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Arbeitnehmerüberlassung – Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz

Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz für Leiharbeitnehmer

Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 20.02.2019, Aktenzeichen 2 Sa 402/18

Die Arbeitsvertragsparteien können vom Gleichstellungsgrundsatz abweichen, indem sie im Geltungsbereich eines Tarifvertrages dessen Anwendung vereinbaren, soweit dieser Tarifvertrag die in einer Rechtsverordnung nach § 3a AÜG festgesetzten Mindeststundenentgelte nicht unterschreitet.

Eine Arbeitgeberin, die Arbeitnehmerüberlassung betreibt, beschäftigte einen Mitarbeiter von Mitte Oktober 2014 bis Ende April 2017 im Bereich Service Desktop und Support. Im Zeitraum Mitte Oktober 2014 bis Mitte Oktober 2016 war der Mitarbeiter bei einer Informatik GmbH eingesetzt. Entsprechend seinem Auskunftsverlangen teilte die Informatik GmbH mit, dass vergleichbare Stammarbeitnehmer bei ihr ein deutlich höheres Bruttoeinkommen bezogen. Zusätzlich ein Weihnachts- und Urlaubsgeld in Höhe von 125% eines Bruttomonatsgehaltes.

Von Mitte Oktober 2016 bis Ende April 2017 war der Mitarbeiter bei einer weiteren Arbeitgeberin eingesetzt. Dort wurde er ab Mai 2017 Stammarbeitnehmer mit unveränderten Arbeitsaufgaben. Mit Schreiben vom 31.05.2017 forderte der Service-Mitarbeiter seine ehemalige Arbeitgeberin auf, ihm für den Zeitraum der jeweiligen Arbeitnehmerüberlassung den Differenzbetrag zwischen seiner Entlohnung und dem Bruttoentgelt eines vergleichbaren Stammarbeitnehmers zu bezahlen. Nach seiner Berechnung ergab sich insgesamt ein Betrag von 14 800 Euro. Die ehemalige Arbeitgeberin lehnte die Forderung ab.

Daraufhin verfolgte der Service-Mitarbeiter sein Begehren mit einer Klage beim Arbeitsgericht.  Nunmehr, nach erteilter Auskunft über die Höhe der Entlohnung vergleichbarer Stammarbeitnehmer, machte er einen Betrag von insgesamt mehr als 29 000 Euro geltend. Die rechnerische Höhe des Betrags war zwischen den Parteien nicht streitig.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Mit seiner Berufung vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) verfolgte der Service-Mitarbeiter sein Begehren weiter.

Der Service-Mitarbeiter argumentierte in seiner Klagebegründung vor dem LAG, der § 8 Absatz 2 Satz 1-3 AÜG (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) bzw. §§ 10 Absatz 4 Satz 2, 9 Ziffer 2 AÜG in der bis 31.03.2017 geltenden Fassung sehe zwar vor, dass ein Tarifvertrag vom Gleichstellungsgrundsatz abweichen könne und für diese Abweichung bereits die arbeitsvertragliche Vereinbarung dieses Tarifvertrages ausreiche. Diese Regelungen widersprächen jedoch Artikel 5 Absatz 3 der Richtlinie 2008/104/EG (EU-LeiharbeitsRL).

Zum einen lasse diese Vorschrift die bloße arbeitsvertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag nicht ausreichen, um vom Gleichstellungsgrundsatz abweichen zu können. Zum anderen sei eine Abweichung nur „unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ gestattet. Danach dürfe der Grundsatz der Gleichbehandlung zwar gestaltet, aber nicht verlassen werden. Dies sei der Fall, wenn Tarifabweichungen nur nach unten erfolgen würden und es keinen Ausgleichsmechanismus gebe. Daher sei die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel auf die zwischen dem Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) und der DGB-Tarifgemeinschaft geschlossenen Tarifverträge Zeitarbeit unwirksam.

Weiterhin argumentierte er, der Equal-Pay-Anspruch sei ein Anspruch aus unerlaubter Handlung. Der Tarifvertrag sei wegen Richtlinienwidrigkeit unwirksam. Die Ausschlussfrist sei nicht angelaufen, weil der Arbeitnehmer vor der Geltendmachung erst seinen Auskunftsanspruch gegenüber dem Entleiherbetrieb durchsetzen müsse.

Die ehemalige Arbeitgeberin argumentierte hingegen, die an den Service-Mitarbeiter geleistete Vergütung entspreche der Regelung in § 8 Absatz 2 AÜG bzw. der entsprechenden Vorgängerregelung sowie den tarifvertraglichen Vorgaben. Sowohl die EU-LeiharbeitsRL als auch das AÜG ließen tarifvertragliche Abweichungen vom Gleichstellungsgrundsatz zu. Auf die Art und Weise der Anwendbarkeit des Tarifvertrags komme es nicht an. Jedenfalls seien nach den anwendbaren Ausschlussfristen vor Februar 2017 entstandene Ansprüche verfallen.

Das LAG entschied, die Berufung sei nicht begründet. Die Arbeitgeberin sei im gesetzlich zulässigen Rahmen, durch Verweisung auf einen Tarifvertrag, vom Gleichstellungsgrundsatz (Equal Pay) abgewichen.

Die Ansprüche bis zum Januar 2017 seien, basierend auf den arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen, erloschen.

Die ehemalige Arbeitgeberin sei nicht zur Zahlung der unstreitig entstandenen Differenz, bezogen auf die Entlohnung vergleichbarer Stammmitarbeiter, verpflichtet. Die Parteien hätten in zulässiger Weise vom Ausnahmetatbestand des § 8 Absatz 2 Sätze 1 – 3 AÜG (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) bzw. § 9 Nummer 2 AÜG a.F. ( a.F. – alte Fassung) Gebrauch gemacht.

Demnach können die Arbeitsvertragsparteien vom Gleichstellungsgrundsatz abweichen, indem sie im Geltungsbereich eines Tarifvertrages dessen Anwendung vereinbaren, soweit dieser Tarifvertrag die in einer Rechtsverordnung nach § 3a AÜG festgesetzten Mindeststundenentgelte nicht unterschreitet.

Das Arbeitsverhältnis stünde im Falle der Tarifbindung unstreitig unter den Geltungsbereich der jeweils geltenden Tarifverträge Zeitarbeit zwischen dem Bundesverband der Personaldienstleister (BAP) und der DGB-Tarifgemeinschaft (IG-BCE, NGG, IG Metall, GEW, ver.di, IG Bau, EVG, GdP). Die Entgelttarifverträge, auf die Bezug genommen wurde, unterschritten nicht das Mindestentgelt einer Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung. Für den Zeitraum vom 01. Januar 2017 bis 31. Mai 2017 habe keine entsprechende Mindestlohnregelung bestanden.

Die Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag sei wirksam und nicht intransparent. Arbeitsvertragliche Bezugnahmen auf tarifliche Regelwerke, auch wenn sie dynamisch ausgestaltet sind, entsprächen einer im Arbeitsrecht gebräuchlichen Regelungstechnik. Es sei nicht ersichtlich, dass in den arbeitsvertraglichen Regelungen zu Lasten des Arbeitnehmers vom tariflichen Regelwerk abgewichen wurde.

Nach Art. 5 Abs. 3 der EU-LeiharbeitsRL könnten die Mitgliedstaaten nach Anhörung der Sozialpartner diesen die Möglichkeit einräumen, auf der geeigneten Ebene und nach Maßgabe der von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen Tarifverträge aufrecht zu erhalten oder zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern Regelungen in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern enthalten können, welche vom in Artikel 5 Absatz 1 der EU-LeiharbeitsRL geregelten Gleichstellungsgrundsatz abweichen können.

Es sei zwar richtig, dass Artikel 5 Absatz 3 der EU-LeiharbeitsRL eine arbeitsvertragliche Bezugnahme auf die einschlägigen Tarifverträge nicht ausdrücklich gestatte. Der Richtliniengeber hätten diese Möglichkeit jedoch auch nicht ausgeschlossen, obwohl er diese Abweichungsmöglichkeit im deutschen System kannte.

Indem die EU-LeiharbeitsRL den Sozialpartnern die Möglichkeit einräumt, die Tarifverträge auf einer nicht weiter spezifizierten geeigneten Ebene nach Maßgabe der von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen aufrechtzuerhalten oder zu schließen, wurde den Mitgliedstaaten ein großer Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung eingeräumt.

Da Artikel 5 Absatz 3 EU-LeiharbeitsRL keine Vorgabe dazu enthält, unter welchen Voraussetzungen die Tarifverträge in den Leiharbeitsverhältnissen Anwendung finden, umfasst der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten auch die Einführung von so genannten Erstreckungsklauseln zur arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf die abweichenden Tarifverträge, um eine Umsetzung entsprechend dem nationalen Recht und nationalen Gepflogenheiten zu ermöglichen.

Das Tarifwerk BAP/DGB erfülle die europarechtlichen Vorgaben an den Gesamtschutz für Leiharbeitnehmer. Das tarifliche Entgelt habe in der Entgeltgruppe 1 im streitgegenständlichen Zeitraum vom Oktober 2014 bis April 2017 nicht unter dem für Leiharbeitnehmer festgesetzten Mindeststundenentgelten gelegen.  In der für den Service-Mitarbeiter einschlägigen Entgeltgruppe 3 habe das Stundenentgelt mit 10,61 € bereits im Oktober 2014 deutlich darüber gelegen und steigerte sich ab 01.03.2017 auf 11,51 €. Hinzu kämen noch die Zuschläge nach den jeweiligen Tarifverträgen über Branchenzuschläge.

Die tariflichen Arbeitszeitregelungen lägen mit durchschnittlich 35 Arbeitsstunden pro Woche deutlich unter den 48 Stunden, die im Arbeitszeitgesetz zugelassen wurden. Auch die tarifliche Urlaubsregelung sei deutlich günstiger als der gesetzliche Mindesturlaub.

Nach § 20 des Arbeitsvertrages verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von 3 Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht werden. Der Service-Mitarbeiter musste diese erste Stufe der Ausschlussfristenregelung beachten. Es handele sich um eine eigenständige arbeitsvertragliche Regelung, die der AGB-Kontrolle standhalte. Dem stehe die Unabdingbarkeit des Anspruchs aus § 8 Absatz 1 AÜG bzw.§ 10 Absatz 4 AÜG a.F. nicht entgegen, weil Ausschlussfristen ausschließlich die Art und Weise der Durchsetzung eines entstandenen Anspruchs betreffen und nicht zu dessen Inhalt gehörten.

Die arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung sei wirksam in den Vertrag einbezogen worden. Sie sei inhaltlich weder überraschend noch an versteckter Stelle im Arbeitsvertrag enthalten. Die Ausschlussfrist erfasse den Anspruch des Arbeitnehmers auf ein Arbeitsentgelt in der Höhe, wie es einem vergleichbaren Stammarbeitnehmer des Entleihers gewährt werde.

Da die vorliegende Klausel Ansprüche aus unerlaubter Handlung nicht ausnehme, sei der Einwand, Equal-Pay-Ansprüche seien solche aus unerlaubter Handlung, hier irrelevant.

Die Ausschlussfrist lasse dem Service-Mitarbeiter auch die faire Chance, seine Ansprüche durchzusetzen. Die Klausel lasse es zu, dass eine schriftliche Geltendmachung des Anspruchs dem Grunde nach ausreiche, ohne die Höhe des vergleichbaren Stammarbeitnehmern des Entleihers gewährten Arbeitsentgelts zu kennen. Hinzu komme, dass in der streitgegenständlichen Vertragsgestaltung die Voraussetzungen des § 8 Absatz 2 AÜG bzw. § 9 Nummer 2 AÜG a.F. vorlägen. In diesem Falle bestehe schon kein Auskunftsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Entleiher.

Die Klausel sei nicht deshalb intransparent, weil sie entgegen § 3 Satz 1 MiLoG (Mindestlohngesetz) den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn aus ihrem Anwendungsbereich nicht ausnimmt. Das MiLoG komme im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung. Nach § 3 MiLoG seien Vereinbarungen, die die Geltendmachung des Mindestlohns beschränken oder ausschließen unwirksam. Hierunter fielen auch Vereinbarungen über Ausschlussfristen.

Die Regelungen des AentG (Arbeitnehmerentsendegesetz), des AÜG und der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen gehen den Regelungen des MiLoG vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlagen festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des Mindestlohns nicht unterschreiten. Der Vorrang zugunsten des Branchenmindestlohns sei umfassend. Insbesondere blieben auch Ausschlussfristen möglich. Das vorliegende Leiharbeitsverhältnis unterfalle dem AÜG. Bei Abschluss des Arbeitsvertrages waren nach § 3a AÜG Mindestlöhne für die Leiharbeitsbranche durch Rechtsverordnung festgesetzt. Diese unterschritten nicht den ab 01.01.2015 geltenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 € brutto.

Unabhängig davon käme § 3 Satz 1 MiLoG erst für Ansprüche auf den gesetzlichen Mindestlohn zur Anwendung, die ab 01.01.2015 entstanden sind. Der Arbeitsvertrag sei jedoch bereits im Oktober 2014 abgeschlossen worden.

Nach § 4 Absatz 4 Satz 3 TVG (Tarifvertragsgesetz) sei zwar die Vereinbarung von arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen für die Geltendmachung tariflicher Rechte ausgeschlossen. Die vereinbarte Klausel umfasse ihrem Wortlaut nach auch tarifliche Ansprüche. Sie gebe aber die Rechtslage nicht irreführend wieder, da die arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung wortgleich mit der tariflichen Ausschlussfristenregelung in § 16 MTV BAP/DGB ist.

Die Ansprüche für Januar 2017 seien am 28.02.2017 fällig gewesen. Die Ausschlussfrist endete am Dienstag, den 02.05.2015 (§ 193 BGB). Die Ausschlussfrist für Februar 2017 endete entsprechend am Mittwoch, den 31.05.2017. Der Service-Mitarbeiter habe den Anspruch auf Gleichstellung erstmals schriftlich mit Schreiben vom 31.05.2017 geltend gemacht. Es sei davon auszugehen, dass dieses Schreiben noch am selben Tage der Verleiherin zuging. Sie habe selbst behauptet, dass Ansprüche bis einschließlich Januar 2017 verfallen sind und nicht auch Februar.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung wurde die Revision für die Monate Februar bis Mai 2017 zugelassen, da die Ansprüche für diese Monate nicht verfallen seien.