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Interessenabwägung bei fristloser Kündigung

Fristlose Kündigung während Freistellung

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.11.2016, Aktenzeichen 5 Sa 1201/16

Entstehen Pflichtverletzungen zum Ende des Arbeitsvertrages und während einer Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeit, kann dies zugunsten des Arbeitnehmers in der Interessenabwägung berücksichtigt werden.

Ein Investmentleiter war bei einem Projektentwicklungsunternehmen in der Immobilienwirtschaft tätig. Ende August 2015 wurde von den beiden Geschäftsführern und dem Investmentleiter ein Aufhebungsvertrag unterzeichnet, der das Arbeitsverhältnis zu Ende Januar 2016 beendete. Eine Abfindungszahlung war hälftig mit der Auszahlung der Vergütung für September, hälftig mit der Vergütung für Januar 2016 fällig. Das Ausscheiden des Investmentleiters sowie der Beginn seiner selbständigen Tätigkeit zum 1. Oktober 2015 wurde einen Tag nach der Unterzeichnung während einer Führungsgruppensitzung bekannt gegeben.

Nach dem letzten Arbeitstag des Investmentleiters entstand der Vorwurf, er habe Emails auf seinem dienstlichen Account gelöscht. Die erste Hälfte der Abfindung wurde mit der Vergütung für September 2015 ausgezahlt.

Anfang September war ein Verkaufsexposé für ein Immobilienobjekt zu erstellen. Der Investmentleiter beauftragte nach Absprache drei Maklerfirmen mit dem Vertrieb des Objektes.

Im November bot der Investmentleiter einer weiteren Maklerfirma die Mitarbeit an und erstellte im Namen des Immobilienunternehmens ein Exposé. Wenige Tage später erklärte ihm das Immobilienunternehmen, dass eine Zusammenarbeit mit ihm nicht möglich sei. Daraufhin teilte er der Maklerfirma mit, dass er das Objekt nicht mehr liefern könne, da ihm vom Eigentümer die Vertriebsgenehmigung entzogen wurde. Er teilte dem Immobilienunternehmen mit, dass er seine Vermarktungsaktivitäten eingestellt habe. Letztlich war ein guter Kunde Anfang Dezember 2015 bereit, das Objekt zu einem Preis, leicht über dem Mindestverkaufspreis, zu erwerben.

Beim Geschäftsführer     des Immobilienunternehmens entstand der Verdacht, der Investmentleiter habe vor seiner Freistellung bewusst nicht den aussichtsreichsten Makler beauftragt, um nach seiner Freistellung zu einem günstigeren Preis im Rahmen eines Gemeinschaftsgeschäftes im eigenen Namen beauftragen zu können. Er bat den Investmentleiter, dazu Stellung zu nehmen. Nach der Stellungnahme kündigte das Immobilienunternehmen im Dezember 2015 fristlos. Nach Aufforderung wurde der Dienstwagen des Investmentleiters im Dezember 2015 zurückgegeben.

Ende Dezember 2015 reichte der Investmentleiter eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht ein. Die Klage wurde bezüglich der nicht gezahlten Vergütung für Dezember 2015 und Januar 2016, der nicht gezahlten zweiten Hälfte der Abfindung, sowie eines Schadenersatzes für den Entzug des Dienstwagens im Monat Januar 2016 erweitert. Mit den Geschäftsführern sei zur Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages vereinbart gewesen, dass er als ersten selbständigen Auftrag das Objekt als selbständiger Makler verkaufen dürfe.

Die Arbeitgeberin beantragte die Klageabweisung. Der Geschäftsführer habe im August 2015 erklärt, das Objekt könne nicht durch den Investmentleiter verkauft werden, da dieser sonst vor dem Interessenkonflikt stehe, vor dem Beginn seiner selbständigen Tätigkeit im eigenen Interesse keinen oder ungeeignete Makler einzubeziehen.

Der Geschäftsführer habe gesagt, der Investmentleiter könne ab 1. Oktober 2015 als selbständiger Makler auftreten. Für das zu verkaufende Objekt lehne er dies jedoch ab, da der Verkaufsprozess bereits eingeleitet sei und der Investmentleiter nicht über eigene Kunden verfüge.

Das Arbeitsgericht gab der Klage ganz überwiegend statt. Lediglich bezüglich einer beiderseits bereits für erledigt erklärten Position wurde der Antrag abgewiesen. Die außerordentliche Kündigung sei wegen unterlassener Abmahnung unwirksam. Die Vermarktung des Objektes habe der Investmentleiter nach einer Rüge des Immobilienunternehmens eingestellt. Im Aufhebungsvertrag sei er von sämtlichen Wettbewerbsverboten und Beschränkungen des zusätzlichen Verdienstes freigestellt worden. Eine nachträgliche Untersagung sei nicht vorgesehen gewesen. Es sei nicht erkennbar, dass der Investmentleiter nach einer Abmahnung sein Verhalten nicht ändern würde. Die Pflichtverletzung sei auch nicht so schwer, dass deren erstmalige Hinnahme der Arbeitgeberin nicht zugemutet werden könnte. Das Arbeitsverhältnis bestand somit bis zum 31. Januar 2016 fort. Aus dem Aufhebungsvertrag folgten die Ansprüche auf ein Zeugnis, die zweite Hälfte der Abfindung, die Vergütungen für Dezember 2015 und Januar 2016 und die Erstattung des geldwerten Vorteils für die nicht gewährte Nutzung des Dienstwagens.

Die Arbeitgeberin legte gegen das Urteil Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Es sei unstreitig, dass der Investmentleiter nicht für das zu vermarktende Immobilienobjekt beauftragt worden sei. Der Investmentleiter habe eigenmächtig den Verkaufspreis heruntergesetzt und vertrauliche Objektunterlagen weitergeleitet, die er sich durch teilweise Täuschung über seine Berechtigung beschafft habe. Im Rahmen eines Gemeinschaftsgeschäftes mit einem anderen Makler sei er verdeckt vorgegangen. Das Angebot eines Verkaufs ohne ausdrücklichen Auftrag stelle eine unlautere Wettbewerbshandlung dar. Es sei unberücksichtigt geblieben, dass der Investmentleiter entgegen einer ausdrücklichen Ablehnung des Geschäftsführers gehandelt habe. Die Aktivität des Investmentleiters in der Freistellungsphase erschwere seine Pflichtverletzung. Er habe diese Situation ausgenutzt, indem er den Anschein erweckte, als Kollege und Mitarbeiter berechtigt zu sein.

Der Investmentleiter argumentierte in seinem Antrag zur Klageabweisung, dass nicht erkennbar gewesen sei, sein Verhalten würde sich nach einer Abmahnung nicht ändern. Die Pflichtverletzung sei nicht so schwerwiegend, dass deren erstmalige Hinnahme durch die Arbeitgeberin nicht zumutbar gewesen wäre. Er habe nicht verdeckt gehandelt. Nach gängiger Geschäftspraxis sei er mündlich beauftragt worden. Nach der Untersagung habe er seine Vertriebstätigkeit sofort eingestellt. Damit habe keine Wiederholungsgefahr bestanden. Zudem sei der Investmentleiter freigestellt gewesen und das Arbeitsverhältnis sollte ohnehin zum 31. Januar 2016 enden.

Das LAG bestätigte das Urteil des Arbeitsgerichts. Die außerordentliche Kündigung habe das Arbeitsverhältnis nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Selbst wenn ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung vorliege, könne die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nur dann wirksam beenden, wenn bei der umfassenden Interessenabwägung das Beendigungsinteresse der Arbeitgeberin das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers überwiege.

Es liege ein wichtiger Grund zur Kündigung vor, da der Investmentleiter entgegen der Weisung des Geschäftsführers nach seiner Freistellung unter dem Namen der von ihm betriebenen Firma auf den Verkauf gerichtete Maßnahmen unternommen habe. Dabei habe er einen nicht autorisierten geringeren Preis angegeben. Er habe bewusst die Weisung des Geschäftsführers missachtet, sich während seiner Freistellung nicht am Vertrieb des Objektes zu beteiligen. Zusätzlich habe er unautorisiert Kopien von Unternehmensunterlagen an Dritte herausgegeben.

Die Abwägung der beiderseitigen Interessen ergebe, das Interesse des Investmentleiters, das Arbeitsverhältnis für ca. 1,5 Monate bis zum 31. Januar 2016 fortzusetzen, überwiege das Interesse der Arbeitgeberin an der sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses.

Das weisungswidrige Verhalten des Investmentleiters habe objektiv zu einem Vertrauensverlust geführt. Der Grad des Verschuldens sei wegen des vorsätzlichen Handelns als nicht gering einzustufen. Eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses sei jedoch nicht anzunehmen. Das Schwergewicht der Pflichtverletzung liege in der Gefahr, der Investmentleiter könnte auch weiterhin ohne oder gegen die Anweisung des Geschäftsführers handeln. Wegen der Freistellung des Investmentleiters war dies jedoch nicht mehr möglich.

Der Investmentleiter sei nicht verdeckt, sondern offen vorgegangen, was gegen die endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses spreche. Er habe mit mehreren Mitarbeitern über die Maßnahmen zum Vertrieb kommuniziert. Mit seinem offenen Verhalten habe der Investmentleiter aufgezeigt, das eigene Verhalten als tolerierbar und korrigierbar einzuschätzen und kein gravierendes Unrechtsbewusstsein zu haben.

Der Investmentleiter habe der Arbeitgeberin keinen messbaren Schaden zugefügt. Es liege sogar nahe, dass er durch sein unautorisiertes Verhalten den Verkauf zu einem höheren Preis ermöglichte. Der 26-jährige ungestörte Verlauf des Beschäftigungsverhältnisses spreche für den Investmentleiter.

Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung könne es von Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer für längere Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Eine langjährig ungestörte Vertrauensbeziehung werde nicht notwendigerweise durch eine erstmalige Enttäuschung des Vertrauens vollständig und unwiderruflich zerstört.

Für die unberechtigte Beschaffung von Geschäftsunterlagen und deren Verfügungsstellung liege der Schwerpunkt ebenfalls in der Wiederholungsgefahr. Auch diese Aktivität sei offen erfolgt und habe keinen messbaren Schaden verursacht. Die Wiederholungsgefahr war wegen der Freistellung bis zum 31. Januar 2016 ausgeschlossen.

Bei Abwägung dieser Gesichtspunkte war der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für ca. 1,5 Monate zumutbar. Basierend auf der Freistellung bestand keine Aussicht, eine gleichartige Belastung des Arbeitsverhältnisses für den verbleibenden kurzen Zeitraum auftreten zu lassen. Die fristlose Kündigung wäre auch bei vorhergehender Abmahnung unwirksam, da bei Abwägung der beidseitigen Interessen die Abmahnung ein wirksames Mittel gewesen wäre, der Wiederholungsgefahr vorzubeugen.

Die Arbeitgeberin war durch den Aufhebungsvertrag an die Zahlung der Abfindung gebunden. Die Verpflichtung zur Zahlung der Abfindung sei die Arbeitgeberin auch für den Fall eingegangen, dass das Arbeitsverhältnis durch eine Pflichtverletzung gestört aber mangels Wiederholungsgefahr bis zum vereinbarten Vertragsende fortgesetzt werden könnte.

Der Verdacht, der Investmentleiter habe vor seiner Freistellung bewusst nicht den aussichtsreichsten Makler beauftragt um sich später in eigenem Namen im Rahmen eines nicht genehmigten Gemeinschaftsgeschäftes einen finanziellen Vorteil zu verschaffen sei ebenfalls kein Grund für eine vorzeitige Vertragsbeendigung durch außerordentliche Kündigung.

Für den Verdacht, der Investmentleiter habe den aussichtsreichsten Makler erst nach dem Beginn seiner Freistellung beauftragen wollen, bestünde keine auf Beweisanzeichen gestützte hohe Wahrscheinlichkeit. Es seien keine Tatsachen vorgetragen worden, dass die anderen drei beauftragten Makler im betroffenen Marktsegment weniger erfolgreich waren.

Die Behauptung der Arbeitgeberin über die Löschung der dienstlichen Emails nach dem letzten Arbeitstag des Investmentleiters begründe ebenfalls keinen Grund für die außerordentliche Kündigung. Die Stellungnahme des Investmentleiters zu diesem Vorwurf lag der Arbeitgeberin bereits im September vor. Eine außerordentliche Kündigung im Dezember konnte sich nicht mehr auf diesen Kündigungsgrund stützen. Deshalb sei es unerheblich, ob dieser Grund die Kündigung hätte rechtfertigen können.

Da das Arbeitsverhältnis nicht vor dem 31. Januar 2016 aufgelöst wurde, schuldete die Arbeitgeberin die Vergütungen für Dezember 2015 und Januar 2016, den zweiten Teilbetrag der Abfindung, sowie Schadenersatz für den vorzeitigen Entzug des Dienstfahrzeuges.

Die Revision für dieses Verfahren wurde nicht zugelassen. Die Entscheidung folge höchstrichterlicher Rechtsprechung und habe keine grundsätzliche Bedeutung.