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Betriebsübergang ohne Betriebsmittel

Betriebsübergang ohne Übernahme der Betriebsmittel

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 27.02.2020, Aktenzeichen C 298/18

Ein Betriebsübergang kann auch ohne Übergang von Betriebsmitteln erfolgen, wenn der neue Unternehmensinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil der Belegschaft übernimmt, die sein Vorgänger gezielt für diese Tätigkeit eingesetzt hatte.

Im Landkreis Oberspreewald-Lausitz wurde der öffentliche Nahverkehr mit Bussen durch ein privates Unternehmen realisiert. An der erneuten Ausschreibung dieser Dienstleistung im September 2016 beteiligte sich das Unternehmen nicht, da es nach eigener Ansicht kein wirtschaftliches Angebot unterbreiten konnte. Der Auftrag für den öffentlichen Busverkehr wurde an die Kraftverkehrsgesellschaft Dreiländereck vergeben. Die Gesellschaft gründete zur Durchführung dieser Aufgabe ein Tochterunternehmen, an dem sie zu 100% die Beteiligungsrechte hält. Das Tochterunternehmen stellte zur Durchführung der Aufgabe einen großen Teil der Busfahrer und einen Teil der Führungskräfte des vorherigen Auftragnehmers ein.

Im April 2017 teilte die Kraftverkehrsgesellschaft dem ehemaligen Auftragnehmer mit, dass sie deren Busse, Betriebsanlagen, Betriebsstätten und sonstige Betriebsanlagen nicht in Anspruch nehmen und auch keine Werkstattleistungen beanspruchen werde.

Ein Busfahrer war bis zu seinem Kündigungstermin Ende August 2017 beim vorherigen Auftragnehmer beschäftigt und dann nahtlos ab September 2017 im neu gegründeten Unternehmen. Das neue Unternehmen erkannte die Beschäftigungszeit des Busfahrers bei der früheren Arbeitgeberin nicht an und stufte ihn in die Eingangsstufe des anwendbaren Tarifvertrages.

Mit einer Klage beim Arbeitsgericht wehrte sich der Busfahrer gegen seine Kündigung durch die vorherige Arbeitgeberin. Er machte weiterhin geltend, dass die neue Arbeitgeberin seine vorherige Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen habe, da das Arbeitsverhältnis im Sinne eines Unternehmensübergangs im Sinne der europäischen Richtlinie 2001/23 auf die neue Gesellschaft übergegangen sei.

Ein weiterer Busfahrer wurde von der neuen Arbeitgeberin nicht eingestellt. Er wehrte sich gegen die Kündigung und machte hilfsweise eine Abfindung im Rahmen des aufgestellten Sozialplans geltend.  Die ehemalige Arbeitgeberin machte im Rahmen einer Widerklage geltend, der Arbeitsvertrag des Busfahrers sei im Rahmen eines Unternehmensübergangs an die neu gegründete Gesellschaft übergegangen. Sie sei daher nicht zur Zahlung einer Abfindung verpflichtet.

Die neue Arbeitgeberin machte geltend, es könne kein Betriebsübergang stattgefunden haben, da keine Betriebsmittel, wie etwa die Busse, übernommen wurden.

Die vorherige Auftragnehmerin führte aus, die Übernahme der Busse sei ausgeschlossen. Die Busse dürften entsprechend der Ausschreibung ein maximales Alter von 15 Jahren nicht überschreiten. Zum Vergabezeitpunkt des öffentlichen Auftrags mit einer Vertragsdauer von 10 Jahren seien ihre Busse bereits 13 Jahre alt gewesen. Zudem genügten sie nicht den Anforderungen an die Barrierefreiheit für körperlich behinderte Menschen. Die Ausschreibung verlangte die Einhaltung der Umweltnorm Euro 6, die Busse genügten lediglich den Normen Euro 3 und Euro 4. Mit der Wartung der Fahrzeuge könnten spezielle Werkstätten beauftragt werden. Betriebshöfe seien dafür nicht erforderlich.

Entsprechend der Ausschreibung müssten Busfahrer neben einer gültigen Genehmigung zum Fahren von Bussen über Kenntnisse der geltenden fachlichen und gesetzlichen Vorschriften, Linienführung und Fahrpläne, gute Netz- und Streckenkenntnisse, sowie über Kenntnisse der Regionalbuslinien, der anschließenden Bahnlinien und Tarifbestimmungen verfügen. Entsprechende Busfahrer seien in einem ländlichen Gebiet ein rares Gut. Basierend auf ihren Netzkenntnissen und weiterem Know-How seien die Busfahrer der früheren Arbeitgeberin ab August 2017 einsatzbereit gewesen. Somit konnte der öffentliche Busnahverkehr ohne Unterbrechung sichergestellt werden. Die frühere Arbeitgeberin ging deshalb davon aus, dass die Busfahrer die wirtschaftliche Einheit des Unternehmens prägten.

Das zuständige Arbeitsgericht Cottbus setzte das Verfahren aus, um beim europäischen Gerichtshof klären zu lassen, ob auch dann ein Unternehmensübergang vorliegt, wenn bei der Übergabe des Betriebs von Buslinien von einem Busunternehmen auf ein anderes keine nennenswerten Betriebsmittel, insbesondere Busse, übertragen wurden. Mit der zweiten Frage soll beantwortet werden, ob ein Unternehmensübergang nach Richtlinie 77/187 auch dann in Betracht kommt, wenn die Busse bei einer befristeten Vergabe der Dienstleistung, wegen ihres Alters und der gestiegenen technischen Anforderungen nicht mehr von erheblichen Wert für den Betrieb sind, aber ein erheblicher Teil der Belegschaft übernommen wurde.

Der EuGH führte aus, dass ein Unternehmensübergang den Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit bedeutet. Der Begriff „Einheit“ beziehe sich somit auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung.

Entscheidend sei, dass die wirtschaftliche Einheit ihre Identität bewahre, was insbesondere dann zutreffe, wenn der Betrieb tatsächlich weitergeführt oder wieder aufgenommen wird. Zur Prüfung, ob die wirtschaftliche Identität eingehalten wurde, gehöre die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, der Übergang oder Nichtübergang der materiellen Aktiva wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva zum Zeitpunkt des Übergangs, die Übernahme oder Nichtübernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, der Übergang oder Nichtübergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und der nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit.

Die bloße Übernahme der Tätigkeit einer wirtschaftlichen Einheit durch eine andere wirtschaftliche Einheit lasse nicht darauf schließen, dass diese Einheit ihre Identität bewahrt. Die Identität einer solchen Einheit dürfe nicht auf deren Tätigkeit reduziert werden. Diese Identität ergebe sich aus mehreren untrennbar zusammenhängenden Faktoren wie dem Personal der Einheit, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und gegebenenfalls den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln.

Der europäische Gerichtshof habe in seinem Urteils vom 25. Januar 2001, Liikenne (C‑172/99, EU:C:2001:59), hervorgehoben, dass der Busverkehr nicht als eine Tätigkeit angesehen werden kann, für die es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, da er in erheblichem Umfang Material und Einrichtungen erfordert. Daher sei der Umstand, dass keine materiellen Güter, die für den Betrieb der betreffenden Buslinien eingesetzt worden sind, vom alten auf den neuen Auftragnehmer übergegangen sind, bei der Bewertung als Unternehmensübergang zu berücksichtigen.

Aus dem Umstand, dass keine materiellen Güter, die für den Betrieb der betreffenden Buslinien eingesetzt wurden, vom alten auf den neuen Auftragnehmer übergegangen sind, könne jedoch nicht gefolgert werden, dass die Übernahme der Busse abstrakt als der einzige Faktor anzusehen sei, der für den Übergang eines im öffentlichen Personenbusverkehr tätigen Unternehmens entscheidend ist.

Im Gegensatz zum vorgenannten Urteil wurde hier die Entscheidung, die Busse nicht zu übernehmen, von äußeren Umständen diktiert. Es wäre wirtschaftlich nicht sinnvoll gewesen, Busse zu übernehmen, die an der Grenze der zugelassenen Betriebsdauer angelangt sind und Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers nicht erfüllten.

Die vorherige Auftraggeberin wäre aufgrund der Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers gezwungen gewesen, den Busbestand in absehbarer Zeit zu erneuern.

Die Übernahme der Tätigkeit für den öffentlichen Nahverkehr könne in diesem Falle auch unter Berücksichtigung, dass keine Betriebsmittel übergehen, als Betriebsübergang gewertet werden, da sich dieser Umstand aus rechtlichen, umweltrelevanten oder technischen Vorgaben ergebe.

Ob ein Betriebsübergang stattgefunden hat, habe das vorlegende Gericht jedoch unter Berücksichtigung tatsächlich vorliegender Faktoren zu berücksichtigen.

Zu beachten sei, dass der neue Betreiber im Wesentlichen die gleichen Busverkehrsdienste erbringt, wie sie das vorige Unternehmen erbrachte, die nicht unterbrochen und vermutlich größtenteils auf denselben Strecken und für dieselben Fahrgäste betrieben wurden.

Bedeutend sei auch, dass es in diesem Fall erfahrene Busfahrer gebe, die in einer ländlichen Region entscheidend für die Qualität des öffentlichen Busverkehrs seien, da diese über ausreichende Kenntnisse der Linienführung und der Fahrpläne des bedienten Gebiets sowie der übrigen Regionalbuslinien, der Bahnlinien und der bestehenden Anschlüsse verfügen müssten, um nicht nur den Fahrkartenverkauf sicherzustellen, sondern den Fahrgästen auch die für die geplante Fahrt erforderlichen Informationen zu geben.

Eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind, könne eine wirtschaftliche Einheit darstellen und in diesem Fall eine solche Einheit ihre Identität über ihren Übergang hinaus bewahren, wenn der neue Unternehmensinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil der Belegschaft übernimmt, die sein Vorgänger gezielt für diese Tätigkeit eingesetzt hatte. Denn dann erwirbt der neue Unternehmensinhaber eine organisierte Gesamtheit von Faktoren, die ihm die Fortsetzung der Tätigkeiten oder bestimmter Tätigkeiten des übertragenden Unternehmens auf Dauer erlaubt.

Die in Rede stehende betriebliche Einheit könnte ihre Identität selbst dann bewahrt haben, wenn keine nennenswerten Betriebsmittel übergegangen sind. Die Übernahme eines wesentlichen Teils der Busfahrer könnte als tatsächlicher Faktor für einen Unternehmensübergang angesehen werden. Die vom neuen Betreiber übernommene Belegschaft, die über spezielle Qualifikationen und Kompetenzen verfügt,  sei für identische oder ähnliche Aufgaben eingesetzt worden und für die unterbrechungslose Fortsetzung der betreffenden wirtschaftlichen Tätigkeit unerlässlich.