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Urlaub verfällt nur durch Aufforderung des Arbeitgebers

Befristung von tariflichem Urlaubsanspruch

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.05.2020, Aktenzeichen 9 AZR 259/19

Die Befristung des Urlaubsanspruchs setzt grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge trägt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Er muss den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt.

Eine Reinigungskraft war seit April 2017 im Umfang einer 5-Tage-Woche mit 30 Wochenarbeitsstunden tätig. Die Arbeitgeberin gewährte der Reinigungskraft für das Jahr 2017 insgesamt 10 Tage Urlaub. Im April 2018 kündigte die Arbeitgeberin der Reinigungskraft fristgemäß. Vor dem Arbeitsgericht erhob die Reinigungskraft Kündigungsschutzklage und verlangte die Abgeltung von Resturlaubsansprüchen aus dem Jahr 2017. Die Arbeitgeberin sei verpflichtet, ihre restlichen 13 Urlaubsarbeitstage finanziell abzugelten. Wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe sie den Urlaub nicht in Anspruch nehmen können. Die Arbeitgeberin habe es versäumt, ihr von sich aus Urlaub zu gewähren. Ihr Anspruch auf Resturlaub aus dem Jahr 2017 sei nicht verfallen. Hilfsweise verlangte sie Schadenersatz, weil die Arbeitgeberin es unterlassen habe, sie aufzufordern, den Urlaub zu nehmen und sie auf einen möglichen Verfall des Urlaubs hinzuweisen.

Die Arbeitgeberin argumentierte, etwaige Ansprüche auf Resturlaub aus dem Jahr 2017 seien verfallen. Anhand des im Betrieb aushängenden Jahresplaner könnten die Mitarbeiter ihren Urlaub beantragen und miteinander abstimmen. Aus dieser Praxis ergebe sich die Aufforderung an die Mitarbeiter ihren Urlaub zu nehmen. Die Arbeitgeberin habe nicht wissen können, dass sie die Reinigungskraft auf den möglichen Verfall des Urlaubs habe hinweisen müssen. Der tarifliche Mehrurlaub aus dem Jahr 2017 sei jedenfalls erloschen, weil die Tarifparteien den Verfall im Manteltarifvertrag eigenständig geregelt haben.

Das Arbeitsgericht wies die Klage hinsichtlich der Urlaubsabgeltung ab. Der Berufung der Reinigungskraft gab das Landesarbeitsgericht (LAG) teilweise statt. Es verurteilte die Arbeitgeberin zur Zahlung einer Abgeltung für 5,3 Urlaubstage. Mit ihrer Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) verlangte die Reinigungskraft Abgeltung für weitere 2,56 Urlaubstage.

Das BAG entschied, die Arbeitgeberin sei zur Abgeltung weiterer 2,56 Urlaubstage verpflichtet.

Nach der Rechtsprechung des BAG erlischt der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub nur dann am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums, wenn die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin zuvor in die Lage versetzt hat, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und die Arbeitnehmerin den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG setze grundsätzlich voraus, dass die Arbeitgeberin konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge trägt, dass die Arbeitnehmerin tatsächlich in der Lage ist, ihren bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Sie muss die Arbeitnehmerin – erforderlichenfalls förmlich – auffordern, ihren Urlaub zu nehmen, und ihr klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn sie ihn nicht beantragt.

Die Arbeitgeberin muss die Arbeitnehmerin in die Lage versetzen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob sie ihren Urlaub in Anspruch nimmt. Es soll eine Situation vermieden werden, in welcher die Arbeitnehmerin auf Veranlassung der Arbeitgeberin davon abgehalten wird, ihre Rechte gegenüber der Arbeitgeberin geltend zu machen. Die Arbeitgeberin habe darzulegen ob sie ihre Mitwirkungspflicht erfüllt hat und ggf. zu beweisen, da sie hieraus eine für sie günstige Rechtsfolge ableitet.

Hat die Arbeitgeberin ihre Mitwirkungspflicht erfüllt und damit den Urlaubsanspruch an das Urlaubsjahr gebunden, verfällt der Anspruch der Mitarbeiterin mit Ablauf des Urlaubsjahres. Liegen die Voraussetzungen einer Übertragung des Urlaubs nach § 7 Absatz 3 Satz 2 oder Satz 4 BUrlG (Bundesurlaubsgesetz) vor, wird der Urlaub „von selbst“ auf die ersten drei Monate des Folgejahres übertragen. Der Urlaubsanspruch kann in diesem Fall grundsätzlich nur dann mit Ablauf des Übertragungszeitraums untergehen, wenn die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin auffordert, ihren Urlaub noch innerhalb des Übertragungszeitraums zu nehmen, und sie darauf hinweist, dass der Urlaubsanspruch anderenfalls erlischt.

Hat die Arbeitgeberin ihrer Mitwirkungspflicht nicht entsprochen, tritt der am 31. Dezember des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht. Das uneingeschränkte Kumulieren von Urlaubsansprüchen aus mehreren Jahren kann die Arbeitgeberin vermeiden, indem sie ihre Mitwirkungsobliegenheiten aus den vergangenen Jahren im aktuellen Urlaubsjahr nachholt. Nimmt die Arbeitnehmerin in einem solchen Fall den angesammelten Urlaubsanspruch im laufenden Urlaubsjahr nicht wahr obwohl es ihr möglich gewesen wäre, verfällt der Urlaub am Ende des Kalenderjahres bzw. des zulässigen Übertragungszeitraumes.

Diese Grundsätze gelten gleichermaßen für den tariflichen Urlaubsanspruch. Die Inanspruchnahme des tariflichen Urlaubs könne abweichend vom gesetzlich vorgeschriebenen Urlaub geregelt werden. Für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, dem zufolge der tarifliche Mehrurlaub mit Ablauf des Kalenderjahres bzw. am Ende des Übertragungszeitraums unabhängig von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten durch die Arbeitgeberin verfällt, müssten jedoch deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub auszugehen.

Der anzuwendende Rahmentarifvertrag enthält keine für diesen Fall abweichenden Regelungen vom Bundesurlaubsgesetz. Basierend darauf, sei auch der tarifliche Mehrurlaub nicht mit dem Ablauf des Jahrs 2017 verfallen.

Der tarifliche Urlaubsanspruch unterlag keiner Befristung auf das Urlaubsjahr 2017, weil die Arbeitgeberin nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, ihrer Obliegenheit nicht nachgekommen ist, die Reinigungskraft aufzufordern, ihren Urlaub zu nehmen, und ihr klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn sie ihn nicht beantragt. Der nicht verfallene Urlaub aus dem Jahr 2017 trat infolgedessen zu dem tariflichen Urlaubsanspruch der Reinigungskraft hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entstand.

Die Arbeitgeberin wurde verpflichtet, der Reinigungskraft – wie beantragt – über die vom Landesarbeitsgericht rechtskräftig zugesprochene Abgeltung von 5,3 Urlaubstagen hinaus weitere 2,56 Arbeitstage Urlaub aus dem Jahr 2017 abzugelten.