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Entspricht eine Freistellung von der Arbeit einer Weiterbeschäftigung?

Arbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.09.2016, Aktenzeichen 9 Sa 812/16

Wird eine Freistellung zur Vermeidung der Vollstreckung der Weiterbeschäftigung zwischen Arbeitgeberin und Mitarbeiter vereinbart, kann die Freistellung einer tatsächlich erfolgten Weiterbeschäftigung entsprechen.

Unterliegt der Arbeitnehmer im Kündigungsrechtsstreit, ist er nicht verpflichtet, das für die Zeit der Freistellung erhaltene Entgelt zurückzuzahlen.. Ein Arbeitsgruppenleiter, beschäftigt als Arbeitnehmer eines Bundeslandes, erhielt zum Jahresende 2013 seine Kündigung und erhob dagegen eine Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht stellte im Mai 2014 die Unwirksamkeit der Kündigung fest. Es verurteilte das Land als Arbeitgeberin zur vorläufigen Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.

Das Land erklärte im Juni 2014, es lägen die Voraussetzungen für eine Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht vor. Eine Vollstreckung der Weiterbeschäftigung sei wegen eines Hausverbots nicht möglich. Das Land nahm jedoch ohne Anerkennung einer Rechtspflicht das außergerichtliche Angebot an, den Arbeitsgruppenleiter sozialversicherungsrechtlich anzumelden. Zusätzlich werde der Arbeitsgruppenleiter widerruflich von der Erbringung seiner Arbeitsleistung freigestellt. Beides erfolge unter der auflösenden Bedingung einer Entscheidung des LAG zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Anfang August 2014 erklärte das beklagte Land, es habe Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 28. Juli 2014 zur Zwangsvollstreckung eingelegt. Zur Abwendung der Zwangsvollstreckung zur Weiterbeschäftigung werde man die bezahlte Freistellung und eine umgehende sozialversicherungsrechtliche Anmeldung vornehmen.

Vom 11. Juni bis 31. August 2014 zahlte das Land Entgelt und meldete den Arbeitsgruppenleiter bei der Sozialversicherung an.

Mit dem Urteil des LAG vom 17. Oktober 2014 wurde das Urteil des Arbeitsgerichts rechtskräftig aufgehoben, die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Im November 2014 verlangte die Arbeitgeberin die Rückzahlung des zwischen dem 11. Juni und 31. August gezahlten Entgelts.

Nachdem der Arbeitsgruppenleiter die Rückzahlung ablehnte, reichte die Arbeitgeberin vor dem Arbeitsgericht Klage ein und beantragte, den Arbeitsgruppenleiter zur Rückzahlung des Entgeltes zu verurteilen. Die Zahlung sei lediglich zur Abwehr von Zwangsmaßnahmen erfolgt.

Der Arbeitsgruppenleiter beantragte die Klageabweisung. Die Zahlung des Entgeltes basiere auf einem Vergleich. Das Land habe ihn vereinbarungsgemäß freigestellt und ab 11. Juni das Entgelt bezahlt. Die Zahlung sei ohne Begründung zum 31. August eingestellt worden.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Die Parteien hätten nach dem Erlass der Zwangsvollstreckung ein Prozessrechtsverhältnis vereinbart, das der Rückforderung entgegenstehe.

Gegen das Urteil legte die Arbeitgeberin beim Landesarbeitsgericht Berufung ein. Der Arbeitsgruppenleiter sei mit dem Versuch ihn tatsächlich zu beschäftigen gescheitert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei in der Berufungsverhandlung vor dem LAG zurückgenommen worden. Damit stünde bindend fest, dass keine Vereinbarung zustande gekommen sei. Selbst für den Fall eines Prozessarbeitsverhältnisses sei die Arbeitsleistung Voraussetzung für einen Vergütungsanspruch. Im Nachgeben gegenüber einer Zwangsvollstreckung liege keine Willenserklärung.

Das LAG erklärte, es liege kein fortbestehendes Arbeitsverhältnis vor, das eine Rechtsgrundlage für Ansprüche auf Entgelt bzw. Annahmeverzug bieten könnte. Es erfolgte auch keine tatsächliche Beschäftigung, die Ansprüche auf Entgelt begründen könnte. Zur Vermeidung der geforderten vorläufigen Weiterbeschäftigung erfolgte jedoch eine Freistellung. Diese Freistellung stehe der Rückforderung des gezahlten Entgeltes entgegen.

Die Freistellung sei im vorliegenden Fall wie eine tatsächlich erfolgte vorläufige Weiterbeschäftigung zu behandeln. Zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung
sei die Freistellung vereinbart worden. Damit hätten die Parteien vereinbart, dass die Zeit der Freistellung entsprechend einer tatsächlichen per Zwangsvollstreckung durchgesetzten Beschäftigung, d.h. einer Prozessbeschäftigung zu behandeln sei.

Die Arbeitgeberin habe nicht erklärt, sie verweigere weiterhin eine tatsächliche Weiterbeschäftigung. Hingegen erfolgte eine Freistellung, die wiederum gedanklich eine Beschäftigung voraussetze. Die Arbeitgeberin habe nicht lediglich angekündigt, sie werde Annahmeverzugsentgelt unter dem Vorbehalt einer Rückforderung zahlen. Da der Arbeitsgruppenleiter wegen der erfolgten Kündigung nicht mehr zur Arbeit verpflichtet war, bedurfte es keiner Freistellung. Die Anrechnung der Freistellung auf Erholungsurlaub spreche für die Freistellung von einer sonst zu erfolgenden Beschäftigung.

Das beschäftigende Land habe sich nicht dem Vollstreckungsdruck zur vorläufigen Weiterbeschäftigung gebeugt. Es habe ein anderes Angebot zur Vermeidung der ungewollten Weiterbeschäftigung unterbreitet.

Dem Arbeitsgruppenleiter habe für die Zeit der Freistellung ein Entgelt zugestanden, das im Falle der tatsächlichen Weiterbeschäftigung gezahlt worden wäre. Die Freistellung wurde mit Schriftsatz vom 19. Juni 2016 vereinbart und gelte seit diesem Zeitpunkt. Es gebe jedoch keine Anhaltspunkte für die Annahme des Arbeitsgerichts, die Freistellung habe bereits am 11. Juni begonnen.

Die bloße Geltendmachung der Weiterbeschäftigung und eine etwaige Androhung der Zwangsvollstreckung begründeten keine Entgeltansprüche. Allein aus der tatsächlich erfolgten Zahlung ergebe sich weder eine Freistellung noch ein Rechtsgrund für die Zahlung. Der Erlass eines Zwangsvollstreckungsbeschlusses begründe keine Freistellung.

Da für die Zeit vom 11. Juni 2014 bis 19. Juni 2014 eine Zahlung erfolgte, der weder eine der Arbeitsleistung gleichzusetzende Freistellung gegenüberstand noch ein Rechtsgrund hierfür vorlag, sei der Arbeitsgruppenleiter gemäß § 812 Absatz 1 Satz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) zur Rückzahlung verpflichtet. Die Rückzahlungsverpflichtung beziehe sich aber nur auf diesen Zeitraum, nicht auf den Zeitraum vom 19. Juni 2014 bis 31. August 2014.

Es führe zu keinem rückwirkenden Wegfall der Freistellung, dass diese unter der auflösenden Bedingung einer die Beendigung des Arbeitsverhältnisses feststellenden Entscheidung des Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg erfolgte.

Eine rückwirkend auflösende Bedingung sei nicht vereinbart worden. Der Arbeitsgruppenleiter habe auf der Grundlage eines bestehenden Vollstreckungstitels eine tatsächliche Beschäftigung verlangt, die nur zu diesem Zeitpunkt leistbar war. Daran anknüpfend habe das Land die Freistellung erklärt. Die Möglichkeit eines rückwirkenden Entzugs der Freistellung könne damit nicht gemeint sein, da es an rückwirkender Arbeitsleistung mangelt. Ein Angebot einer rückwirkend wegfallenden Freistellung sei in sich widersprüchlich.

Das Land habe keine bloße Zahlung von Entgelt unter dem Vorbehalt der Rückforderung im Falle des Obsiegens im Kündigungsrechtsstreit angeboten, sondern ausdrücklich eine Freistellung.

Unter Berücksichtigung der dargelegten Betrachtungen war das Entgelt für den Zeitraum der Freistellung nicht zurückzuzahlen.