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Dieser Sozialplan verstößt gegen Gleichbehandlungsgrundsatz

Sozialplan verstößt gegen Benachteiligungsverbot

Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 03.05.2015, Aktenzeichen 7 Sa 655/11

Sieht ein Sozialplan einen Abfindungszuschlag für Kinder vor, berücksichtigt aber nur auf der Lohnsteuerkarte eingetragene Kinder der Mitarbeiter, stellt dies eine mittelbare Benachteiligung von Mitarbeiterinnen dar, die wegen ihrer Lohnsteuerklasse keine eingetragenen Kinder vorweisen können.

Eine teilzeitbeschäftigte Mutter zweier Kinder arbeitete in einem Betrieb, der von den Stilllegungsplänen der Arbeitgeberin betroffen war. Arbeitgeberin und Gesamtbetriebsrat beschlossen einen Sozialplan. Abfindungsberechtigte Mitarbeiter erhielten neben der Grundabfindung einen Kinderzuschlag, soweit Kinder zum Stichtag auf der Lohnsteuerkarte eingetragen waren.

Der teilzeitbeschäftigten Mutter wurde ordentlich gekündigt. Sie erhielt die Grundabfindung nach Sozialplan. Da auf ihrer Lohnsteuerkarte keine Kinder eingetragen waren, erhielt sie nicht den Kinderzuschlag.

Nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses klagte die Mutter vor dem Arbeitsgericht. Sie forderte für ihre beiden Kinder jeweils den Kinderzuschlag zur Abfindung. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) verfolgte die Mutter ihre Klage weiter.

Im Begründungsschreiben zur Berufung führte die Mutter aus, verheiratete Eltern würden schlechtergestellt als unverheiratete. Steuerrechtlich sei die Eintragung der Kinder bei ihr gar nicht möglich. Die Regelung im Sozialplan diskriminiere sie als Frau. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes seien Frauen deutlich häufiger teilzeitbeschäftigt als Männer. Basierend auf der Teilzeitbeschäftigung wählten die Frauen die Lohnsteuerklasse V.

Die Arbeitgeberin argumentierte, die Mutter habe lediglich eine Teilgruppe der Mitarbeiter betrachtet. Es gebe weitere Mitarbeiter, deren Kinder nicht eingetragen werden könnten. Etwa weil die Kinder zu alt seien oder die Mitarbeiter in Lohnsteuerklasse V oder VI eingestuft seien.

Personen, die von der Regelung positiv betroffen sind, müssten als Vergleichsgruppe mit denen verglichen werden, die nicht betroffen sind. Es müssten alle Mitarbeiter betrachtet werden, die generell einen Anspruch auf Abfindung nach dem Sozialplan haben.

Die von der Arbeitgeberin gefundene Regelung sei aus Gründen von Nachweisbarkeit und Vereinfachung gerechtfertigt. Es würden speziell die Mitarbeiter mit der Sonderzahlung bedacht, die für ihre Kinder finanziell zu sorgen haben. Der Betriebsfrieden würde gestört, wenn Mitarbeiter ihrer Arbeitgeberin Nachweise für Abfindungen bringen müssten.

Das LAG hielt die Berufung für begründet. Die Mutter habe Anspruch auf den Kindergeldzuschlag für ihre beiden Kinder.

Nach dem Wortlaut des Sozialplans stehe der Mutter der Kindergeldzuschlag nicht zu, da die Kinder zum Stichtag auf der Lohnsteuerkarte vermerkt sein müssten. Diese Regelung im Sozialplan beinhalte eine mittelbare Benachteiligung wegen ihres Geschlechts und verstoße somit gegen das Benachteiligungsverbot nach dem AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz).

Eine mittelbare Benachteiligung nach dem AGG entstehe, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt. Das passiere etwa dann, wenn Personen durch scheinbar neutrale Kriterien wegen eines in §1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligt werden. Im §1 AGG ist das Ziel des Gesetzes formuliert, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Zur Prüfung der Benachteiligung sei die gesamte Gruppe der Begünstigten mit der gesamten Gruppe der Benachteiligten zu vergleichen. In den Vergleich seien alle Mitarbeiter einzubeziehen, die Anspruch auf eine Abfindung nach dem Sozialplan und unterhaltsberechtigte Kinder haben.

Der Kinderzuschlag wurde denjenigen Mitarbeitern nicht gewährt, deren unterhaltsberechtigte Kinder zum Stichtag nicht auf der Lohnsteuerkarte eingetragen waren. Damit liege eine Benachteiligung dieser Mitarbeiter vor. Benachteiligend nach dem AGG sei, dass mehr Frauen als Männer betroffen sind.

Die Mutter hat die Lohnsteuerklasse V. Im Gegensatz zu anderen Lohnsteuerklassen können nach § 38 b Absatz 2 EStG (Einkommensteuergesetz) keine Kinder auf der Lohnsteuerkarte eingetragen werden. Diese waren beim besser verdienenden Ehemann mit der Lohnsteuerklasse III eingetragen. In den Lohnsteuerklassen I, II und IV bestünde im Gegensatz zu Lohnsteuerklasse V die Möglichkeit, zumindest 0,5 Kinder eintragen zu lassen.

Die Wahl der Lohnsteuerklassenkombination III/V hänge von Verdienst und geleisteter Arbeitszeit ab. Die Arbeitszeit wird auch davon bestimmt, ob wegen der zu betreuenden Kinder Teilzeit gearbeitet wird.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes arbeiten 69% der berufstätigen Mütter in Teilzeit, aber nur 5% der Väter. Der Anteil berufstätiger Mütter mit der Lohnsteuerklasse V ist deutlich größer als der Anteil der Männer. Im Jahr 2011 lag der Anteil der Frauen in Lohnsteuerklasse V bei 90%. In der Lohnsteuerklasse III betrug der Männeranteil 80%. Damit sei klar, dass eine Regelung im Sozialplan, die nur eingetragene Kinder auf der Lohnsteuerkarte berücksichtigt, mehr Frauen betrifft. Diese unterschiedliche Behandlung sei nicht durch ein sachliches Ziel gedeckt.

Der lediglich finanzielle Ansatz, die Versorgung der Kinder zu bewerten, sei tendenziell diskriminierend. Die persönliche Versorgung, die mehrheitlich durch Mütter erfolge, stelle keine geringere Leistung dar.

Das von der Arbeitgeberin angeführte Argument des Betriebsfriedens sei zu abstrakt um eine Benachteiligung zu rechtfertigen. Hingegen stelle die Berechenbarkeit der Kosten für den Sozialplan ein berechtigtes Interesse dar. Die Lohnsteuerklassen der Mitarbeiter könnten jedoch ohne besonderen Aufwand ohne Beteiligung der Mitarbeiter elektronisch festgestellt werden.

Das Ziel der betrieblichen Regelung hätte also auf einem anderen nicht diskriminierenden Weg erreicht werden können. Deshalb ist die Regelung im Sozialplan unwirksam, der Mutter steht der Kindergeldzuschlag für beide Kinder in voller Höhe zu.