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Sozialplanleistungen dürfen nicht Kündigungsschutzklage beeinflussen

Klageverzichtsprämie abhängig vom Sozialplan unwirksam

Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 21.01.2021, Aktenzeichen 4 Sa 217/20

Leistungen in Sozialplänen, die dem Ausgleich oder der Abmilderung der mit einer Betriebsänderung für die Arbeitnehmer verbundenen wirtschaftlichen Nachteile dienen, dürfen nicht vom Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage (Klageverzichtsprämie) abhängig gemacht werden.

Zur Milderung der Folgen einer Werkschließung vereinbarte die Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat des zu schließenden Betriebs in der Einigungsstelle neben einem Interessenausgleich auch einen Sozialplan.  Alle Arbeitnehmer die betriebsbedingt gekündigt wurden, hatten laut Sozialplan Anspruch auf eine Abfindung. Für die Abfindung wurden Länge der Betriebszugehörigkeit, Bruttomonatseinkommen sowie ein Faktor der die Zugehörigkeit des Mitarbeiters zu einer Altersgruppe betrifft, berücksichtigt. Ein zusätzlicher Abfindungsbetrag wurde für jedes unterhaltsberechtigte Kind sowie für Schwerbehinderte und Gleichgestellte gezahlt.

Die Gesamtabfindung wurde auf einen Höchstbetrag von 75 000 Euro beschränkt. Im Sozialplan sowie im Interessenausgleich wurde festgeschrieben, Arbeitnehmer können ab dem 01.09.2019 unwiderruflich unter Fortzahlung der vollen Vergütung sowie Anrechnung eventuell noch bestehender Urlaubsansprüche und eventueller Zeitguthaben freigestellt werden.

Auf Vorschlag des Einigungsstellenvorsitzenden wurde zwischen den Parteien eine Betriebsvereinbarung „Klageverzichtsprämie“ abgeschlossen. Demnach haben Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des Interessenausgleichs und Sozialplans vom 05.06.2019 fallen und Ansprüche auf eine Abfindung haben, gekündigt wurden und keine Kündigungsschutzklage erhoben, Anspruch auf eine höhere Abfindung.

Ein Mitarbeiter in der Qualitätssicherung erhielt seine Kündigung im Juni 2019. Ihm wurde betriebsbedingt zum 31. Januar 2020 gekündigt. Die Produktion am Standort wurde Ende August 2019 eingestellt. Der Mitarbeiter, der keine Kündigungsschutzklage erhoben hatte, wurde ab September 2019 unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt.

Auch auf die Klageverzichtsprämie wurde die Kappungsgrenze des Sozialplans zur Berechnung der Abfindungsgrenze angewandt. In der Abfindungsberechnung des Mitarbeiters wurde als maximale Abfindung 75 000 Euro angegeben.

Inclusive der Klageverzichtsprämie erhielt kein jüngerer Mitarbeiter eine höhere Abfindung als der 1962 geborene Mitarbeiter.

Vor dem Arbeitsgericht erhob der Mitarbeiter Mitte August 2019 Klage und forderte die Zahlung im Umfang der auf die Freistellung entfallenden Vergütung. Im November 2019 erweiterte er seinen Anspruch im Umfang der Klageverzichtsprämie sowie im Umfang der durch die Deckelung der Abfindung entstandenen Minderung und verlangte hilfsweise jeweils Schadenersatz bzw. Entschädigung in jeweils gleicher Höhe wegen eines Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG).

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Der Mitarbeiter habe keinen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung in Höhe des Entgeltanspruchs für die Zeit seiner Freistellung. Die Arbeitgeberin hätte weder durch Leistung noch in sonstiger Weise etwas ohne Rechtsgrund erlangt. Hingegen sei die Betriebsvereinbarung Klageverzichtsprämie unwirksam, da sie vollständig aus dem Sozialplanvolumen finanziert worden sei. Damit sei das Verbot, Sozialplanabfindungen von einem Verzicht auf eine Kuendigungsschutzklage abhängig zu machen, umgangen worden. Wegen der Unwirksamkeit der BV Klageverzichtsprämie fehle die Anspruchsgrundlage für die Zahlung einer solchen Prämie.

Auch unter Berücksichtigung der Klageverzichtsprämie erhalte kein jüngerer Arbeitnehmer eine höhere Abfindung als ein älterer Arbeitnehmer. Die Anwendung der Kappungsgrenze auf die Klageverzichtsprämie verstoße nicht gegen § 75 Abs. 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) in Verbindung mit dem AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz).

Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts legte der Mitarbeiter Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Die BV Klageverzichtsprämie habe bei Anwendung der Deckelung keinen anderen Sinn als die Umverteilung der zur Verfügung stehenden Summe für Abfindungen entgegen der Regelungen im Sozialplan zulasten der älteren Mitarbeiter. Der Anspruch auf die Klageverzichtsprämie ergebe sich auch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Arbeitgeberin habe nicht im Rechtsirrtum gezahlt, sondern weil sie die jüngeren Mitarbeiter habe bevorzugen wollen. Die BV Klageverzichtsprämie sei jedenfalls auch wegen Verstoßes gegen § 7 AGG unwirksam.

Ebenso sie die Kappungsgrenze des Sozialplanes sei unwirksam. Sie diene dazu, die 8 Millionen Euro, die für Abfindungen zur Verfügung gestanden hätten, so zu verteilen, dass die jüngeren Mitarbeiter um jeweils den Faktor 0,25 mehr von der Gesamtsumme erhalten hätten als die älteren Mitarbeiter. Sie sei daher Teil der erfolgten Benachteiligung der älteren Mitarbeiter. Zwar habe kein jüngerer Arbeitnehmer der Summe nach eine höhere Abfindung erhalten als der klagende Mitarbeiter, jedoch hätten Mitarbeiter, die jünger als 52 Jahre seien, einen prozentual größeren Anteil von der für Abfindungszahlungen zur Verfügung stehenden Summe erhalten.

Die Arbeitgeberin argumentierte, ein Anspruch auf die Klageverzichtsprämie bestehe nicht. Die Betriebsparteien seien dem Vorschlag des Einigungsstellenvorsitzenden gefolgt. Niemand sei von einer Unwirksamkeit dieser Betriebsvereinbarung ausgegangen. Eine Benachteiligung älterer Mitarbeiter liege nicht vor, denn kein anderer Mitarbeiter habe eine höhere Abfindung bekommen als der klagende Mitarbeiter. Die Arbeitgeberin habe die Regelungen der BV Klageverzichtsprämie vollzogen, weil sie keine Hinweise auf deren Unwirksamkeit gehabt habe.

Durch die Anwendung der Deckelung würden Arbeitnehmer wegen ihres Alters weder bevorzugt noch benachteiligt. Der vereinbarte Höchstbetrag von 75.000,- € sei als geeignete Obergrenze anzusehen.

Auch die tatsächliche Verteilung der Abfindungen habe nicht zu einer sachwidrigen Umverteilung des Volumens geführt. Die 111 über 49-jährigen Mitarbeiter hätten 7/8 (7,02 Mio. €) und die 47 unter 49-jährigen Mitarbeiter 1/8 (1,08 Mio. €) der zur Verfügung gestellten Abfindungssumme erhalten. Die durchschnittliche Abfindung von Mitarbeitern bis zum 48. Lebensjahr habe lediglich 23.004,16 € betragen. Demgegenüber habe der klagende Mitarbeiter zu den 85 Mitarbeitern gehört, die eine Deckelung von 75.000,- € erfahren hätten.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) entschied, das Arbeitsgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Mitarbeiter stehe weder ein Anspruch auf Zahlung in Höhe des Verdienstes ab Freistellung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses, noch eine Zahlung in Höhe der Klageverzichtsprämie, noch eine Zahlung in Höhe der Sozialplanabfindung ohne Kappungsgrenze zu.

Die Entgeltzahlungen für die Zeit der Freistellungen erfolgten nicht aus dem zur Verfügung gestellten Sozialplanvolumen. Die Entgeltansprüche folgten aus den arbeitsvertraglichen Regelungen. Die Freistellungsregelung sollte offensichtlich materiell nicht Teil der Regelungen zur Milderung der Nachteile sein. Die Arbeitgeberin konnte im vorliegenden Fall der Betriebsstilllegung vor Ablauf der Kündigungsfrist ohnehin einseitig die Freistellung bei Fortzahlung der Vergütung unter Einbringung von Urlaub und Zeitguthaben anordnen.

Der Mitarbeiter habe auch keinen Schadensersatzanspruch wegen einer behaupteten Täuschung des Betriebsrats über die Höhe der für den Sozialplan zur Verfügung stehenden Summe. Es fehle angesichts der Regelungen im Interessenausgleich und Sozialplan jeglicher Anhaltspunkt für eine Täuschung des Betriebsrats durch die Arbeitgeberin.

Die BV Klageverzichtsprämie umgehe zwar das Verbot, Sozialplanabfindungen von einem Verzicht auf die Kündigungsschutzklage abhängig zu machen. Dies führe jedoch nicht zur Unwirksamkeit der BV Klageverzichtsprämie insgesamt, sondern sie bleibe Teil der Sozialplanregelung. Damit erhöhe sich grundsätzlich für jeden unter den Anwendungsbereich des Sozialplans fallenden Arbeitnehmer die Abfindung um den Faktor 0,25, unabhängig davon, ob er Kündigungsschutzklage erhoben hat oder nicht. Die Abfindung insgesamt unterliege als Teil der Sozialplanabfindung allerdings der Kappungsgrenze von 75.000,- €.

Die Verknüpfung der um den Faktor 0,25 erhöhten Abfindung mit dem Klageverzicht in der BV Klageverzichtsprämie sei unwirksam.

Leistungen in Sozialplänen im Sinne von § 112 Absatz 1 Satz 2 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz), die dem Ausgleich oder der Abmilderung der mit einer Betriebsänderung für die Arbeitnehmer verbundenen wirtschaftlichen Nachteile dienen, dürfen nicht vom Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht werden. Die Arbeitnehmer, welche nicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichten, werden hinsichtlich der Sozialplanabfindung schlechter behandelt als diejenigen, die von der gerichtlichen Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung absehen. Diese Ungleichbehandlung ist nach Sinn und Zweck des Sozialplans sachlich nicht gerechtfertigt.

Beide Parteien gingen davon aus, dass im Rahmen der Sozialplanverhandlungen ein bestimmtes Finanzvolumen für Abfindungen zur Verfügung stand. Mit der Verwendung eines wesentlichen Teils des vorgegebenen Finanzvolumens für eine Klageverzichtsprämie sei dieses zweckwidrig im Interesse der Arbeitgeberin eingesetzt worden.

Die Arbeitgeberin habe unwidersprochen vorgetragen, dass schon bei Nichtanwendung der Höchstbetragsbegrenzung des Sozialplans auch auf die Klageverzichtsprämie, dessen Volumen nicht beschränkt wäre, sondern sich in etwa verdoppeln würde.

Die BV Klageverzichtsprämie sei als Teil des Sozialplans anzusehen, so dass nur die Verknüpfung des Teils der Abfindung mit dem Klageverzicht, die in der BV Klageverzichtsprämie geregelt ist, wegfällt. Deshalb erhöhe sich grundsätzlich der Faktor für jeden unter den Sozialplan fallenden Arbeitnehmer um 0,25, unabhängig davon, ob Kündigungsschutzklage erhoben wurde. Die so erhöhte einheitliche Abfindung unterliege allerdings der im Sozialplan vereinbarten Kappungsgrenze.

Die BV Klageverzichtsprämie sei als Teil des Sozialplans anzusehen. Aus dem Wortlaut und der rechtlichen Gestaltung der Klageverzichtsprämie ergebe sich bereits, dass mit der als Klageverzichtsprämie bezeichneten Leistung nicht lediglich im Interesse alsbaldiger Planungssicherheit eine zusätzliche Leistung versprochen wurde. In Wirklichkeit sollten wesentliche Teile der Sozialplanabfindung selbst von der Voraussetzung des Klageverzichts abhängig gemacht werden.

Die Kappungsgrenze verstoße nicht gegen das Verbot, Personen wegen ihres Alters zu benachteiligen. Eine unmittelbare Benachteiligung liege nicht vor, weil die vom Mitarbeiter beanstandete Regelung nicht an das Alter, sondern an das Erreichen des Höchstbetrages anknüpft.

Die Begrenzung der Sozialplanabfindung verletze auch nicht den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.

Zu Unrecht habe der klagende Mitarbeiter argumentiert, dass jüngere Mitarbeiter aufgrund der Kappungsgrenze ungerechtfertigt bessergestellt seien. Die Höchstbetragsregelung diene gerade der Sicherstellung einer substantiellen Milderung der Nachteile auch der jüngeren Mitarbeiter. Es oblag der Einschätzung der Betriebspartner, dass ohne die Kappungsgrenze eine hinreichende Abmilderung von Nachteilen jüngerer Mitarbeiter durch Abfindungen nicht mehr gewährleistet gewesen wäre.

Eine Revision zu dieser Entscheidung wurde zugelassen.