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Keine Kündigung bei Fehlinformation des Betriebsrats

Fehlinformation des Betriebsrats macht Kündigung unwirksam

Arbeitsgericht Braunschweig, Urteil vom 10.02.2020, Aktenzeichen 8 Ca 334/18

Stellt die Arbeitgeberin in ihrer Information an den Betriebsrat über die Kündigung eines Mitarbeiters bewusst einen falschen Sachverhalt dar, ist die Anhörung als unzureichend anzusehen, die Kündigung ist unwirksam. Ein nachfolgender Auflösungsantrag der Arbeitgeberin bleibt in diesem Falle unbegründet.

Ein Hauptabteilungsleiter war bei einem Fahrzeughersteller für die Entwicklung von Dieselmotoren verantwortlich. Die Arbeitgeberin stellte ihn Anfang November 2015 mit sofortiger Wirkung widerruflich von der Pflicht zur Arbeitsleistung frei. Ursache für die Freistellung war der sogenannte Dieselskandal im September des gleichen Jahres.

Im August 2018 bat die Arbeitgeberin den Hauptabteilungsleiter um Stellungnahme zu folgenden Vorwürfen:

  • Anweisung zum Einbau einer Umschaltlogik, trotz Kenntnis, dass dies gegen US-amerikanisches Recht verstößt.
  • Keine Unterbindung oder Prüfung des Einsatzes der Umschaltlogik.
  • Keine Verhinderung der Weiterentwicklung der Umschaltlogik.
  • Verschleierung der Umschaltlogik gegenüber den US-Behörden.
  • Pflichtverletzung im Zusammenhang eines nicht korrekt verwendeten Ki-Faktors beim Typengenehmigungsverfahren für einen bestimmten Fahrzeugtyp im Jahr 2015.

Ein Mitarbeiter der Arbeitgeberin bestätigte als einziger Zeuge, dass der Hauptabteilungsleiter im Rahmen eines Projektmeetings im März 2011 entschieden habe, die Umschaltautomatik auch in die Motorsteuerungssoftware des für den US-Markt gefertigten Motors als Backup einzubauen. Später berief sich dieser Mitarbeiter auf sein Zeugenverweigerungsrecht gegenüber der Arbeitgeberin. Mitunter bekundete er diese Äußerung jedoch auch gegenüber anderen Mitarbeitern der Arbeitgeberin.

Nach Angaben der Arbeitgeberin hätten mehrere Zeugen die Anordnung des Hauptabteilungsleiters bestätigt und zusätzlich ausgesagt, dass sich die Abteilungen für die Entwicklung der Antriebselektronik sowie der Dieselaggregate eigentlich einig gewesen wären, die Umschaltlogik nicht zu verwenden. Der Einbau sei erst aufgrund der Anweisung des Hauptabteilungsleiters während des Projektmeetings im März 2011 geschehen. Die Umschaltlogik wurde später auch für den US-Markt aktiviert.

Der Hauptabteilungsleiter gab gegenüber der Arbeitgeberin keine schriftliche Stellungnahme ab. Daraufhin entschloss sich die Arbeitgeberin, das Arbeitsverhältnis mit dem Hauptabteilungsleiter außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich fristgemäß, in Form einer Tatkündigung, hilfsweise als Verdachtskündigung zu beenden.

Mit Schreiben vom 15. August 2018 hörte sie hierzu den Personalausschuss der Führungskräfte im Management an. Sie führte aus, mehrere Zeugen hätten bestätigt, dass die Umschalteinrichtung durch Anordnung des Hauptabteilungsleiters implementiert wurde. Sie hätten ebenfalls bestätigt, dass sich die Abteilungen Antriebselektronik und Entwicklung Dieselaggregate eigentlich einig gewesen wären, die Umschaltlogik nicht zu verwenden. Die Umschaltautomatik sei später im US-Markt auch aktiviert worden.

Der Personalausschuss stimmte der beabsichtigten Kündigung zu. Die Arbeitgeberin kündigte außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich fristgemäß zu Ende September 2019. Für den Monat August 2018 zahlte die Arbeitgeberin ein anteiliges Arbeitsentgelt aus.

In der Kammerverhandlung vor dem Arbeitsgericht wurde die Frage aufgeworfen, ob eine außergerichtliche Einigung möglich sei. Der Klägervertreter des Hauptabteilungsleiters führte aus, es habe außergerichtliche Vergleichsgespräche gegeben, die aber gescheitert seien. Über den Inhalt der Gespräche sei Stillschweigen vereinbart worden.

Der Hauptabteilungsleiter machte die Unwirksamkeit der Kündigung gelten und forderte die Zahlung von Verzugslohn für den Zeitraum vom 18. August 2018 bis Ende September 2019, abzüglich erhaltener Zahlungen in Form von Arbeitslosengeld.

Wegen des Verstoßes, über die Vergleichsgespräche Stillschweigen zu bewahren, machte die Arbeitgeberin hilfsweise die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung geltend. Die Höhe der Abfindung sei durch das Arbeitsgericht festzulegen.

Der Hauptabteilungsleiter führte aus, der Betriebsrat in Gestalt des Personalausschusses sei vor er erfolgten Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden. Er bestreite, im Rahmen eines Projekttreffens im März 2011 die Entscheidung zur Implementierung der Manipulationssoftware als Backup für den US-Markt getroffen zu haben.

In ihrer Widerklage beantragte die Arbeitgeberin die Feststellung, dass der Hauptabteilungsleiter den Schaden zu ersetzen habe, der bisher und zukünftig durch den Einbau der Umschaltlogik entstanden sei bzw. entstehen wird. Weiter sei festzustellen, dass der Hauptabteilungsleiter den Einbau der Umschaltlogik für den US-Markt angeordnet habe sowie deren Weiterentwicklung durch die Lenkwinkelerkennung weder unterbunden noch gemeldet habe.

Gegen diese Widerklage beantragte der Hauptabteilungsleiter Abweisung in Form eines Teilversäumnis-Urteiles. Dementsprechend erließ das Arbeitsgericht ein Teilversäumnis-Urteil gegen die Arbeitgeberin, gegen das sie Einspruch einlegte. Zwischenzeitlich hatte die Arbeitgeberin die Widerklage zurückgenommen.

Nunmehr beantragte der Hauptabteilungsleiter die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche, fristlose Kündigung, sowie die hilfsweise fristgerechte ordentliche Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Das Arbeitsverhältnis bestehe zu unveränderten Bedingungen über den September 2019 hinaus fort. Hilfsweise sei er in der Funktion eines Hauptabteilungsleiters in der organisatorischen Einheit Aggregateentwicklung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits weiter zu beschäftigen. Die Arbeitgeberin sei zur Zahlung von Verzugslohn im geforderten Umfang, sowie weiterer Zahlungen ab Oktober 2019 zu verurteilen.

Das Arbeitsgericht entschied, das Arbeitsverhältnis sei weder durch die außerordentliche fristlose, noch durch die hilfsweise ordentliche fristgerechte Kündigung aufgelöst worden, sondern bestehe über den September 2019 hinaus fort. Die Kündigungen seien gemäß § 102 Absatz 1 Satz 3 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) rechtsunwirksam. Eine Kündigung ohne Anhörung des Betriebsrats ist demnach unwirksam. Die Arbeitgeberin habe dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitzuteilen.

Der notwendige Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Absatz 1 Satz 3 BetrVG soll den Betriebsrat in die Lage versetzen, sachgerecht und ggf. zugunsten des Arbeitnehmers auf die Arbeitgeberin einzuwirken. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen und sich über sie eine eigene Meinung bilden können. Die Anhörung soll dem Betriebsrat nicht die selbstständige objektive Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung, sondern ggf. eine Einflussnahme auf die Willensbildung der Arbeitgeberin ermöglichen.

Die Arbeitgeberin muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die ihren Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem komme die Arbeitgeberin nicht nach, wenn sie dem Betriebsrat einen schon aus ihrer eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreitet. Schildert sie dem Betriebsrat bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen – und damit irreführenden – Kündigungssachverhalt, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann, ist die Anhörung unzureichend und die Kündigung unwirksam.

Die Arbeitgeberin dürfe ihr bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für ihren eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren.

Im vorliegenden Fall besteht in dem Betrieb der Arbeitgeberin ein Betriebsrat. Dieser Betriebsrat hat seine Mitbestimmungsrechte im Rahmen beabsichtigter arbeitgeberseitiger Kündigungen von Führungskräften und Mitarbeitern im außertariflichen Bereich zur selbstständigen Erledigung dem Personalausschuss Führungskräfte im Management übertragen.

Hierzu hat sie mit Schreiben vom 15. August 2018 den Personalausschuss Führungskräfte im Management angehört. Ihre Darstellung sei objektiv unwahr. Das habe die Arbeitgeberin im Rahmen der Kammerverhandlung vom 10. Februar 2020 richtiggestellt. Sie berichtigte ihren Vortrag dahingehend, dass lediglich ein einziger Zeuge, der sich zudem auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft, ihr gegenüber bestätigt habe, dass der Hauptabteilungsleiter die maßgebliche Entscheidung zur Implementierung der Manipulationssoftware auch in den Motor für den US-Markt im Rahmen der Projektrunde im März 2011 getroffen habe.

Der Hauptabteilungsleiter wurde unstreitig entgegen der Darstellung gegenüber dem Personalausschuss im Hinblick auf die streitige Frage der Entscheidung über die Implementierung der Manipulationssoftware lediglich durch einen einzigen Zeugen belastet. Vor dem Hintergrund, dass in der von der Arbeitgeberin behaupteten Projektrunde wohl eine Mehrzahl von Mitarbeitern anwesend gewesen sein dürften und der Hauptabteilungsleiter sowohl das behauptete Treffen als auch die behauptete Entscheidung bestritten hat, stelle sich die Aussage gegenüber dem Personalausschuss, dass mehrere Zeugen dies bestätigt hätten, als bewusst unrichtige Darstellung dar.

Wenn gegenüber dem Personalausschuss dargestellt werde, dass mehrere Zeugen den Inhalt des Treffens bestätigt hätten, so habe dies sowohl im Hinblick auf eine Tatkündigung als auch im Hinblick auf eine Verdachtskündigung ein anderes Gewicht. Die Darstellung lese sich nämlich so, als ob zumindest zwei, sprachlich aber wohl eher drei oder mehrere Teilnehmer des behaupteten Treffens dies so bestätigt hätten. Dies sei aber unstreitig nicht der Fall. Unter Beachtung der obigen Rechtsprechung liege somit eine beachtliche, bewusste Fehlinformation des Personalausschusses vor.

Die Kündigung sei somit rechtsunwirksam. Mangels anderer Beendigungstatbestände bestehe das Arbeitsverhältnis auch über den 30. September 2019 hinaus fort.

Der von der Arbeitgeberin hilfsweise gestellte Auflösungsantrag sei unbegründet. Der Arbeitgeberin stehe keine Möglichkeit zu, in der konkreten Situation der festgestellten Unwirksamkeit der Kündigung als Folge unwirksamer Betriebsratsanhörung einen Auflösungsantrag stellen zu können, da dies gesetzlich nicht vorgesehen sei.

Die Arbeitgeberin könne nach § 9 Absatz 1 Satz 2 KSchG einen Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur dann stellen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. im Falle des Antrages der Arbeitgeberin sei bei Unwirksamkeit der Kündigung der Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur dann begründet, wenn die Kündigung ausschließlich wegen einer fehlenden sozialen Rechtfertigung als unwirksam beurteilt worden wäre. Ist die gegen die Wirksamkeit der Kündigung gerichtete Feststellungsklage aus anderen Gründen erfolgreich gewesen, sehe das Gesetz keinen Anlass, der Arbeitgeberin eine weitergehende Auflösungsmöglichkeit zuzubilligen. In diesen Fällen müsse die Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses hinnehmen.

Hier sei die Kündigung nach den obigen Ausführungen aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Absatz 1 BetrVG unwirksam, sodass ein Auflösungsantrag seitens der Arbeitgeberin nach der gesetzlichen Intention nicht begründet sein könne.

Die Verzugszahlungsansprüche des Hauptabteilungsleiters seien begründet.

Der Hauptabteilungsleiter habe gegenüber der Arbeitgeberin bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits jedoch keinen Anspruch, zu den bisherigen Bedingungen innerhalb der organisatorischen Einheit Aggregateentwicklung in der Funktion eines Hauptabteilungsleiters weiterbeschäftigt zu werden.

Aufgrund des Obsiegens des Hauptabteilungsleiters in dem Kündigungsschutzverfahren überwiege sein Beschäftigungsinteresse dem der Arbeitgeberin an einer Nichtbeschäftigung. Hierbei sei aber zu beachten, dass vertragsgemäße Beschäftigung nicht unbedingt heißt, dass der Hauptabteilungsleiter weiter als Hauptabteilungsleiter im Bereich beschäftigt werden muss. Der Hauptabteilungsleiter habe keinen gebundenen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung. Es sei das arbeitgeberseitige Direktionsrecht aus § 106 GewO (Gewerbeordnung) zu beachten. Demgemäß habe der Hauptabteilungsleiter unter Beachtung der Regelungen in seinem Anstellungsvertrag einen Anspruch auf zumindest gleichwertige Beschäftigung, aber nicht unbedingt in diesem Bereich.

Eine Berufung zu diesem Urteil wurde nicht zugelassen.