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Missbrauch mehrfach befristeter Arbeitsverhältnisse

Mehrfach befristete Arbeitsverhältnisse zur Vertretung im Schulbetrieb

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.10.2016, Aktenzeichen 7 AZR 135/15

Mehrfach befristete Arbeitsverhältnisse unterliegen häufig dem Missbrauchsverdacht. Befristete Arbeitsverhältnisse mit dem Sachgrund der Vertretung werden im Schulbetrieb selbst bei 15 Verlängerungen nicht als institutioneller Missbrauch angesehen.

Ein Diplom-Trainer wurde an einem städtischen Gymnasium als Vertretungslehrer im Fach Sport beschäftigt. In der Zeit von Oktober 2007 bis Februar 2014 war er ohne Unterbrechung in befristeten Arbeitsverhältnissen tätig.

Mit seiner Klage vor dem Arbeitsgericht beantragte der Diplom-Trainer festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht mit der Befristung des bis Februar 2014 geltenden Arbeitsvertrages geendet habe, sondern als unbefristetes Arbeitsverhältnis darüber hinaus fortbestehe.

Das beklagte Land beantragte die Klageabweisung. Das bis Februar 2014 vereinbarte befristete Arbeitsverhältnis sei durch den Sachgrund der Vertretung gerechtfertigt. Die Gesamtlaufzeit der befristeten Arbeitsverträge von 6 Jahren und 4 Monaten begründe keinen institutionellen Rechtsmissbrauch. Für die Beurteilung des institutionellen Rechtsmissbrauches seien lediglich 16 befristete Arbeitsverträge von insgesamt 20 zu berücksichtigen. Der Arbeitsvertrag im Sommer 2008 habe lediglich dazu gedient, eine Vergütung während der Sommerferien zu zahlen. 4 weitere Arbeitsverträge seien nicht zu berücksichtigen, weil sie lediglich zur Erhöhung des Stundenvolumens des Diplom-Trainers gedient hätten.

Die Besonderheiten der Unterrichtsplanung an Schulen seien zu berücksichtigen. Wechselnder Vertretungsbedarf unter Berücksichtigung schwankender Schülerzahlen, die Einstellung neuer Lehrkräfte, der selbständige Unterricht von Referendaren sowie ein  Epochal-Unterricht ließen nur die Prognose für ein Schulhalbjahr zu.

Es bestehe ein berechtigtes Interesse der Schulverwaltung, nur solche Lehrkräfte unbefristet einzustellen, die über eine Lehramtsbefähigung verfügen und zwei Fächer unterrichten können. Der Diplom-Trainer verfüge nicht über die Voraussetzungen, an Gymnasien zu unterrichten, erfülle die sonstigen Einstellungsvoraussetzungen nicht und könne nur das Fach Sport unterrichten.

Das Arbeitsgericht gab der Klage des Diplom-Trainers statt. Die Berufung des beklagten Landes wurde vom Landesarbeitsgericht (LAG) zurückgewiesen. Mit der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte das Land weiterhin die Klageabweisung.

Das BAG hob das Urteil des Arbeitsgerichtes auf und wies die Klage ab. Das Arbeitsverhältnis habe basierend auf der letzten Befristung im Februar 2014 geendet. Die Befristung sei durch den Sachgrund der Vertretung nach § 14 Absatz 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG (Teilzeit- und Befristungsgesetz) und § 21 Absatz 1 BEEG (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz) gerechtfertigt.

Ein sachlicher Grund für einen befristeten Arbeitsvertrag sei gegeben, wenn der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt werde. Vertretungsfälle seien Elternzeit, Beschäftigungsverbot nach dem Mutterschutzgesetz oder eine Arbeitsfreistellung zur Betreuung eines Kindes. Die Arbeitgeberin stehe zu dem ausgefallenen Mitarbeiter in einem Rechtsverhältnis und rechne mit seiner Rückkehr. Damit bestehe nur ein zeitlich begrenztes Beschäftigungsbedürfnis für den Einsatz eines vertretenden Arbeitnehmers.    

Der Sachgrund der Vertretung setze voraus, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem zeitweiligen Ausfall des Vertretenden und der Vertretungskraft bestehe. Bei Vertragsabschluss sei zu beurteilen, ob der Bedarf für die Beschäftigung des Vertreters auf die Abwesenheit des ausgefallenen Mitarbeiters zurückzuführen sei.

Ein ursächlicher Zusammenhang könne auch dann vorliegen, wenn der Vertreter nicht unmittelbar die Aufgaben des Abwesenden übernimmt. Wird die Tätigkeit des zeitweise ausgefallenen Arbeitnehmers nicht vom Vertreter, sondern einem oder mehreren anderen Arbeitnehmern ausgeführt und dem Vertreter wird deren Tätigkeit übertragen, müsse zur Darstellung des ursächlichen Zusammenhanges die Vertretungskette von der Arbeitgeberin dargestellt werden.

Im vorliegenden Fall des Diplom-Trainers habe für den letzten Arbeitsvertrag eine mittelbare Vertretung vorgelegen. Die zu vertretende Lehrerin befand sich in Elternzeit. Die Arbeitgeberin habe die Vertretungskette detailliert dargelegt. Es sei keine Gegenrüge gegen diese Darstellung erhoben worden.

Führe ein Gericht eine Befristungskontrolle durch, dürfe es sich nicht nur auf den geltend gemachten Sachgrund beschränken. Aus unionsrechtlichen Gründen seien die Gerichte verpflichtet, alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und damit auszuschließen, dass die Arbeitgeberin missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreife. Es müsse die Zahl der mit einer Person oder zur Verrichtung der gleichen Arbeit abgeschlossenen aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträge berücksichtigt werden. Die entsprechende Prüfung sei im deutschen Recht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) durchzuführen.

Von Bedeutung könne es sein, ob der vertretende Arbeitnehmer stets auf demselben Arbeitsplatz mit denselben Aufgaben betraut wurde, oder ob es sich um wechselnde unterschiedliche Aufgaben handele. Für eine missbräuchliche Ausnutzung der Befristung spreche, wenn gegenüber einem langjährig beschäftigten Arbeitnehmer immer wieder auf befristete Verträge zurückgegriffen werde, obwohl eine Möglichkeit der dauerhaften Einstellung vorhanden sei.

Sachgrundlose Befristungen sind nach § 14 Absatz 2 Satz 1 TzBfG bis zur Höchstdauer von 2 Jahren und maximal dreimaliger Verlängerung möglich. Liegt ein Sachgrund vor, könne erst bei erheblicher Überschreitung dieser Grenzwerte auf Missbrauch geschlossen werden. Es müsse das Vierfache eines der beiden Werte oder das Dreifache beider Werte überschritten werden. Demnach könnten mit einem Sachgrund befristete Arbeitsverhältnisse abgeschlossen werden, solange insgesamt sechs Jahre und gleichzeitig neun Vertragsverlängerungen nicht überschritten wurden. Überschreite die Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses acht Jahre oder wurden mehr als zwölf Verlängerungen des befristeten Arbeitsvertrags vereinbart, hänge es von den weiteren, zunächst vom Betroffenen vorzutragenden Umständen ab, ob ein Rechtsmissbrauch anzunehmen sei.

Von einem indizierten Rechtsmissbrauch sei in der Regel auszugehen, wenn einer der beiden Werte nach  § 14 Absatz 2 Satz 1 TzBfG um mehr als das Fünffache überschritten wurde, oder beide Werte mehr als das Vierfache betragen. In Zahlen ausgedrückt bedeute das, ein Rechtsmissbrauch sei indiziert, wenn die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses 10 Jahre überschritten hat oder mehr als 15 Vertragsverlängerungen vereinbart wurden oder zwölf Vertragsverlängerungen bei mehr als 8 Jahren vorliegen. Die Arbeitgeberin habe aber die Möglichkeit, besondere Umstände vorzutragen, die die Annahme des indizierten Gestaltungsmissbrauchs entkräften.

Nach diesen Grundsätzen könne sich das Land auf den Sachgrund der Vertretung berufen. Die Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses belaufe sich auf 6 Jahre und vier Monate. Es seien 15 Verlängerungen und damit 16 befristete Arbeitsverträge zugrunde zu legen.
Es seien zwar 19 Arbeitsverträge abgeschlossen worden. Davon würden 3 nicht für die Anzahl der Vertragsverlängerungen zählen, da sie jeweils parallel zu anderen Verträgen geschlossen wurden. Der Vertrag vom Sommer 2008, der nur zur Vergütung der Sommerferien abgeschlossen wurde, sei ebenfalls nicht zu berücksichtigen. Damit sei die Schwelle von mehr als 16 befristeten Arbeitsverträgen, die einen Rechtsmissbrauch indiziert, nicht überschritten worden.

Das LAG sei jedoch zutreffend davon ausgegangen, dass die Rechtsmissbrauchsprüfung gegeben sei, da das Arbeitsverhältnis die Gesamtdauer von 6 Jahren überschreitet und 15 Vertragsverlängerungen vorliegen. Der Diplom-Trainer habe jedoch keine hinreichenden weiteren Punkte vorgetragen, die für einen Missbrauch sprächen.

Die durchgängige Beschäftigung des Diplom-Trainers als Lehrer in nahezu unverändertem Stundenumfang an derselben Schule im Fach Sport begründe keinen Rechtsmissbrauch. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des letzten Arbeitsvertrages habe kein dauerhafter Bedarf für die Beschäftigung des Diplom-Trainers als Sportlehrer bestanden. Seine Vollzeitbeschäftigung würde umfangreiche Umverteilungen von Unterrichtsstunden innerhalb der Schule bedeuten. Die beschränkte fachliche Flexibilität des Diplom-Trainers, die einen erhöhten Organisationsaufwand nach sich ziehe, würde gegen die Annahme eines Rechtsmissbrauchs sprechen.

Die Arbeitsverträge hätten teilweise mit dem Schuljahr, Schulhalbjahr bzw. mit den anschließenden Ferien und nicht mit der prognostizierten vorübergehenden Abwesenheit der Lehrkräfte, mit der das beklagte Land den Vertretungsbedarf gerechtfertigt hat, geendet. Die Personalplanung im Schulbereich erfordere jedoch eine komplexe Unterrichtsplanung, entsprechend den Anforderungen von Jahrgang und Lehrplan.

Der Vertretungsbedarf an Schulen hänge von sich ständig verändernden Umständen ab, die eine Personalplanung für das Schulhalbjahr rechtfertigten. Neben dem Umfang der zur Verfügung stehenden Lehrkräfte sei maßgeblich, welche Fächer jeweils abgedeckt werden könnten. Damit sei es gerechtfertigt, den Vertretungsbedarf nicht nur am voraussichtlichen Ende des Bedarfs wie etwa Ablauf des Mutterschutzes oder Sonderurlaubes zu orientieren, sondern vorrangig am Ende eines Schulhalbjahres. Wegen dieser Besonderheiten im Schulbereich könne ein weitergehendes Vertretungskonzept nicht verlangt werden.

Die schulhalbjährliche Planung stelle eine nachvollziehbare branchentypische Besonderheit des Schulbetriebes dar, die für das Schulhalbjahr befristete Arbeitsverträge rechtfertige, trotz eines darüber hinaus bestehenden konkreten Vertretungsbedarfes.

Von einem institutionellen Missbrauch hätte nur dann ausgegangen werden können, falls die befristeten Arbeitsverträge nicht dem konkreten Vertretungsbedarf entsprächen und nicht mit dem jeweiligen Schulhalbjahr endeten.