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Wann Anspruch auf höhere Vergütung für Betriebsratsmitglied?

Höhere Vergütung für Betriebsratsmitglied

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 12.112020, Aktenzeichen 5 Sa 135/20

Ein Betriebsratsmitglied, das nur infolge der Amtsübernahme nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestiegen ist, kann die Arbeitgeberin unmittelbar auf Zahlung der höheren Vergütung in Anspruch nehmen.

Die Arbeitgeberin muss den Mitgliedern der in § 78 Satz 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) genannten Arbeitnehmervertretungen eine berufliche Entwicklung gewährleisten, die derjenigen entspricht, die sie ohne ihre Amtstätigkeit durchlaufen hätten. Von dem Benachteiligungsverbot wird nicht nur die berufliche Tätigkeit erfasst, sondern auch das sich aus ihr ergebende Entgelt. Ein Betriebsratsmitglied, das nur infolge der Amtsübernahme nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestiegen ist, kann daher die Arbeitgeberin unmittelbar auf Zahlung der höheren Vergütung in Anspruch nehmen.

Ein Gewerkschaftssekretär war seit 1990 bei einer Gewerkschaft beschäftigt. Seit Oktober 2001 war er Betriebsratsmitglied. Im Mai 2006 wurde er zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt und von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt. Bis 2011 pendelte der Betriebsratsvorsitzende von seinem Wohnsitz zu dem Ort des Betriebsratsbüros. Rein private Gründe veranlassten den Betriebsratsvorsitzenden im Jahr 2011 seinen Wohnsitz zum Ort des Betriebsratsbüros zu wechseln.

Im Juni 2016 beantragte der Betriebsratsvorsitzende die Umgruppierung von der Gehaltsgruppe 8.2 in die höhere Gehaltsgruppe 9.2. Seit August 2016 vergütete die Arbeitgeberin den Betriebsratsvorsitzenden in der Gehaltsgruppe 9.1 aber nicht in der beantragten Gruppe 9.2.

Im September 2017 machte der Betriebsratsvorsitzende seinen Anspruch auf Eingruppierung in die höhere Gruppe 9.2 beim Arbeitsgericht geltend. Er argumentierte, nach der betriebsüblichen Entwicklung wäre er mit Wirkung vom 1. August 2016 mit den Aufgaben eines Bezirksgeschäftsführers betraut worden. Der im Jahr 2009 altersbedingt ausgeschiedene Bezirksgeschäftsführer, sowie der Bezirksvorstand hätten sich seinerzeit dafür ausgesprochen, dass er Nachfolger des Bezirksgeschäftsführers werden solle. Er habe aber aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit von einer Bewerbung abgesehen.

Die Arbeitgeberin argumentierte, eine Entwicklung vom stellvertretenden Bezirksgeschäftsführer zum Bezirksgeschäftsführer eines Bezirks mit mehr als 15.000 abgerechneten Mitgliedern (sog. großer Bezirk) sei nicht betriebsüblich, ebenso wenig eine Beförderung innerhalb desselben Bezirks. Dass der Betriebsratsvorsitzende im Jahr 2009 als Nachfolger des damaligen Bezirksgeschäftsführers gehandelt worden sei, bedeute nicht, dass er sich im Fall einer Bewerbung in dem Auswahlverfahren durchgesetzt hätte. Dagegen spreche insbesondere die vorgegebene Förderung von Frauen.

Das Arbeitsgericht gab im Januar 2018 dem Klagebegehren in vollem Umfang und somit sowohl dem Zahlungs- als auch dem Eingruppierungsantrag statt. Die Arbeitgeberin sei verpflichtet seit August 2016 die Vergütung nach Entgeltgruppe 9.2 entsprechend der Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) Entgelt zu zahlen. Der Betriebsratsvorsitzende sei entsprechend Funktionsstufe 2 der Einkommensgruppe 9 nach GBV-Entgelt zuzuordnen, da die der Betriebsnorm zugrundeliegende regionale Komponente den Betriebsratsvorsitzenden bei betriebsüblicher Entwicklung aller Voraussicht nach als Bezirksgeschäftsführer in einen Bezirk geführt hätte, der eine Mitgliederzahl von mindestens 15.000 zahlenden Mitgliedern aufweise. Vor seiner Freistellung sei er stellvertretender Bezirksgeschäftsführer in einem solchen Bezirk gewesen. Seine Tätigkeit als Betriebsratsvorsitzender übe er auch in einem solchen Bezirk aus. Basierend auf diesen regionalen Bezügen sei es nicht nachvollziehbar warum die Arbeitgeberin den Betriebsratsvorsitzenden der Funktionsstufe 9.1, die einem Bezirk mit Mitgliedern bis 14 999 entspreche, zuordne.

Der Betriebsratsvorsitzende habe auch seiner Darlegungslast entsprochen. Er habe sich auf vier mit ihm vergleichbare Mitarbeiter berufen, die zwischenzeitlich nach der EG 9.2 GBV-Entgelt vergütet würden. Zur Vergleichsgruppe würden entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin nicht nur Mitarbeiter zählen, die 2006 zu 80% als Betreuungssekretär und zu 20% als stellvertretender Bezirksgeschäftsführer gearbeitet hätten. Hierdurch würden die Schutzfunktionen der §§ 37 Absatz 4 und 78 Satz 2 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) unterlaufen. Die Arbeitgeberin wäre ihrerseits verpflichtet gewesen, darzulegen, dass der Betriebsratsvorsitzende sich mit einem so geringen Zeitanteil als stellvertretender Bezirksgeschäftsführer nicht mehr betriebsüblich zu einem Bezirksgeschäftsführer entwickelt hätte. Allein die Benennung der Vergleichsmitarbeiter habe gezeigt, dass der überwiegende Teil dieser Mitarbeiter nach der EG 9.2 GBV-Entgelt vergütet werde, vergütet worden sei oder demnächst vergütet werde.

Die Gewerkschaft als Arbeitgeberin legte Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein, welches das Urteil des Arbeitsgerichts abänderte und die Klage des Betriebsratsvorsitzenden abwies. Der Betriebsratsvorsitzende habe nicht darzulegen vermocht, dass er unter Zugrundelegung der hypothetischen betriebsüblichen Entwicklung bei der Arbeitgeberin spätestens ab August 2016 Bezirksgeschäftsführer in einem Bezirk mit zumindest 15.000 Mitgliedern geworden wäre. Eine Revision gegen dieses Urteil hatte das LAG nicht zugelassen.

Gegen das Urteil des LAG legte der Betriebsratsvorsitzende erfolgreich Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht (BAG) ein. Das BAG hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung Verhandlung zurück an das LAG. Der Betriebsratsvorsitzende habe bislang die Voraussetzungen des § 78 Satz 2 BetrVG nicht schlüssig dargelegt. Er hätte hierzu im Einzelnen unter Darstellung des Auswahlverfahrens und der Auswahlkriterien darlegen müssen, aus welchem Grund er sich gegen erfolgreiche Bewerber durchgesetzt hätte.

Im erneuten Verfahren vor dem LAG trug der Betriebsratsvorsitzende nun unter anderem vor, er wäre Bezirksgeschäftsführer geworden, wenn er nicht freigestelltes Betriebsratsmitglied gewesen wäre. Er habe 2009 und 2017 davon abgesehen, sich auf die Stelle des Bezirksgeschäftsführers zu bewerben, weil er im Falle einer Wahl die Position aufgrund seiner Freistellung nicht hätte wahrnehmen können. Der Betriebsratsvorsitzende räumt ein, dass er sich aufgrund der Frauenförderung im Jahr 2009 wohl nicht gegenüber seiner Kollegin hätte durchsetzen können.

Er sei indessen der Überzeugung, dass er dann aufgrund seiner Erfahrung und seines Ansehens bei einer Kandidatur 2009 stellvertretender Bezirksgeschäftsführer geworden wäre. Im Jahr 2017 hätte er sich dann auf die Stelle des Bezirksgeschäftsführers beworben und sich aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Gewerkschaftssekretär und Erfahrung als stellvertretender Gewerkschaftssekretär gegenüber dem gewählten Herrn G. durchgesetzt. Sein Qualifikationsvorsprung hätte bei der Wahl zu seinen Gunsten gesprochen.

Der Betriebsratsvorsitzende machte nun die Vergütung nach Einkommensgruppe 9.2 ab April 2017 geltend und zog im Übrigen seine Klage zurück.

Die Arbeitgeberin argumentierte, die geltend gemachte Eingruppierung ergebe sich nicht aus der ausgeübten Tätigkeit, sondern beruhe auf einer sich dynamisch entwickelnden Mitgliederzahl. Nach wie vor habe der Betriebsratsvorsitzende nicht die Grundsätze des Auswahlverfahrens und der Auswahlkriterien dargelegt.

Die Position des Bezirksgeschäftsführers sei ein politisches Amt und werde nicht von ihr, sondern vom Bezirksvorstand vorgeschlagen und nach Abstimmung mit der jeweils zuständigen Landesbezirksleitung vom Bundesvorstand bestellt. Der Bezirksvorstand bestehe ausschließlich aus ehrenamtlichen Mitgliedern der Gewerkschaft, die keine Beschäftigten der Arbeitgeberin seien. Ein bestimmter Werdegang bzw. eine bestimmte Ausbildung oder Berufserfahrung sei für den Bestellungsprozess nicht erforderlich. Zudem sei das Bestellungsverfahren letztlich abhängig von der Größe des Bezirks. Bei einer Veränderung der Mitgliederzahlen könne die Vergütung nach oben oder unten angepasst werden.

Das Landesarbeitsgericht entschied, die Klage des Betriebsratsvorsitzenden sei nach wie vor unbegründet. Der Betriebsratsvorsitzende räume ein, dass er weder darlegen noch beweisen kann, dass die mit ihm im Zeitpunkt der Amtsübernahme im Oktober 2001 vergleichbaren Arbeitnehmer aufgrund der betriebsüblichen beruflichen Entwicklung zumindest ab April 2017 Bezirksgeschäftsführer eines großen Bezirks mit mindestens 15.000 Mitgliedern geworden sind.

Der Betriebsratsvorsitzende habe als freigestelltes Betriebsratsmitglied aber auch keinen Anspruch gegenüber der Arbeitgeberin auf Vergütung nach Einkommensgruppe 9.2 entsprechend GBV-Entgelt ab April 2017 gemäß § 78 Satz 2 BetrVG.

Nach der allgemeinen Schutzvorschrift des § 78 Satz 2 BetrVG dürfen Betriebsratsmitglieder wegen ihrer Tätigkeit weder benachteiligt noch begünstigt werden. Dies gelte auch für ihre berufliche Entwicklung. Nach den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts im Revisionsurteil ist § 37 Absatz 4 BetrVG keine abschließende Regelung über die Höhe des Arbeitsentgelts des Amtsträgers. Die Vorschrift soll nur die Durchsetzung des Benachteiligungsverbots durch einfach nachzuweisende Anspruchsvoraussetzungen erleichtern. Daneben könne sich ein unmittelbarer Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf eine bestimmte Vergütung aus § 611a Absatz 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) in Verbindung mit § 78 Satz 2 BetrVG ergeben, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit darstelle.

Ein Anspruch aus § 78 Satz 2 BetrVG setze allerdings voraus, dass dem Betriebsratsmitglied der Nachweis gelingt, dass es ohne seine Tätigkeit als Mitglied des Betriebsrats inzwischen mit einer Aufgabe betraut worden wäre, die ihm den Anspruch auf das begehrte Arbeitsentgelt geben würde. Es bedürfe daher der, wenn auch auf Hilfstatsachen beruhenden Feststellung des Tatrichters, dass das Betriebsratsmitglied diese berufliche Entwicklung ohne seine Amtstätigkeit tatsächlich genommen hätte.

Hat sich ein freigestellter Amtsträger auf eine bestimmte Stelle tatsächlich nicht beworben, kann und muss er zur Begründung des fiktiven Beförderungsanspruchs darlegen, dass er die Bewerbung gerade wegen seiner Freistellung unterlassen hat und eine Bewerbung ohne die Freistellung erfolgreich gewesen wäre. Ein fiktiver Beförderungsanspruch des Amtsträgers könne bestehen, wenn das Fehlen von feststellbarem und aktuellem Fachwissen gerade aufgrund der Freistellung eingetreten sei. Hieran gemessen habe der Betriebsratsvorsitzende bereits nicht substantiiert die Begründung eines fiktiven Beförderungsanspruchs dargelegt.

Die wechselnden Sachvorträge des Betriebsratsvorsitzenden zu hypothetischen Bewerbungen machten seinen Sachvortrag unglaubhaft. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Betriebsratsvorsitzende zum Zeitpunkt der Ausschreibung und Besetzung der hier allein streitigen Beförderungsstelle im Jahr 2017 bereits sechs Jahren in L. wohnte. Der Umzug von K. nach L. in 2011 erfolgte nicht aus beruflichen Gründen, sondern allein aus privaten Gründen. Es erscheine wenig glaubhaft, dass der Betriebsratsvorsitzende seinen Wohnsitz nunmehr nochmals von L. nach K. verlegen wollte oder das arbeitstägliche Pendeln angesichts der Fahrtzeit von anderthalb Stunden hin und zurück nochmals in Kauf nehmen genommen hätte.

Letztlich könne aber auch unterstellt werden, dass der Betriebsratsvorsitzende, wenn er nicht im Rahmen seines Betriebsratsamtes freigestellt worden wäre, sich um eine Karriere im damaligen Arbeitsbezirk bemüht hätte. Er war zu dem Zeitpunkt unstreitig als Gewerkschaftssekretär und stellvertretender Bezirksgeschäftsführer im Bezirk K./P. eingesetzt und hatte seinen Wohnsitz unstreitig auch in K.. Dem Betriebsratsvorsitzenden sei es indessen nicht gelungen, überhaupt schlüssig darzulegen, dass er im Bezirk K./P. auch tatsächlich bei Antritt der Wahl 2017 gegenüber den vier Bewerbern obsiegt hätte.

Ungeachtet des fehlenden Vortrags zum konkreten Wahlverfahren habe der Betriebsratsvorsitzende aber auch nicht dargelegt, aus welchen Gründen seine Bewerbung erfolgreich gewesen wäre. Selbst dann, wenn der Kläger aufgrund seiner hervorragenden Qualifikationen, seinem Bekanntheitsgrad und seiner Beliebtheit nach objektiven Kriterien gegenüber Herrn G. der bessere Bewerber bei der Wahl 2017 gewesen wäre, stehe nach der Überzeugung des LAG nicht fest, dass der Betriebsratsvorsitzende im Falle einer hypothetischen Bewerbung auch tatsächlich gewählt worden wäre.

Der Findungsausschuss bestand zumindest aus 19 Mitgliedern. Die Ausschussmitglieder haben die Wahl nach einer persönlichen, 30-minütigen Anhörung der Kandidaten getroffen. Die Ausschussmitglieder waren an keine objektiven Auswahlkriterien gebunden. Der Betriebsratsvorsitzende berief sich auch nur auf ein konkretes Mitglied des Findungsausschusses, der ihn anstelle des Bewerbers G. gewählt hätte. Dass die übrigen 18 Mitglieder des Ausschusses das auch so sehen, behauptet der Betriebsratsvorsitzende nicht einmal.

In Anbetracht aller Erwägungen wurde die Berufung des Betriebsratsvorsitzenden abgewiesen. Die Revision zu diesem Urteil wurde nicht zugelassen.