericht wies die Klage des Betriebsrats ab. Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies die Beschwerde des Betriebsrats zurück. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgte der Betriebsrat seinen Antrag vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) weiter.

Das BAG befand, die Beschwerde sei teilweise begründet. Mit der Begründung des LAG könne der Feststellungsantrag nicht abgewiesen werden. Ob das Feststellungsbegehren begründet sei, könne das BAG mit den vom LAG getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen.

Das BAG legte den Antrag des Betriebsrats so aus, dass dieser geklärt haben möchte, ob ihm ein Mitbestimmungsrecht bei den Angelegenheiten die durch die strittige Gesamtbetriebsvereinbarung geregelt werden, zustehe.

Das BAG stellte fest, der Anspruch auf ein Mitbestimmungsrecht resultiere alleinig aus § 94 Abs. 2 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz). Bei den Mitarbeiterjahresgesprächen, die als Instrument der Personalentwicklung zu verstehen seien, habe der Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht. Ihm kämen jedoch Unterrichtungs-, Beratungs- und Vorschlagsrechte zu.

Im Gegensatz zu Maßnahmen, die das Arbeitsverhalten regeln, habe der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei Maßnahmen, die das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betreffen. Demnach regele die Gesamtbetriebsvereinbarung keine mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten, da sie auf die Konkretisierung von Arbeitsangelegenheiten gerichtet sei. Eine das Arbeitsverhalten betreffende Maßnahme werde auch nicht mitbestimmungspflichtig, wenn sie einen Randbereich des Ordnungsverhaltens berühre.

Eine Mitbestimmungspflicht ergebe sich jedoch aus § 94 Abs. 2 BetrVG, da mit der Gesamtbetriebsvereinbarung allgemeine Beurteilungsgrundsätze aufgestellt wurden. Nach § 94 Abs. 2 BetrVG bedarf die Aufstellung allgemeiner Beurteilungsgrundsätze der Zustimmung des Betriebsrats. Der Betriebsrat könne nicht von sich aus die Aufstellung allgemeiner Beurteilungsgrundsätze verlangen. Werden sie aber von der Arbeitgeberin aufgestellt, so habe der Betriebsrat über deren Inhalt mitzubestimmen.

Als allgemeine Grundsätze gelten Regelungen, die Verhaltensbewertungen oder Leistungsbewertungen objektivieren oder vereinheitlichen und an Kriterien ausgerichtet werden, die für die Bewertung erheblich sind. Die Grundlagen der Beurteilung, die Festlegung der materiellen Beurteilungsmerkmale, sowie die Ausgestaltung des Beurteilungsverfahrens unterliegen dem Mitbestimmungsrecht. Basiert das Beurteilungsverfahren auf Mitarbeitergesprächen, sind diese vom Mitbestimmungsrecht erfasst. Der Betriebsrat sei auch dann zu beteiligen, wenn Merkmale und Kriterien der Beurteilungen lediglich als Richtungsvorgaben formuliert sind.

Dem Mitbestimmungsrecht stehe nicht entgegen, dass die Teilnahme am Gespräch freiwillig ist. Das Mitbestimmungsrecht des § 94 Abs. 2 BetrVG soll sicherstellen, dass ein Arbeitnehmer nur nach seiner Arbeitsleistung und der persönlichen Eignung für seine berufliche Entwicklungsmöglichkeit im Betrieb beurteilt wird.

Das Mitbestimmungsrecht liegt grundsätzlich beim direkt gewählten Betriebsrat. Der Gesamtbetriebsrat ist nur für Angelegenheiten zuständig, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte geregelt werden können. Allein der Wunsch der Arbeitgeberin nach einer unternehmenseinheitlichen oder betriebsübergreifenden Regelung, ihr Koordinierungs- oder Kosteninteresse sowie reine Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte genügten nicht, um in Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung die Zustimmung des Gesamtbetriebsrats zu begründen. Arbeitgeberin und Gesamtbetriebsrat könnten in solchen Angelegenheiten auch nicht die Zuständigkeit des Betriebsrats infrage stellen.

Deshalb sei die Feststellung des LAG unzutreffend, der Gesamtbetriebsrat sei originär zuständig. Die Arbeitgeberin könne die betriebsverfassungsrechtliche Regelungsebene nicht durch ihre Entscheidung bestimmen, ob eine betriebs- oder eine unternehmensweit geltende Regelung eingeführt werden solle. Die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung sei auch bei der zwingend mitbestimmten Aufstellung allgemeiner Beurteilungsgrundsätze bindend.

Das LAG habe offen gelassen, ob ein von der Arbeitgeberin und dem Gesamtbetriebsrat behauptetes unternehmensübergreifendes Personalentwicklungskonzept bestehe, das die Notwendigkeit einer einheitlichen Beurteilung begründe. Der beantragende Betriebsrat bestreitet das Bestehen eines einheitlich verfassten Personalentwicklungskonzepts. Die Gesamtbetriebsvereinbarung lasse einen Bezug zu einer unternehmenseinheitlichen Personalregelung nicht erkennen. Es sei an keiner Stelle zwingend ersichtlich, dass Maßnahmen der Personalentwicklung einheitlich von der zentralen Personalabteilung getroffen würden. Die Gespräche wurden von der örtlichen Führungskraft geführt. Die aufgeführten Vereinbarungen treffen die örtlichen Gesprächspartner, nicht die zentrale Personalabteilung. Allein der Umstand, dass die Protokolle auch bei der zentralen Personalabteilung abgelegt werden, könne nicht auf ein unternehmenseinheitliches Personalentwicklungskonzept geschlossen werden.

Der gesamte Prozess laufe am Ort der Niederlassung ab. Werde aber über Personalentwicklungsmaßnahmen „Vor Ort“ und nicht zentral entschieden, sei eine überbetriebliche Regelung nicht zwingend erforderlich. Der Vortrag der Arbeitgeberin, ein Mitarbeiter der zentralen Personalabteilung entscheide über die aus den Gesprächen abzuleitenden Personalmaßnahmen, spreche für ein unternehmenseinheitliches Konzept. Der Betriebsrat habe jedoch den Vortrag der Arbeitgeberin bestritten. Das LAG werde den Sachverhalt zu klären haben.

Der Unterlassungsantrag des Betriebsrats sei unbegründet und wird deshalb abgewiesen. Es fehle an einem groben Pflichtverstoß der Arbeitgeberin. Bezüglich des Mitbestimmungsrechts fehle es an einer Wiederholungsgefahr.

Das Urteil des LAG wurde aufgehoben und zur Neuverhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.