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Mitbestimmung des Betriebsrats bei mehreren Tarifverträgen im Betrieb

Mitbestimmung bei Vergütungsordnung in tarifpluralem Betrieb

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.08.2016, Aktenzeichen 1 ABR 15/14

Ist eine Arbeitgeberin an zwei oder mehr tarifliche Vergütungsordnungen mit unterschiedlichen Gewerkschaften gebunden, ist sie grundsätzlich verpflichtet, unter Beteiligung des Betriebsrats die Arbeitnehmer den Entgeltgruppen der jeweiligen betriebsverfassungsrechtlich geltenden Vergütungsordnung zuzuordnen.

Die Arbeitgeberin ist als Bank Mitglied im Arbeitgeberverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (AVR). Die AVR vereinbarte mit mehreren Gewerkschaften jeweils eigenständige, aber inhaltlich gleiche Tarifverträge. 2004 wurden die Tarifverträge inhaltsgleich und eigenständig neu gefasst. Die Gehaltstarifverträge wurden zu Ende Mai 2006 gekündigt. Den Manteltarifvertrag mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) kündigte die AVR zu Ende Februar 2013. Mit zwei weiteren Gewerkschaften schloss der AVR im Jahr 2008 jeweils inhaltsgleiche Manteltarifverträge ab, mit geänderter Vergütungsstruktur für die Anrechnung von Berufsjahren und Bildung von Berufsgruppen.

Die Arbeitgeberin lehnte es in der Folgezeit ab, die Zustimmung des Betriebsrats für Umgruppierungen nach den mit ver.di vereinbarten Tarifverträgen einzuholen. Der Betriebsrat hingegen vertrat die Auffassung, die Arbeitgeberin könne die betriebliche Vergütungsordnung nicht einseitig ändern.

Der Betriebsrat beantragte beim Arbeitsgericht feststellen zu lassen, dass die Arbeitgeberin verpflichtet sei, die Ein- und Umgruppierungen von Arbeitnehmern nach den Tarifgruppen entsprechend dem zwischen ver.di und AVR abgeschlossenen Manteltarifvertrag der Genossenschaftsbanken in Verbindung mit § 2 des Gehaltstarifvertrages (GTV) vorzunehmen, solange keine Ablösung durch eine Betriebsvereinbarung oder einen diese ersetzenden Spruch der Einigungsstelle erfolgte.

Die Arbeitgeberin beantragte die Abweisung des Antrages. Sie argumentierte, die mit ver.di vereinbarten Tarifverträge seien für die Ein- und Umgruppierung unbeachtlich, da altersdiskriminierend. Die Tarifbindung der betrieblichen Vergütungsordnung bestimme sich nach den mit den Gewerkschaften DBV (Deutschen Bankangestellten-Verband e.V ) und DHV (Die Berufsgewerkschaft e.V. ) geschlossenen Tarifverträgen. Diese Tarifverträge seien für Arbeitnehmer auch günstiger.

In einem tarifpluralen Betrieb verdrängten diese Tarifverträge eine lediglich auf nachwirkenden Tarifverträgen beruhende Vergütungsordnung. Für Einstellungen seit Anfang März 2013 erfasse die arbeitsvertragliche Bezugsklausel die mit ver.di geschlossenen Tarifverträge nicht mehr. Für diese Personengruppe seien darauf bezogene Ein- oder Umgruppierungen im Zustimmungsverfahren nach § 99 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) nicht mehr vorzunehmen.

Das Arbeitsgericht wies den Antrag des Betriebsrats ab. Das Landesarbeitsgericht (LAG) gab der Beschwerde des Betriebsrats statt. Mit der Rechtsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) begehrte die Arbeitgeberin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Das BAG erklärte, der Antrag bedürfe der Auslegung. Der Antrag des Betriebsrats bringe nicht ausreichend eindeutig zum Ausdruck, ob für Ein- und Umgruppierungen nur oder auch die mit ver.di abgeschlossenen Tarifverträge gelten sollen. Aus dem Antrag des Betriebsrats ergebe sich aber, dass sich im Rahmen von Zustimmungsverfahren nach § 99 BetrVG die Ein- und Umgruppierung der Arbeitnehmer ausschließlich auf die Vergütungsordnung nach dem Manteltarifvertrag ver.di 2004 in Verbindung mit dem Gehaltstarifvertrag ver.di 2004 stützen sollten.

Der Betriebsrat habe ausgeführt, die Arbeitgeberin müsse bei mehreren möglichen Schemata dasjenige nehmen das bisher galt. Hilfsweise das Schema, in dem die meisten Gewerkschaftsmitglieder sind. In diesem Fall das ver.di-Schema. Der Betriebsrat habe argumentiert, das Arbeitsgericht sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass es in einem Betrieb kein einheitliches Eingruppierungsschema geben müsse.

Der Betriebsrat wolle mit seinem Antrag jedoch kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Absatz 1 Nummer 10 festgestellt wissen, wie er bereits erstinstanzlich ausgeführt habe.

Das BAG erklärte, der Feststellungsantrag des Betriebsrats sei unbegründet. Neben der mit ver.di vereinbarten Vergütungsordnung gelte bei Ein- und Umgruppierungen zumindest, was sich aus den mit dem DBV geschlossenen Tarifverträgen ergebe.

Die tarifgebundene Arbeitgeberin ist betriebsverfassungsrechtlich verpflichtet, die tarifliche Vergütungsordnung unabhängig von der Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer im Betrieb anzuwenden, soweit Gegenstände des erzwingbaren Mitbestimmungsrechts nach § 87 Absatz 1 Nummer 10 BetrVG berührt sind.

Die Pflichten der Arbeitgeberin würden erweitert, wenn sie an zwei tarifliche Vergütungsordnungen mit unabhängig voneinander geltenden Entgeltsystemen gebunden ist. Sie sei damit verpflichtet, die Arbeitnehmer unter Beteiligung des Betriebsrats den jeweiligen Entgeltgruppen der beiden Vergütungsordnungen zuzuordnen.

Die Arbeitgeberin war zumindest bis Ende Mai 2006 und Ende Februar 2013 an Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften unmittelbar und zwingend gebunden. Das seien zumindest die mit ver.di und dem DBV getroffenen Vereinbarungen.

Zwei tarifliche Vergütungsordnungen, die mit unterschiedlichen Gewerkschaften abgeschlossen wurden, gelten unabhängig voneinander für die jeweiligen Arbeitnehmer. Die Tarifverträge des DBV würden nicht von den Tarifverträgen der Gewerkschaft ver.di verdrängt.

Ende die unmittelbare und zwingende Wirkung eines Tarifvertrags aufgrund seiner Kündigung, blieben die im Betrieb geltenden Grundsätze der betreffenden tariflichen Vergütungsordnung das für den Betrieb maßgebliche kollektive Entgeltschema. Dazu müssten die Vergütungsgrundsätze nicht durch Betriebsvereinbarung, Gesamtzusage oder einzelvertragliche Regelung auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt werden. Der Eintritt der Nachwirkung im Sinne von § 4 Abs. 5 TVG (Tarifvertragsgesetz) habe lediglich zur Folge, dass das im Betrieb geltende kollektive, abstrakte Entgeltschema und die in ihm zum Ausdruck kommenden Vergütungsgrundsätze nicht mehr zwingend gelten. Bis zu einem wirksamen Änderungsakt seien die bisher angewandten Grundsätze betriebsverfassungsrechtlich weiterhin die geltenden Entlohnungsgrundsätze.

Eine betriebliche Vergütungsordnung, die auf einem nachwirkenden Tarifvertrag beruhe, werde nicht durch den Abschluss von Tarifverträgen mit einer anderen Gewerkschaft abgelöst und nicht durch das Günstigkeitsprinzip nach § 4 Absatz 3 TVG (Tarifvertragsgesetz) verdrängt. Die Ablösung eines Tarifvertrages könne nur unter Beteiligung von identischen Normgebern erfolgen.

Mit dem Günstigkeitsprinzip werde das kollidierende Verhältnis von individualvertraglich vereinbarten und den tariflich geregelten Arbeitsbedingungen geregelt. Das Verhältnis unterschiedlicher Tarifverträge zwischen unterschiedlichen Vertragsparteien werde davon nicht berührt.

Der von der Arbeitgeberin pauschal behauptete Verstoß der Tarifverträge gegen das Verbot der Altersdiskriminierung führe nicht zum Wegfall der bestehenden betrieblichen Vergütungsordnung. Sollten einzelne Bestimmungen altersdiskriminierend sein, so seien diese nicht anzuwenden.

Die tariflichen Vereinbarungen mit dem DBV seien ebenso Bestandteil der betrieblichen Vergütungsordnung, wie die mit ver.di vereinbarten. Die Arbeitgeberin sei Mitglied im AVR. Dieser habe eigenständige, wenn auch inhaltsgleiche Verträge mit ver.di und DBV abgeschlossen. Diese Verträge wurden Bestandteil der betrieblichen Vergütungsordnung. Unabhängig davon, ob sie inhaltsgleich sind. Nimmt die Arbeitgeberin Ein- und Umgruppierungen nach den mit dem DBV vereinbarten Tarifverträgen vor, wendet sie eine bestehende betriebliche Vergütungsordnung an und führt keine andere ein.

Im Betrieb der Arbeitgeberin kommen die vom AVR mit ver.di und DBV abgeschlossenen Vereinbarungen als betriebliche Vergütungsordnungen betriebsverfassungsrechtlich zur Anwendung. Es sei für diese Entscheidung nicht erheblich, ob das auch für die mit dem DHV geschlossenen Vereinbarungen zutreffe, während in einem anderen anhängigen Verfahren die Tariffähigkeit des DHV geprüft wird.