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Abfindung aus Sozialplan

Anspruch auf Sozialplanabfindung

Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 10.09.2020, Aktenzeichen 7 Sa 818/18

Ein Anspruch auf Sozialplanabfindung kann selbst dann bestehen, wenn ein angemessenes Angebot zur Weiterbeschäftigung im Konzern abgelehnt wird. Insbesondere wenn die Arbeitgeberin das Weiterbeschäftigungsangebot nicht entsprechend der Betriebsvereinbarung in Form einer dreiseitigen Vereinbarung vorlegt.

Die Arbeitgeberin, deren Betrieb in einem Konzern eingebunden ist, beschloss ihren Unternehmensstandort im Jahr 2018 an einen etwa 20 km entfernten Standort zu verlegen. In der Einigungsstelle die seit Mitte Juni 2017 siebenmal tagte, wurde eine Betriebsvereinbarung (BV) über einen Interessenausgleich und Sozialplan abgeschlossen um die Folgen der geplanten Betriebsstilllegung zu mindern.

In der BV war festgelegt, dass der bisherige Standort zum Ende 2017 stillgelegt wird. Die in der Anlage zur BV aufgeführten Mitarbeiter erhielten das Angebot zur Weiterbeschäftigung im Konzern. Mitarbeiter die das Angebot berechtigt wegen fehlender Angemessenheit ablehnen, sollten eine Abfindung entsprechend Ziffer 6 des Sozialplans erhalten. Diese Abfindung werde nicht aus dem Budget des Sozialplans geleistet, sondern von der Arbeitgeberin separat finanziert. Gegenüber Mitarbeitern die das Angebot zur Weiterbeschäftigung nicht annehmen werde eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen.

Die Anlage 2b zum Sozialplan enthielt einen Musterüberleitungsvertrag, der dreiseitig zwischen Arbeitnehmer, Arbeitgeberin und dem neu einstellenden Konzernunternehmen unterzeichnet werden muss.

Eine seit 2006 beschäftigte Technische Zeichnerin war seit Januar 2016 als Entwicklungsingenieurin in der Abteilung Konstruktion eingesetzt. Die Arbeitgeberin sandte der Entwicklungsingenieurin im Oktober 2017 ein undatiertes Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages. In einem Telefonat mit einer Mitarbeiterin des neu einstellenden Unternehmens lehnte die Entwicklungsingenieurin das Übernahmeangebot dieses Unternehmens an den neuen Standort ab. In einem Telefonat mit dem „Director Human Resources“ wurde das Angebot abermals erläutert und bis zum 3. November 2017 aufrechterhalten.

Mit Schreiben vom 17.11.2017 erhielt die Entwicklungsingenieurin ein von den Geschäftsführern bereits unterschriebenes Angebot eines Anstellungsvertrages mit dem Unternehmen am zukünftigen Standort. Weiterhin hieß es, dass die bisherige Arbeitgeberin den Abschluss eines Aufhebungsvertrages anbietet. Entsprechend dem Anstellungsangebot sollte das Bruttogehalt und der Urlaubsanspruch beibehalten werden, eine Probezeit würde entfallen und die bisher in Bezug genommenen Tarifverträge würden weiter fortgelten. Auch der Vorgesetzte bliebe unverändert. Ein dreiseitiger Überleitungsvertrag war dem Schreiben nicht beigefügt. Ein entsprechendes Musterschreiben wurde erst zu einem späteren Zeitpunkt erstellt.

Im Nachgang zur Sitzung der Einigungsstelle am 06.12.2017 wurde in einem Gespräch zwischen dem Geschäftsführer der Arbeitgeberin und der Entwicklungsingenieurin abermals ein Übernahmeangebot der Gesellschaft am zukünftigen Standort gemacht. Mit einer E-Mail vom 08.Dezember 2017 lehnte die Entwicklungsingenieurin das Angebot ab. Ebenso lehnte sie den Abschluss eines Aufhebungsvertrages ab.

Der Betriebsrat machte in einer E-Mail vom 13.Dezember 2017 geltend, dass das Angebot an die Entwicklungsingenieurin nicht angemessen im Sinne des Interessenausgleiches sei. Gleichzeitig machte er seinen in der BV verankerten Nachverhandlungsanspruch geltend. Die Arbeitgeberin kündigte im Januar 2018 das Arbeitsverhältnis zum 13. Mai 2018 wegen der Stilllegung des Betriebes. Der Anhörung des Betriebsrats zu dieser Kündigung hat der Betriebsrat widersprochen.

Da mit der Arbeitgeberin keine Einigung über die Angemessenheit des Angebots erzielt werden konnte, rief der Betriebsrat die Einigungsstelle an. Die Einigungsstelle wies den Antrag des Betriebsrats zurück. Vor dem Arbeitsgericht hat der Betriebsrat den Spruch der Einigungsstelle angefochten. Das Arbeitsgericht wies den Antrag des Betriebsrats zurück. Mit seiner Beschwerde vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) verfolgte der Betriebsrat seinen Antrag weiter. Nach erfolgter Anhörung des Betriebsrats wies das LAG die Beschwerde des Betriebsrats zurück.

Die Entwicklungsingenieurin legte im Februar 2018 fristgemäß Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht ein. Hilfsweise verlangte sie die Zahlung einer Abfindung, in der entsprechend Sozialplan ermittelten Höhe. Sie vertrat die Auffassung, dass keine Betriebsschließung vorläge. Die Vorgehensweise aus der Betriebsvereinbarung sei nicht eingehalten worden. Das Weiterbeschäftigungsangebot im Konzern sei nicht gleichwertig, da ihr Fahrtkosten entstehen. Bisher konnte sie ihre Arbeitsstelle zu Fuß erreichen. Durch die Fahrzeiten würde zudem ihre Freizeit verkürzt. Bisher habe die Entwicklungsingenieurin ein größeres Team geleitet. Am neuen Standort bestehe das Team nur aus drei Personen, dem insbesondere eine Technische Zeichnerin fehle.

Das Weiterbeschäftigungsangebot sei persönlich nicht zumutbar und auch nicht angemessen.

Die Arbeitgeberin behauptete, die Stilllegung sei tatsächlich umgesetzt worden. Der Betrieb sei eingestellt, das Grundstück geräumt und die Maschinen verkauft. Das Vertragsangebot sei angemessen, da die materiellen Arbeitsbedingungen unverändert geblieben seien. Die Entwicklungsingenieurin habe zu Unrecht eine zumutbare Weiterbeschäftigung im Konzern nicht angenommen. Deshalb stehe ihr nunmehr kein Abfindungsanspruch aus dem Sozialplan zu.

Das Arbeitsgericht wies die Kündigungsschutzklage ab und verurteilte die Arbeitgeberin zur Zahlung der Sozialplanabfindung. Die Kündigungsschutzklage wurde abgelehnt, da eine tatsächliche Betriebsstilllegung vorliege. Ein Angebot zum Wechsel des Arbeitsverhältnisses in der Form eines dreiseitigen Vertrages entsprechend dem Interessenausgleich sei der Entwicklungsingenieurin jedoch nicht angeboten worden.

Der Entwicklungsingenieurin sei lediglich ein Angebot auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags unterbreitet worden, nicht hingegen auf Abschluss eines dreiseitigen Vertrages. Da dem Arbeitsgericht der Arbeitsvertrag zwischen Arbeitgeberin und Entwicklungsingenieurin nicht vorgelegt wurde, könne nicht nachvollzogen werden, inwiefern der vorgelegte Arbeitsvertrag dem bisherigen Arbeitsvertrag entspreche. Somit sei davon auszugehen, dass der Entwicklungsingenieurin kein Angebot entsprechend des Interessenausgleichs unterbreitet wurde. Daher sei der Sozialplan anwendbar und ein Anspruch der Entwicklungsingenieurin auf Abfindung auch nicht ausgeschlossen.

Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts legte die Arbeitgeberin Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Es käme nicht darauf an, ein konkretes Angebot entsprechend Anlage 2b zum Sozialplan in Form eines dreiseitigen Vertrages vorzulegen. Entscheidend sei, dass eine Weiterbeschäftigung im Konzern grundsätzlich möglich sei.

Käme es hingegen auf die Anlage 2b und die Frist bis zum 16.10.2017 an, wäre das gesamte Einigungsstellenverfahren und das anschließende gerichtliche Beschlussverfahren überflüssig gewesen. Zudem sei das der Klägerin unterbreitete Angebot inhaltlich mit der späteren Anlage 2b identisch. Insbesondere wären die arbeitsvertraglichen Konditionen bei der neuen Arbeitgeberin am neuen Standort identisch mit den Konditionen aus dem Arbeitsvertrag zwischen der Entwicklungsingenieurin und der Arbeitgeberin gewesen. Insgesamt sei das Weiterbeschäftigungsangebot daher angemessen gewesen, so dass die Entwicklungsingenieurin zurecht von der Abfindung als Sozialplanleistung ausgeschlossen sei. Jedenfalls sei es treuwidrig, wenn sich die Klägerin auf die Versäumung der Frist und der Formvorschriften berufen würde.

Die Entwicklungsingenieurin wies darauf hin, dass sie unter den Geltungsbereich des Sozialplans falle. Bis zum 16.10.2017 sei ihr kein Angebot vorgelegt worden. Das dann verspätete Angebot hätte nicht der Form einer dreiseitigen Vereinbarung entsprochen. Sie bestreite zudem, dass ihr am neuen Standort technische Zeichner zur Verfügung gestanden hätten. Außerdem bestreite sie, dass sie am neuen Standort zu unveränderten Bedingungen hätte weiterarbeiten können.

Das LAG entschied, die Berufung sei unbegründet und deshalb zurückzuweisen. Die Entwicklungsingenieurin sei vom Geltungsbereich des Sozialplans erfasst. Die Entwicklungsingenieurin war eine Arbeitnehmerin der Arbeitgeberin, die am 01.08.2017 (Stichtag) in einem unbefristeten und ungekündigten Arbeitsverhältnis zur Arbeitgeberin stand. Die Entwicklungsingenieurin war auch keine leitende Angestellte. Ferner hat die Entwicklungsingenieurin weder einen Altersteilzeitvertrag noch einen Aufhebungsvertrag abgeschlossen noch eine Eigenkündigung ausgesprochen. Die Entwicklungsingenieurin ist auch in der Anlage 2b der Betriebsvereinbarung namentlich genannt.

Entgegen ihrer Verpflichtung aus dem Interessenausgleich habe die Arbeitgeberin kein frist- und formgerechtes Angebot auf Weiterbeschäftigung im Konzern unterbreitet, so dass ein Ausschluss der Entwicklungsingenieurin vom persönlichen Geltungsbereich des Sozialplans als auch die Ausnahmeregelung nach Ziffer 3.2.1, Absatz 4 des Interessenausgleichs vom 11.10.2017 nicht eingreifen.

Die knapp bemessene Angebotsfrist bis zum15.10.2020, ausdrücklich vereinbart am 11.10.2017 zwischen den Betriebsparteien, entspreche dem Willen der Betriebsparteien und damit auch dem Willen der Arbeitgeberin. Bezüglich der Angebotsfrist sei die Betriebsvereinbarung auch durchführbar gewesen.

Ein dreiseitiges Vertragsangebot zur Weiterbeschäftigung sei der Entwicklungsingenieurin zu keinem Zeitpunkt vorgelegt worden. Der Entwicklungsingenieurin wurden getrennt Angebote auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit der Arbeitgeberin und – unabhängig von der Frage, ob die materiellen Bedingungen identisch oder angemessen sind – Angebote auf Abschluss eines Arbeitsvertrages mit der neuen Arbeitgeberin vorgelegt. Diese jeweiligen Vertragsangebote entsprechen weder einzeln noch in einer Gesamtschau der Anlage 2b zur Betriebsvereinbarung vom 11.10.2017, da zu keinem Zeitpunkt ein Vertragsangebot vorgelegt wurde, das von allen drei betroffenen Parteien unterzeichnet werden sollte.

Die Betriebsparteien hatten ferner während der insgesamt sieben Sitzungen in der Einigungsstelle bis zum 11.10.2017 hinreichend Zeit und Gelegenheit, entweder die Angebotsfrist zu verlängern oder die Anlage 2b zu erstellen. Wenn sie dann dennoch am 11.10.2017 ausdrücklich vereinbaren, dass das Weiterbeschäftigungsangebot im Konzern mittels einer noch zu erstellenden Anlage 2b unterbreitet werden muss und hierfür nur noch fünf Tage zur Verfügung stehen, entspricht dies gleichwohl dem Wortlaut und dem damit ausdrücklich erklärten Willen der Betriebsparteien.

Grundsätzlich verstößt es nicht gegen Treu und Glauben, wenn sich eine Partei nachträglich auf die Unwirksamkeit einer von ihr abgegebenen Willenserklärung beruft oder ein unter ihrer Beteiligung zustande gekommenes Rechtsgeschäft angreift.

Die Entwicklungsingenieurin hat sämtliche und jeweils getrennt erfolgte Angebote auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit der Arbeitgeberin sowie auf Abschluss eines Arbeitsvertrages mit der neuen Arbeitgeberin abgelehnt. Die Entwicklungsingenieurin war zudem nicht an den Verhandlungen der Betriebsparteien in der Einigungsstelle über die Betriebsvereinbarung vom 11.10.2017 und über die Anlage 2b beteiligt. Es fällt nicht in ihre Rechtssphäre, wenn die Arbeitgeberin am 11.10.2017 eine Betriebsvereinbarung abschließt, deren Frist- und Formregelungen sie nur unter äußerster Anstrengung und bezüglich der Anlage 2b in Absprache mit dem Betriebsrat einhalten konnte.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass es grundsätzlich in den Verhandlungen in der Einigungsstelle für die Arbeitgeberin möglich gewesen wäre, die Zeitvorgabe „spätestens bis zum 16.10.2017“ abzuändern oder die Anlage 2b rechtzeitig zu erstellen. Dass der Verstoß der Arbeitgeberin gegen das von ihr selbst mitaufgestellte Formerfordernis dazu führt, dass sie über das bisherige Sozialplanvolumen hinaus eine weitere Abfindung an die Entwicklungsingenieurin zahlen muss, kann der Entwicklungsingenieurin ebenfalls nicht angelastet werden. Die Entwicklungsingenieurin habe sich – selbst wenn sie nach Auffassung der Einigungsstelle und der rechtskräftigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln im Verfahren 6 TaBV 62/19 das Weiterbeschäftigungsangebot bzgl. der ihr angebotenen Position zu Unrecht wegen fehlender Angemessenheit ablehnte – im Hinblick auf die weiteren Vorgaben der Ziffer 3.2.1 des Interessensausgleichs vom 11.10.2017 rechtstreu verhalten, während die Arbeitgeberin dies nicht getan habe.

Die Entwicklungsingenieurin habe insofern gegen die Arbeitgeberin Anspruch auf Zahlung einer Abfindung für den Verlust ihres Arbeitsplatzes gemäß Ziffer 6 des Sozialplans vom 11.10.2017, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung einer Revision lagen nicht vor.