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Verhaltensregelung für Arbeitnehmer unterliegt dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats

Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Arbeitsunfähigkeit

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.08.2016, Aktenzeichen 1 ABR 43/14

Eine Regelung zu Nachweispflichten von Arbeitnehmern bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrats nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Der Gesamtbetriebsrat ist nicht zuständig.

Die Arbeitgeberin beschäftigt bundesweit rund 15 000 Arbeitnehmer in 72 Betrieben. Insgesamt 30 Betriebsräte haben einen Gesamtbetriebsrat gebildet. In einer Gesamtbetriebsverordnung zwischen Arbeitgeberin und Gesamtbetriebsrat wurden Regeln über das Verhalten der Arbeitnehmer bei Arbeitsunfähigkeit festgelegt. Darin ist unter anderem festgelegt, dass Arbeitnehmer ab dem ersten Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtlicher Dauer vorzulegen haben.

Einer der Betriebsräte bestritt die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats. Er machte geltend, die Mitbestimmung stehe den örtlichen Betriebsräten zu.

Die Arbeitgeberin leitete darauf hin beim Arbeitsgericht ein Beschlussverfahren ein. Sie vertrat die Auffassung, sie könne selbst über die Möglichkeit nach § 5 Absatz 1 Satz 3 EFZG (Entgeltfortzahlungsgesetz) entscheiden, abweichend von den gesetzlichen Vorgaben Nachweispflichten bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit zu regeln. Für diesen teilmitbestimmten Regelungsgegenstand könne sie den kollektivrechtlichen Partner selbst wählen.

Der Betriebsrat hingegen beantragte, feststellen zu lassen, dass dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bezüglich der Nachweispflichten im Krankheitsfall zustehe. Es bestehe kein zwingendes Bedürfnis für eine betriebsübergreifende Regelung.

Das Arbeitsgericht gab dem Antrag der Arbeitgeberin statt und wies den Gegenantrag des Betriebsrats ab. Der Betriebsrat legte Beschwerde beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Das LAG entsprach dem Antrag des Betriebsrats.

Die Arbeitgeberin legte Rechtsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht (BAG) ein. Das BAG bestätigte, der Gesamtbetriebsrat sei nicht für Regelungen der Nachweispflicht bei Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit zuständig.

Das BAG legte den Antrag der Arbeitgeberin so aus, dass sie feststellen lassen möchte, ob das in dieser Angelegenheit bestehende Mitbestimmungsrecht nach § 87 Absatz 1 Nummer 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) dem Gesamtbetriebsrat zustehe.

Im Betrieb des beteiligten Betriebsrats fehle es an einer vom Betriebsrat mitbestimmten Regelung. Deshalb könne dort eine mit dem Gesamtbetriebsrat getroffene Vereinbarung zumindest freiwillig gelten. Es bleibe aber offen, wer Träger des Mitbestimmungsrechts in der streitigen Angelegenheit sei. Deshalb wolle die Arbeitgeberin feststellen lassen, dass dem örtlichen Betriebsrat in der von der Gesamtbetriebsverordnung geregelten Angelegenheit kein Mitbestimmungsrecht zustehe.

Neben dem Betriebsrat des betroffenen Unternehmens und dem Gesamtbetriebsrat waren alle weiteren örtlichen Betriebsräte am Verfahren zu beteiligen. Das hätten die Vorinstanzen rechtsfehlerhaft unterlassen. Die begehrte Feststellung betreffe auch alle übrigen Betriebsräte.

Der Feststellungsantrag der Arbeitgeberin sei jedoch unbegründet. Die Regelung zur Nachweispflicht bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit unterliege der Mitbestimmung nach § 87 Absatz 1 Nummer 1 BetrVG. Für deren Ausübung sei der Betriebsrat zuständig. Eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nach § 50 Absatz 1 Satz 1 BetrVG bestehe nicht.

Der Betriebsrat habe bei Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Das regelhafte Verlangen der Arbeitgeberin, unabhängig von einer Arbeitsleistung in einer bestimmten Form und einer bestimmten Frist die Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen, betreffe das betriebliche Ordnungsverhalten. Der Betriebsrat habe an der Ausgestaltung des Regelungsspielraumes nach § 5 Absatz 1 EFZG mitzubestimmen.

Es stehe im freien Ermessen der Arbeitgeberin, ob sie im Einzelfall von einem Arbeitnehmer abweichend von § 5 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 EFZG die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlange. Stelle sie aber eine Regel für alle Arbeitnehmer auf, schaffe sie einen kollektiven Sachverhalt, den der Betriebsrat mitzubestimmen habe.

Die Ausübung des Mitbestimmungsrechts liege grundsätzlich beim von den Arbeitnehmern unmittelbar gewählten Betriebsrat. Nur Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und für die ein zwingendes Erfordernis der betriebsübergreifenden Regelung bestehe, seien dem Gesamtbetriebsrat nach § 50 Absatz 1 Satz 1 BetrVG zuzuweisen. Unterliegt bereits das „Ob“ der Maßnahme oder Leistung der Mitbestimmung, vermögen weder Zweckmäßigkeitserwägungen noch der bloße Wunsch des Arbeitgebers nach einer betriebsübergreifenden Regelung eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats herbeizuführen.

Das von der Arbeitgeberin bekundete Interesse an einheitlichen Arbeitsbedingungen für alle Mitarbeiter begründe ebenfalls keine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats. Hierbei handele es sich um eine reine Zweckmäßigkeitserwägung. Sie sei bei der Prüfung der gesetzlichen Zuständigkeit eines Gesamtbetriebsrats unbeachtlich.