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Verspätete Lohnzahlung – Schadenersatz

Schadenersatz wegen verspäteter Lohnzahlung

Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 28.03.2017, Aktenzeichen 3 Sa 475/14

Entsteht ein Vermögensschaden durch den Wegfall der Zahlung von Sozialleistungen, ist die Arbeitgeberin zu Schadenersatz verpflichtet, falls eine verspätete Lohnzahlung die direkte Ursache für den Wegfall darstellt.

Ein Hausarbeiter war bei einem Unternehmen für Gebäudeservice über einen Zeitraum von 6 Monaten von Dezember 2013 bis Mai 2014 beschäftigt. Die Lohnzahlung für den Monat April 2014 erfolgte am 10. Juni 2014, für Mai am 14. Juli 2014. Die vorherigen Lohnzahlungen erfolgten jeweils im Folgemonat.

Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses beantragte der Hausarbeiter im zuständigen Jobcenter Leistungen nach dem SGB II (Sozialgesetzbuch 2). Das Jobcenter bewilligte Leistungen für die Monate Juli bis November 2014 zur Sicherung des Lebensunterhaltes.

Die Bewilligung für den Monat Juli wurde Ende Juli 2014 überwiegend aufgehoben. Der Hausarbeiter wurde vom Jobcenter zur Erstattung eines Geldbetrages aufgefordert. Der Hausarbeiter habe im Juli Einkommen aus der Zahlung des Lohnes für Mai 2014 erzielt. Mit den nachgewiesenen Einkommensverhältnissen sei der Hausarbeiter nicht mehr hilfebedürftig im Sinne von § 9 SGB. Ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bestehe somit nicht mehr. Der Hausarbeiter habe Einkommen oder Vermögen erzielt, das zum Wegfall oder zur Minderung seines Anspruchs geführt habe.

Der Hausarbeiter legte gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Jobcenters Widerspruch ein und hat inzwischen gegen den ihn belastenden Widerspruchsbescheid Klage beim Sozialgericht erhoben. Das Klageverfahren beim Sozialgericht war zum Zeitpunkt dieser Entscheidung noch anhängig.

Mit einer Klage beim Amtsgericht begehrte der Hausarbeiter von seiner Arbeitgeberin Schadenersatz. Er forderte, die Arbeitgeberin habe ihn wegen der verspäteten Lohnzahlung für den Monat Mai 2014 von den Ersatzforderungen des Jobcenters freizustellen. Die Arbeitgeberin habe sich mit der Lohnzahlung in Verzug befunden und damit den Hausarbeiter der Rückforderung seiner Sozialleistungen ausgesetzt. Bei rechtzeitiger Lohnzahlung wäre die Forderung des Jobcenters nicht entstanden.

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Der Hausarbeiter habe Anspruch auf Freistellung von der Erstattungsforderung des Jobcenters. Die Arbeitgeberin habe sich mit ihrer Leistung in Verzug befunden. Diese Leistungsverzögerung habe den Schaden auch adäquat kausal verursacht, da es bei dem kurz befristeten Arbeitsverhältnis nicht außergewöhnlich sei, dass Leistungen nach dem SGB II für die Zeit danach beantragt werden müssten.

Die Arbeitgeberin legte gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Durch die Rückforderung des Jobcenters habe der Hausarbeiter keinen Vermögensschaden erlitten. Da der Hausarbeiter zwar der Erstattungsforderung des Jobcenters ausgesetzt sei, er jedoch gleichzeitig die Lohnzahlung für Juli 2014 erhalten habe, stünde dem Vermögensnachteil des Hausarbeiters ein Vermögenszuwachs gegenüber. Der Arbeitsvertrag enthalte keine Bestimmung, in welchen Zeitabschnitten und zu welchen Terminen die Lohnzahlung zu erfolgen habe.

Das LAG entschied, die Berufung der Arbeitgeberin sei unbegründet. Dem Hausarbeiter stehe Schadenersatzanspruch in Form der Freistellung von der Erstattungsforderung des Jobcenters zu. Der Schadenersatzanspruch des Hausarbeiters gegenüber der Arbeitgeberin basiere auf den Regelungen der §§ 280 Absatz 1 und 2, 286 Absatz 2 Nr. 1, 288 Absatz 4 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Die Arbeitgeberin habe sich mit den Lohnzahlungen für die Monate April und Mai 2014 in Verzug befunden.

Seien keine arbeitsvertraglichen Regelungen bezüglich der Lohnzahlung getroffen, so gelet die Bestimmung des § 614 BGB. Der Verzugseintritt entstehe jeweils am Ersten des Folgemonats nach Entrichtung der Leistungen. Da die Arbeitgeberin bis zum Monat April 2014 die Lohnzahlungen jeweils im Folgemonat geleistet habe, sei davon auszugehen, dass der Zeitabschnitt, in dem die Dienste durch den Hausarbeiter zu erbringen waren, der jeweilige Kalendermonat war. Die Zahlungen für April 2014 am 10.6.2014 und für Mai 2014 am 14.7.2014 fanden danach in jedem Fall erst nach Eintritt des Verzuges statt.

Die Arbeitgeberin schulde die pünktliche Zahlung des vom Hausarbeiter verdienten Lohns, auf den sich der Hausarbeiter verlassen und seine Lebensfinanzierung danach ausrichten durfte. Es sei Sache der Arbeitgeberin, dafür Sorge zu tragen, dass sie den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer auch rechtzeitig bezahlen könne.

Die Beurteilung, ob ein zu ersetzender Schaden vorliege, sei grundsätzlich durch einen Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne dieses Ereignis ergeben hätte, zu beurteilen. Hätte die Arbeitgeberin den ausstehenden Lohn für Mai 2014 rechtzeitig gezahlt, wäre die Erstattungsforderung des Jobcenters nicht entstanden.

Der Hausarbeiter habe für den Monat Juni 2014 keine Sozialleistungen erhalten, da die Lohnzahlung für April 2014 im Juni 2014 zugeflossen war. Im Monat Juni 2014 bestand danach kein Hilfebedarf für den Hausarbeiter, sodass ihm keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren waren. Die gleiche Situation wäre bei vertragsgemäßem Verhalten der Arbeitgeberin bei Zahlung des Mailohnes am 1. Juni 2014 eingetreten. Der fehlende Hilfebedarf des Hausarbeiters im Juni 2014 war und wäre danach nicht auf ein schadensbegründendes Verhalten der Arbeitgeberin zurückzuführen.

Der entfallene Hilfebedarf für den Monat Juli sei jedoch durch die verspätete Zahlung der Arbeitgeberin verursacht worden. Gegen die Anrechnung dieses am 14.7.2014 zugeflossen Einkommens auf seinen Hilfebedarf im Monat Juli 2014 konnte sich der Hausarbeiter nicht zur Wehr setzen. Dies folge aus dem Grundsatz der Subsidiarität von Sozialleistungen. Es gelte der unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität staatlicher Fürsorge aufgestellte Grundsatz, dass die Lebensunterhaltssicherung durch eigene Mittel grundsätzlich der Schuldentilgung vorgehe. Werde eine Verbindlichkeit mit zugeflossenem Einkommen erfüllt, handelt es sich um eine bloße Verwendung des Einkommens, die an der Berücksichtigung als Einkommen nichts ändere.

Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Jobcenters sei, entsprechend der Bescheidsbegründung, ausschließlich auf die Zahlung des Lohnes für Mai 2014 durch die Arbeitgeberin während des Zeitraums 1. Juli 2014 bis 31. Juli.2014 zurückzuführen. Hätte die Arbeitgeberin rechtzeitig, also spätestens bis Ende Juni 2014 das Arbeitsentgelt des Hausarbeiters für den Monat Mai 2014 gezahlt, müsste der Hausarbeiter die für Juli 2014 bezogenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II an das Jobcenter nicht zurückzahlen.

Der eingetretene Vermögensschaden des Hausarbeiters in Gestalt der Belastung mit der Erstattungsforderung des Jobcenters sei auch adäquat kausal durch den Verzug der Arbeitgeberin verursacht worden. Die Pflichtverletzung der Arbeitgeberin in Form der verspäteten Lohnzahlung habe den beim Hausarbeiter eingetretenen Schaden in diesem Sinne adäquat kausal verursacht.

Die Schadenersatzverpflichtung der Arbeitgeberin unterliege dem Schutzzweck der haftungsbegründenden Norm des Schuldnerverzugs. Die Arbeitgeberin habe verspätet den Lohn gezahlt und dadurch einen Vermögensschaden beim Hausarbeiter ausgelöst.

Die Arbeitgeberin gehe zu Unrecht davon aus, der Hausarbeiter habe durch die im Juli zugeflossene Lohnzahlung einen gleichwertigen Ersatz der durch die Zahlung untergegangenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erhalten. Dem Hausarbeiter seien zu Beginn des Monats Juli offenbar zu Recht Leistungen zur Hilfe des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch gewährt worden, weil er bedürftig war. Dieser Hilfebedarf ist nachträglich durch die verspätete Zahlung der Arbeitgeberin weggefallen. Bei rechtzeitiger Zahlung durch die Arbeitgeberin im Monat Juni 2014 wären dem Hausarbeiter die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Juli 2014 erhalten geblieben.

Sozialleistungen sollen dem Arbeitnehmer laufende Leistungen zum Lebensunterhalt gewähren, wenn er hierzu wegen fehlender Arbeitseinkünfte, oder auch wegen einer säumigen Arbeitgeberin dazu nicht selbst in der Lage ist. Sie dienten nicht dazu, die Arbeitgeberin davor zu bewahren, etwa weitere Zahlungen als die ursprüngliche Lohnzahlung vornehmen zu müssen, falls sie nicht fristgemäß erfüllt.

Die Revision zu diesem Urteil wurde zugelassen.