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Betriebsratsmitglied bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Betriebszugang für freigestelltes Betriebsratsmitglied

Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 21.12.2020, Aktenzeichen 16 TaBVGa 189/20

Die Mitgliedschaft im Betriebsrat endet erst mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, nicht während der Kündigungsfrist, auch wenn der Arbeitnehmer in diesem Zeitraum von der Arbeitspflicht freigestellt ist.

Ein Betriebsratsmitglied vereinbarte mit der Arbeitgeberin Ende März 2020 einen Aufhebungsvertrag, der das Ende des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 2020 festschrieb. Das Betriebsratsmitglied wurde ab dem 1. April bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses unwiderruflich, unter Fortzahlung der vertraglich vereinbarten Bezüge, freigestellt. Gemäß Aufhebungsvertrag hatte er bis zum 31. März 2020 alle ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen sowie das Firmeneigentum einschließlich Laptop zurückzugeben. Ausgenommen war lediglich das ihm überlassene Firmenfahrzeug, das die Arbeitgeberin ihm zum Erwerb anbot.

Zunächst gab das Betriebsratsmitglied das Firmenlaptop nicht heraus und nahm weiterhin an Betriebsratssitzungen teil. In einer E-Mail vom 5. November 2020 teilte der Personalleiter innerbetrieblich seine Auffassung mit, dass das Betriebsratsmitglied basierend auf dem Aufhebungsvertrag und der darin vereinbarten unwiderruflichen Freistellung sein Betriebsratsamt verloren habe. Die Arbeitgeberin sperrte am selben Tag den Zugang des Betriebsratsmitgliedes zum betrieblichen IT-System.  Am 13. November 2020 stellte das Betriebsratsmitglied fest, dass seine Zugangskarte zu den Betriebsräumen, die er entgegen den Regelungen im Aufhebungsvertrag nicht herausgegeben hatte, gesperrt war. Dagegen wandte sich der Betriebsrat in Form eines Antrags auf einstweilige Verfügung beim Arbeitsgericht.

Das Arbeitsgericht wies die Anträge zurück. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats legte dagegen am 13. Dezember 2020 Beschwerde beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Er behauptete, abweichend vom Aufhebungsvertrag sei zwischen den Parteien vereinbart worden, das Betriebsratsmitglied könne sein Firmenlaptop einschließlich seines Zugangs zum Firmennetzwerk behalten. Nach Abschluss des Aufhebungsvertrages habe das Betriebsratsmitglied Arbeitszeugnisse für 4 Mitarbeiter ausgestellt und somit dienstliche Handlungen vorgenommen. Bis zur Entscheidung in der Hauptsache sei der Arbeitgeberin aufzugeben,

  1. die Wahrnehmung des Betriebsratsamts durch das Betriebsratsmitglied zu dulden,
  2. zur Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeiten dem Betriebsratsmitglied uneingeschränkten Zugang zu den durch die Betriebsratsmitglieder genutzten informationstechnischen Systemen durch Freischaltung des Benutzerkontos zu verschaffen,
  3. es zu unterlassen, dem Betriebsrat gegenüber Vorgaben im Hinblick auf die Einstellung der Ausübung des Betriebsratsamts durch das Betriebsratsmitglied zu machen,
  4. dem Betriebsratsmitglied durch Überlassung einer aktivierten, gültigen Zugangskarte ungehinderten Zutritt zu den Betriebsräumlichkeiten zu verschaffen.

Die Arbeitgeberin entgegnete, ein Verfügungsanspruch bestehe nicht. Das Betriebsratsmitglied habe im Zeitpunkt der unwiderruflichen Freistellung sein Betriebsratsamt verloren.

Das LAG entschied, das Betriebsratsmitglied gehöre weiterhin dem Betriebsrat an. Seine Mitgliedschaft im Betriebsrat sei nicht durch den Aufhebungsvertrag und der darin vereinbarten Freistellung erloschen. Nach § 24 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) erlischt die Mitgliedschaft im Betriebsrat entweder durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder durch den Verlust der Wählbarkeit. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses entspreche der rechtlichen Beendigung, die in diesem Fall auf den 31. Dezember 2021 festgelegt wurde.

Im Aufhebungsvertrag hätten die Arbeitgeberin und das Betriebsratsmitglied nur ihre individualvertraglichen Rechtsbeziehungen geregelt (Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Freistellung, Rückgabe von Firmeneigentum), nicht jedoch ihre kollektivrechtliche Beziehung. Es wäre ohne weiteres möglich gewesen zu vereinbaren, dass das Betriebsratsmitglied vor dem rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember 2021 zu einem vereinbarten Zeitpunkt von seinem Betriebsratsamt zurücktritt. Indem dies nicht erfolgte, könne dieses Schweigen nur dahin verstanden werden, dass der Aufhebungsvertrag keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Betriebsratstätigkeit des Betriebsratsmitgliedes haben sollte. Dann müsse es diesem aber möglich sein, sein Betriebsratsamt bis zum vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses auszuüben.

Ein gekündigter Arbeitnehmer gelte hinsichtlich seiner Betriebsangehörigkeit als wählbar, solange nicht rechtskräftig geklärt ist, ob die Kündigung gerechtfertigt war. Die Wählbarkeit müsse zumindest solange bestehen, wie der Arbeitnehmer während der noch laufenden Kündigungsfrist unter Fortzahlung seiner Vergütung von der Arbeitsleistung freigestellt ist.

Wäre die Eingliederung in den Betrieb an die tatsächliche Erbringung der arbeitsvertraglichen Hauptpflichten durch das betreffende Betriebsratsmitglied gebunden, stünde dies in Widerspruch zu § 38 BetrVG. Diese Norm belege, dass auch Betriebsratsmitglieder, die keine Arbeitsleistung erbringen und insoweit auch keinem arbeitsvertraglichen Direktionsrecht unterliegen, dem Betrieb zugehörig sind.

Auch wenn das Betriebsratsmitglied kein nach § 38 BetrVG gewähltes freigestelltes Betriebsratsmitglied ist, sei er weiterhin dem Betrieb zugehörig und könne die ihm aufgrund der im Aufhebungsvertrag vereinbarten Freistellung von seiner Arbeitspflicht zur Verfügung stehende Zeit für die Leistung von Betriebsratstätigkeiten verwenden. Im Unterschied zu einem nach § 38 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitglied entscheide er selbst über den zeitlichen Umfang seiner Amtstätigkeit.

Ist die Mitgliedschaft des Betriebsratsmitgliedes damit weder nach § 24 Nr. 3 oder Nr. 4 BetrVG erloschen, habe die Arbeitgeberin die Wahrnehmung des Betriebsratsamts durch das Betriebsratsmitglied zur Erfüllung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben zu dulden. Das ergebe sich aus § 78 Satz 1 BetrVG.

Basierend auf demselben Rechtsgrund (§ 78 Satz 1 BetrVG) sei dem Betriebsratsmitglied Zugang zu den durch die Betriebsratsmitglieder genutzten informationstechnischen Systemen sowie zu den Betriebsräumen zu gewähren.

Der Verfügungsgrund der Eilbedürftigkeit ergebe sich, da Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren zu spät käme.

Der Antrag zu 3 sei jedoch unbegründet. Ein Verfügungsanspruch sei dafür nicht gegeben. Mit dem Antrag, dem Arbeitgeber aufzugeben es zu unterlassen, dem Betriebsrat gegenüber Vorgaben im Hinblick auf die Einstellung der Ausübung des Betriebsratsamts durch das Betriebsratsmitglied zu machen, wende sich der Antrag gegen eine Verlautbarung des Personalleiters vom 5. November 2020. Dort teilte dieser dem Betriebsrat seine Rechtsauffassung hinsichtlich der weiteren Zugehörigkeit des Betriebsratsmitglieds zum Betriebsratsgremium mit und bat „die entsprechenden Maßnahmen zu veranlassen“. Unabhängig davon, ob die mitgeteilte Rechtsauffassung zutreffe oder nicht, sei der Betriebsrat frei, ob oder in welcher Weise er darauf eingeht. Das sachlich formulierte und mit einem Gesprächsangebot verbundene Schreiben stelle keine Behinderung der Betriebsratsarbeit im Sinne von § 78 Satz 1 BetrVG dar und unterliege als Meinungsäußerung dem Schutzbereich des Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz (GG). Es reiche aus, wenn der Betriebsrat seine abweichende Auffassung der Arbeitgeberin gegenüber seinerseits mitteile.

Gegen die Entscheidung wurde keine Rechtsbeschwerde zugelassen.