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Verzicht auf Rechte aus Tarifvertrag muss transparent sein

Transparenz einer Verzichtserklärung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.12.2016, Aktenzeichen 6 AZR 478/15

Soll in einer vorformulierten Erklärung auf tarifvertragliche Rechte verzichtet werden, ist die Regelung nur wirksam, wenn für den Arbeitnehmer transparent erkennbar ist, dass von der vertraglichen Regelung abgewichen werden soll.

Eine Sachbearbeiterin war in der Abteilung Wohnungswesen bei den in Deutschland stationierten US-Streitkräften beschäftigt. Im Zusammenhang mit der stufenweisen Schließung von Truppenstandorten wurde die Sachbearbeiterin ab Juli 2011 vorübergehend als aufsichtsführende Sachbearbeiterin gehaltlich höher eingestuft. Ab Anfang Februar 2012 wurde ihr vorübergehend die höher bewertete Stelle einer Abteilungsleiterin übertragen. Das Arbeitsverhältnis endete durch eine betriebsbedingte Kündigung zum 30.September 2013.

 

Im Dezember 2012 und Juni 2013 unterschrieb die Sachbearbeiterin eine gleichlautend von der Arbeitgeberin vorformulierte Einverständniserklärung. Darin war formuliert, dass die Fortsetzung ihrer befristeten Höhergruppierung zum 30. September 2013 beendet wird. Weiterhin war für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit ordentlicher Kündigung geregelt, dass Ansprüche aus dem geltenden Tarifvertrag nach der gehaltlichen Eingruppierung bemessen werden, die vor Ausübung der höherwertigen Tätigkeit galt.

Für den Zeitraum nach dem Kündigungstermin stand der Sachbearbeiterin unstreitig nach dem Tarifvertrag eine von der Arbeitgeberin zu zahlende Überbrückungshilfe zu. Streitig war jedoch ob die Überbrückungshilfe auf der Grundlage eines Entgelts nach Gehaltsgruppe 7 oder der höheren Gehaltsgruppe 8 zu bemessen sei.

Laut Tarifvertrag berücksichtigt die tarifliche Überbrückungshilfe die Grundvergütung, die dem Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Entlassung für einen vollen Kalendermonat zustand.

Die Sachbearbeiterin beantragte beim Arbeitsgericht festzustellen, dass ihre Überbrückungshilfe nach der gehaltlichen Eingruppierung bemessen werde, die sie im letzten Monat ihres Arbeitsverhältnisses erhielt. Die Arbeitgeberin versuche, eine zwingende tarifliche Regelung zu umgehen. Die Einverständniserklärung sei wegen eines Verstoßes gegen § 4 Absatz 4 TVG (Tarifvertragsgesetz) nichtig. Dort ist die Verwirkung tariflicher Rechte ausgeschlossen. Ein Verzicht auf tarifliche Rechte ist nur in einem von den Tarifparteien gebilligten Vergleich zulässig.

Die Arbeitgeberin hingegen argumentierte, es sei nicht von Bedeutung, welche Vergütung die Sachbearbeiterin im letzten Monat ihres Arbeitsverhältnisses erhalten habe. Es komme darauf an, welche Vergütung sie zukünftig zu erwarten hätte. Basierend auf der Schließung der Dienststelle hätte sie nach dem 30. September nur noch Anspruch auf ihre frühere, niedrigere Entlohnung nach der Gehaltsgruppe C 7 gehabt.

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies die Berufung der Arbeitgeberin ab. Mit der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte die Arbeitgeberin weiterhin die Klageabweisung.

Das BAG bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen. Der Sachbearbeiterin stehe die Überbrückungsbeihilfe nach der höheren Gehaltsgruppe zu, obwohl sie die höher bezahlte Tätigkeit nur vorübergehend ausübte. Der § 4 in den Einverständniserklärungen verstoße gegen die in § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) gebotene Transparenz und sei damit nach § 306 Absatz 1 BGB nicht Bestandteil des Vertrages geworden.

Die Arbeitgeberin mache erfolglos geltend, dass die Formulierung im Tarifvertrag „im Zeitpunkt der Entlassung“ auf die Vergütung abziele, welche die Sachbearbeiterin nach der Schließung der Dienststelle hätte beanspruchen können.

Das BAG erläuterte, der Tarifvertrag bezeichne das im letzten Monat vor der Entlassung zustehende Entgelt als maßgeblich. Die Berechnung der Überbrückungsbeihilfe sei vergangenheitsbezogen. Als Bemessungsgrundlage gelte die tarifliche Grundvergütung, die dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Entlassung zustand. Damit sei klar geregelt, dass die Vergütungsgrundlage auf die Vergangenheit bezogen zu berechnen sei.

Die Überbrückungsbeihilfe sei eine soziale Sonderleistung, zur Sicherung des Lebensunterhalts der Arbeitnehmer und Überbrückung von Nachteilen die sich aus einem geringeren Verdienst in einem neuen Arbeitsverhältnis oder aufgrund von Arbeitslosigkeit ergeben. Zudem solle ein Anreiz dafür geschaffen werden, dass die Arbeitnehmer im Arbeitsprozess verbleiben, indem sie ein neues Arbeitsverhältnis außerhalb des Bereichs der Stationierungskräfte begründen.

Die tarifliche Grundvergütung soll nach Auffassung der Tarifparteien entsprechend dem gültigen Tarifvertrag auch dann maßgeblich für die Überbrückungsbeihilfe sein, wenn Arbeitnehmer vor ihrer Entlassung nur vorübergehend höhergruppiert waren. Für die Berechnung der Überbrückungsbeihilfe sei auch die Zulage benannt, die bei vertretungsweiser Übertragung einer höher bezahlten Tätigkeit zu zahlen ist. Obwohl den Tarifparteien bekannt war, dass eine solche Tätigkeit die Grundvergütung nur vorübergehend erhöht, haben sie diesen Entgeltbestandteil ausdrücklich und bewusst als Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Überbrückungsbeihilfe einbezogen. Diese Regelung sei vom Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien gedeckt.

Das BAG gibt zu bedenken, dass die tariflichen Vorgaben zur Berechnung der Überbrückungsbeihilfe für Arbeitnehmer, die vorübergehend höher gruppiert sind, zu Auseinandersetzungen führen könnten. Es könnte Streit darüber entstehen, ob die Übertragung der höheren Gehaltsgruppe so befristet werden dürfe, dass sie kurz vor der Entlassung ende. Der bloße Umstand, dass die tarifliche Regelung zu Streit Anlass geben könne, führe jedoch nicht zu ihrer Unwirksamkeit. Nicht zweckmäßige oder nicht sachgerechte tarifliche Regelungen seien dennoch rechtswirksam.

Die Sachbearbeiterin habe mit der Unterschrift unter die Erklärungen vom Dezember 2012 und Juni 2013 nicht rechtswirksam auf eine der tariflichen Vorgabe entsprechende Berechnung der an sie zu zahlenden Überbrückungsbeihilfe nach der Gehaltsgruppe C 8 verzichtet. Die Erklärungen hielten einer AGB-Kontrolle nicht stand.

Die Einverständniserklärungen seien vorformuliert und für eine Vielzahl von Anwendungsfällen vorgesehen. Die Ziffer 4 der Einverständniserklärung verstoße gegen das in § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB enthaltene Gebot der Abschlusstransparenz und sei deshalb gemäß § 306 Absatz 1 BGB nicht Vertragsbestandteil geworden. Die Überbrückungsbeihilfe sollte abweichend vom Tarifvertrag berechnet werden, ohne dass dies erkennbar sei. Der Sachbearbeiterin sei dadurch die Möglichkeit genommen worden, sachgerecht die Vor- und Nachteile der Abrede zu beurteilen.

Durch die fehlende Transparenz war die Sachbearbeiterin gehindert ihre Entschließungsfreiheit auszuüben, wie sie auf die Einverständniserklärung reagieren könne. Die Anschlusstransparenz war somit als Teilausprägung des Transparenzgebotes verletzt. Ein Arbeitnehmer könne seine Verhandlungsmöglichkeiten und Marktchancen nur dann interessengerecht wahrnehmen, wenn er ausreichend informiert ist. Das setze voraus, dass die Arbeitgeberin als wirtschaftlich stärkere Partei, dem Arbeitnehmer seine in den AGB aufgeführten Rechte und Pflichten hinsichtlich der Hauptleistungspflicht möglichst klar und durchschaubar macht.

Es war weder ersichtlich noch offenkundig, dass Ziffer 4 der Einverständniserklärung die entscheidende Bedeutung der Erklärung enthielt und eine grundlegende, für die Sachbearbeiterin nachteilige Bedeutung hatte. Die Sachbearbeiterin konnte deshalb die Vor- und Nachteile der von ihr verlangten Erklärung nicht beurteilen. Sie war dadurch gehindert, etwa bessere Bedingungen zu verlangen oder die angebotene Tätigkeit abzulehnen. Es wäre ein Hinweis auf die tatsächliche Bedeutung der Klausel und deren Abweichung von den tariflichen Vorgaben notwendig gewesen.

Eine ergänzende Vertragsauslegung sei nicht erforderlich, da durch den Wegfall der Klausel in Ziffer 4 der Einverständniserklärung keine vertragliche Lücke entstehe.