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Befristung ohne Sachgrund bei Vorbeschäftigung

Wirksamkeit einer sachgrundlosen Befristung bei Vorbeschäftigung

Landesarbeitsgericht Hessen, Urteil vom 11.07.2017, Aktenzeichen 8 Sa 1578/16

Die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsverhältnisses ist rechtsunwirksam, wenn bereits ein Arbeitsverhältnis mit derselben Arbeitgeberin bestanden hatte. Dabei ist es unerheblich, wie lange das vorherige Arbeitsverhältnis zeitlich zurückliegt.

Eine Arbeitsvermittlerin wurde befristet für den Zeitraum von einem Jahr beschäftigt. Noch vor Ablauf der Befristung wurde der Arbeitsvertrag um ein weiteres Jahr bis Ende Juni 2016 nathlos befristet verlängert.

Im Juli 2016 machte die Arbeitsvermittlerin die Rechtsunwirksamkeit der Befristungsvereinbarung geltend. Sie beantragte festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristungsvereinbarung endete, sondern auf unbestimmte Zeit fortbestehe. Die Arbeitgeberin habe sie zu unveränderten Bedingungen in Vollzeit weiter zu beschäftigen.

Die Arbeitgeberin beantragte Klageabweisung. Eine sachgrundlose Befristung sei zulässig, da die Vorbeschäftigung bereits mehr als drei Jahre zurückliege.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Die Arbeitgeberin habe nach § 14 Absatz 2 TzBfG (Teilzeit- und Befristungsgesetz) das Arbeitsverhältnis wirksam bis zum 30.Juni 2016 befristen können. Die kalendermäßige Befristung sei ohne Vorliegen eines Sachgrunds bis zur Dauer von 2 Jahren zulässig. Die Änderungsvereinbarung vom 9. April 2015 sei eine bloße Verlängerungsvereinbarung. Es sei die erste Verlängerung innerhalb des Zweijahresrahmens. Damit verstoße die Befristung nicht gegen § 14 Absatz 2 Satz 1 TzBfG. Die Vorbeschäftigung stehe einer sachgrundlosen Befristung nicht entgegen, da die Vorbeschäftigung länger als drei Jahre zurückliege.

Gegen das Urteil legte die Arbeitsvermittlerin Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Das Arbeitsgericht habe die gesetzliche Regelung nicht ordnungsgemäß umgesetzt und angewendet. Es bestehe kein Raum für eine Auslegung des Gesetzes, da der Wortlaut eindeutig sei und eine Gesetzeslücke nicht bestehe.

Das LAG entschied, die letzte sachgrundlose Befristung vom 9. April 2015 sei rechtsunwirksam. Sie verstoße gegen das Vorbeschäftigungsverbot und beendet das Arbeitsverhältnis der Parteien daher nicht zum 30. Juni 2016. Die Arbeitsvermittlerin könne auch ihre vorläufige Weiterbeschäftigung verlangen.

Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig. Bis zu dieser Gesamtdauer von zwei Jahren ist auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrages zulässig. Eine Befristung ist nicht zulässig, wenn mit derselben Arbeitgeberin bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat.

Nach den Entscheidungen des 7. Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 6. April 2011 (7 AZR 716/09) und 21. September 2011 (7 AZR 375/10) sei eine Vorbeschäftigung im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht gegeben, wenn das frühere Arbeitsverhältnis mehr als drei Jahre zurückliege.

Bereits in seiner Entscheidung vom 6. November 2003 (2 AZR 690/02) hat der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts entschieden, dass das Anschlussverbot – anders als noch § 1 Abs. 3 BeschFG (Beschäftigungsförderungsgesetz) keine zeitliche Begrenzung enthält. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte das Bundesverfassungsgericht mit der Begründung nicht zur Entscheidung angenommen, dass keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass die Entscheidung gegen die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers aus Artikel 12 Absatz 1 GG (Grundgesetz) verstoße.

Das LAG Hessen folgte mit der vorliegenden Entscheidung ebenfalls nicht der Rechtsprechung des 7. Senats des Bundesarbeitsgerichts, sondern schloss sich der Auffassung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg und des 2. Senats des Bundesarbeitsgerichts an. Der § 14 Absatz 2 Satz 2 TzBfG sei als zeitlich unbeschränktes Vorbeschäftigungsverbot zu verstehen. Dies ergebe die Auslegung anhand von Wortlaut, Regelungssystematik, Entstehungsgeschichte des Gesetzes und Normzweck.

Wortbedeutung und Kontext im Textgefüge des § 14 Absatz 2 Satz 2 TzBfG (“Arbeitsverhältnis, das mit demselben Arbeitgeber bereits bestanden hat”) beinhalten weder eine zeitliche noch eine inhaltliche Begrenzung der Wortbedeutung.

Die vom Gesetzgeber in den Materialien selbst vorgenommene Definition des Begriffs der Neueinstellung bezwecke in Bestätigung des Wortsinns ein zeitlich uneingeschränktes Anschlussverbot. Unter Neueinstellung verstehe der Gesetzgeber die erstmalige Beschäftigung eines Arbeitnehmers durch einen Arbeitgeber. Dem entspreche die Gesetzesformulierung “bereits zuvor”. Ersichtlich wurde die Formulierung “bereits zuvor” bewusst gewählt, um das Regelungsanliegen des Gesetzgebers zutreffend zum Ausdruck zu bringen.

Das Ziel, Kettenbefristungen zu vermeiden, könne auch mithilfe einer zweijährigen Sperrzeit erreicht werden. Gleichwohl habe sich der Gesetzgeber für eine nur einmalige Möglichkeit der Befristung ohne Sachgrund entschieden. Eine Vielzahl von der Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages bzw. von Länderseite eingebrachter Gesetzesentwürfe habe eine zeitliche Begrenzung des Vorbeschäftigungsverbotes vorgesehen. Diese Gesetzesentwürfe seien mangels parlamentarischer Mehrheit oder aus Gründen der Diskontinuität nicht beschlossen worden.

Ein zeitlich unbeschränktes Anschlussverbot entspreche der Regelungssystematik des Rechts der Befristung als Begrenzung der Ausnahme der sachgrundlosen Befristung. Die Einschränkung der erleichterten Befristung von Arbeitsverträgen in § 14 Absatz 2 Satz 2 TzBfG bezwecke den Ausschluss der theoretisch unbegrenzt möglichen Aufeinanderfolge befristeter Arbeitsverträge.

Der Gesetzgeber habe für die Gerichte verbindlich, die erleichterte Befristung eines Arbeitsvertrages nur bei einer Neueinstellung zugelassen, das heißt bei der erstmaligen Beschäftigung eines Arbeitnehmers durch einen Arbeitgeber.

Die Berufsausübungsfreiheit eines Arbeitnehmers sei durch das Vorbeschäftigungsverbot nicht eingeschränkt. Selbst wenn man jedoch einen Verstoß gegen Artikel 12 Absatz 1 GG annehmen würde, weil die Berufsausübung betroffen ist, wäre diese gerechtfertigt. Die Freiheit der Berufsausübung könne beschränkt werden, soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es zweckmäßig erscheinen lassen. Der Grundrechtsschutz beschränke sich auf die Abwehr in sich verfassungswidriger, weil etwa übermäßig belastender und nicht zumutbarer Auflagen. Der relativ geringe und nur in Zusammenhang mit einer bestimmten vertraglichen Konstruktion vorkommende Eingriff in die Berufsausübung sei durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt. Der Normalfall im deutschen Arbeitsrecht sei immer noch der Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages.

Es gebe ausreichend Möglichkeiten, Arbeitsverträge auch über einen längeren Zeitraum bei Vorliegen entsprechender Gründe zu befristen. Gerade vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber das Vorbeschäftigungsverbot an das Bestehen eines Arbeitsvertrages bei demselben Arbeitgeber angeknüpft hat, zeige, dass das Vorbeschäftigungsverbot auch über einen längeren Zeitraum gelten müsse. Verschiedene Arbeitgeber innerhalb eines Konzerns oder auch ohne rechtliche Verbindung können bei einer zeitlichen Begrenzung des Vorbeschäftigungsverbotes auf drei Jahre oder auch auf einen anderen Zeitraum einen Arbeitnehmer letztendlich doch ein Leben lang nur befristet beschäftigen, wenn der Vertragspartner regelmäßig wechselt.

Dies sei insbesondere auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu sehen, wonach derselbe Arbeitgeber der Vertragsarbeitgeber ist. Würde dann noch von der Möglichkeit der Verlängerung der Befristungsdauer nach § 14 Absatz 2 Satz 3 TzBfG Gebrauch gemacht, liege die Möglichkeit von solchen Mehrfachbefristungen auf der Hand.

Arbeitnehmer, die immer nur in befristeten Arbeitsverhältnissen stehen, könnten nicht dieselbe Lebensplanung vornehmen, wie es andere Arbeitnehmer in unbefristeten Arbeitsverhältnissen können. Der Bestand eines Dauerarbeitsverhältnisses oder lediglich befristeten Arbeitsverhältnisses habe Auswirkungen auf die Familien- und sonstige persönliche Lebensplanung von Arbeitnehmern. Durch die geringe Einschränkung in § 14 Absatz 2 Satz 2 TzBfG könne ein Beitrag dazu geleistet werden, die Möglichkeit von Befristungen wieder auf das erforderliche Maß zurückzuführen.

Unter Anwendung vorstehender Grundsätze ist die in der Änderungsvereinbarung vom 9. April 2015 vereinbarte Verlängerung des sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisses der Parteien rechtsunwirksam. Sie verstößt wegen der Beschäftigung der Arbeitsvermittlerin vom 1. Februar 2005 bis zum 31. Dezember 2008 gegen das Vorbeschäftigungsverbot in § 14 Absatz 2 Satz 2 TzBfG. Das Arbeitsverhältnis der Parteien gilt mithin nach § 16 Satz 1 TzBfG als auf unbestimmte Zeit geschlossen.

Die Arbeitsvermittlerin könne wegen der Rechtsunwirksamkeit der Befristung von der Arbeitgeberin verlangen, bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Befristungskontrollklage vorläufig weiterbeschäftigt zu werden. Es besteht ein Weiterbeschäftigungsanspruch, wenn ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Instanzurteil ergeht und keine besonderen Umstände vorliegen, die ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers begründen, den Arbeitnehmer nicht weiter zu beschäftigen.

Die Revision zu dieser Entscheidung wurde zugelassen.