BLOG RECHTSPRECHUNG

Freizustellende Betriebsratsmitglieder werden gewählt

Wahl freizustellender Betriebsratsmitglieder

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.03.2021, Aktenzeichen 7 ABR 6/20

Von der Arbeit freizustellenden Betriebsratsmitglieder werden vom Betriebsrat aus seiner Mitte in geheimer Wahl und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Die Wahl bezieht sich jeweils auf einzelne freizustellende Betriebsratsmitglieder, nicht auf Paare oder Gruppen von Betriebsratsmitgliedern.

Einzelne Mitglieder des Betriebsrats waren nicht mit der Art und Weise einverstanden, mit der Betriebsratsmitglieder ermittelt wurden, die für ihre Betriebsratsarbeit von der Arbeit freizustellen sind.

Für den am Standort gewählten Betriebsrat mit 11 Mitgliedern und aufgrund der Anzahl im Betrieb Beschäftigten waren mindestens zwei Betriebsratsmitglieder von ihrer beruflichen Verpflichtung freizustellen. Der Betriebsratsvorsitzende beabsichtigte per Mehrheitsbeschluss die 2. Freistellung auf 2 Betriebsratsmitglieder aufzuteilen.

Im Ergebnis der Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder erhielt der Betriebsratsvorsitzende eine volle Freistellung über 38 Wochenstunden. Ein Betriebsratsmitglied, das lediglich 27 Stunden pro Woche im Arbeitsverhältnis steht, wurde für 27 Wochenstunden freigestellt. Die übrigen 11 Stunden Differenz zu einer Vollzeitbeschäftigung wurden für die Teilfreistellung eines Betriebsratsmitgliedes genutzt, das eine Arbeitsverpflichtung von 38 Stunden pro Woche hat.

Der Betriebsratsvorsitzende sowie mehrere Mitglieder des Betriebsrats fochten die Wahl vor dem Arbeitsgericht an. Die Wahl sei nicht ordnungsgemäß erfolgt, da der Betriebsrat nicht zuvor durch einen Beschluss festgelegt habe, ob und wie die zwei Vollfreistellungen durch Teilfreistellungen ersetzt werden sollten. Vor der Wahl sei lediglich über den Vorschlag des Betriebsratsvorsitzenden, die zweite Freistellung hälftig zu teilen, diskutiert worden.

Die Gestaltung der Wahlvorschlagsliste 2, auf der – im Gegensatz zur Wahlvorschlagsliste 1 – nicht mehrere einzelne Kandidaten, sondern zwei Kandidatenpaare aufgeführt seien, die sich jeweils eine Vollfreistellung nach ihren individuellen Wünschen aufgeteilt hätten, widerspreche wesentlichen Vorschriften über das Wahlverfahren. Das Höchstzahlverfahren nach d’Hondt habe aufgrund der Gestaltung der Vorschlagsliste 2 nicht angewandt werden können.

Drei der an diesem Verfahren beteiligte Betriebsratsmitglieder beantragten die Anträge abzuweisen. Die Wahl sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Vor der Wahl habe der Betriebsrat keinen Beschluss über Teilfreistellungen treffen müssen. Spätestens mit Beginn und Durchführung der Wahl habe der Betriebsrat konkludent einen Beschluss gefasst, dass Teilfreistellungen vorgenommen werden, falls die Liste 2 eine Höchstzahl der Stimmen bekommt.

Die auf die Listen zu verteilenden Höchstzahlen müssten nach dem Gesamtumfang des Freistellungsvolumens und nicht nach der Anzahl der freizustellenden Personen verteilt werden.

Das Arbeitsgericht wies den Antrag ab. Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies die Beschwerde der Antragsteller zurück.

Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgten der Betriebsratsvorsitzende und weitere Betriebsratsmitglieder weiterhin ihr Anfechtungsbegehren.

Das BAG entschied, die Rechtsbeschwerde sei begründet. Die Vorinstanzen hätten den Wahlanfechtungsantrag zu Unrecht abgewiesen.

Die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder könne in entsprechender Anwendung von § 19 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) durch ein einzelnes oder mehrere Betriebsratsmitglieder angefochten werden, wenn bei der Wahl gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.

Der Betriebsrat habe keinen konkludenten Beschluss über Teilfreistellungen gefasst. Ein Beschluss des Betriebsrats nach § 33 BetrVG erfordere grundsätzlich eine förmliche Abstimmung. Eine stillschweigende Beschlussfassung gebe es nicht.

Eine Beschlussfassung durch schlüssiges (konkludentes) Verhalten komme etwa dann in Betracht, falls festgestellt wird, es werde kein Widerspruch, oder nur der Widerspruch einer Minderheit, gegen einen zur Abstimmung gestellten Antrag erhoben.

Danach sei kein konkludenter Beschluss des Betriebsrats über die Aufteilung der Freistellungen in eine Vollfreistellung und zwei Teilfreistellungen im Umfang von 27 und elf Stunden pro Woche gefasst worden.

Dem Protokoll der Betriebsratssitzung lasse sich keine konkludente Beschlussfassung entnehmen. Ausweislich des Protokolls wurde zunächst über eine 50:50-Teilung der zweiten Freistellung diskutiert. Sodann wurden die Vorschläge als 2 volle Freistellungen gemacht, welches der Betriebsratsvorsitzende aber noch rechtlich prüfen lassen wollte. Anschließend folgten die Vorschläge, wobei Vorschlag 1 zwei Vollfreistellungen und Vorschlag 2 jeweils paarweise Teilfreistellungen in unterschiedlichen zeitlichen Umfang enthielt. Zum Schluss wurde das Wahlergebnis festgehalten. Es wurde keine Handlung der Betriebsratsmitglieder protokolliert, in der zugleich eine Beschlussfassung im Sinne des § 33 BetrVG liegen könnte. Nicht einmal die Durchführung der Wahl an sich sei in dem Protokoll vermerkt.

Es sei auch nicht festgestellt und auch von keinem Beteiligten behauptet worden, dass überhaupt ein Antrag zur Abstimmung im Sinne des Vorschlags 2 gestellt worden wäre, demnach es zu Teilfreistellungen hätte kommen sollen, und auf den sich ein späteres tatsächliches Verhalten als konkludente Beschlussfassung beziehen könnte. Zwei Teilfreistellungen im Vorschlag 2 rechtfertigten nicht den Schluss auf einen konkludenten Beschluss über die in diesem Vorschlag aufgeführten Teilfreistellungen. Mit gleicher Berechtigung könnte argumentiert werden, dass der Vorschlag 1 nur Vollfreistellungen vorsah und folglich ein konkludenter Beschluss dahingehend getroffen worden sei, von der Möglichkeit der Teilfreistellungen keinen Gebrauch zu machen.

Zudem sei weder festgestellt noch vorgetragen, dass alle Betriebsratsmitglieder davon ausgingen, dass es vor der Wahl zwingend eines Beschlusses des Betriebsrats über das Ob und Wie von Teilfreistellungen bedarf. Auch deshalb könne aus der Durchführung der Wahl nicht auf eine vorangegangene Beschlussfassung geschlossen werden.

Die Wahl von teilfreigestellten Betriebsratsmitgliedern sei auch dann möglich, wenn der Betriebsrat nicht zuvor einen dahingehenden Beschluss gefasst hat. Nach dem Wortlaut des § 38 Absatz 1 Satz 3 BetrVG können Freistellungen auch in Form von Teilfreistellungen erfolgen. Die Frage, ob eine Teilfreistellung möglich sei, wurde damit bereits durch den Gesetzgeber positiv entschieden. Das Gesetz sehe nicht vor, dass es noch eines Beschlusses des Betriebsrats bedarf.

Ergibt die Wahl, dass ein teilzeitbeschäftigtes Betriebsratsmitglied von der beruflichen Tätigkeit freigestellt werden soll, so handele es sich um eine Entscheidung des Betriebsrats und nicht lediglich um die Entscheidung des einzelnen Betriebsratsmitglieds oder der Koalition, die dieses Betriebsratsmitglied für die Freistellung vorgeschlagen hat.

  • 38 Absatz 2 Satz 1 BetrVG bestimmt, dass die freizustellenden Betriebsratsmitglieder in geheimer Wahl und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden. Als Mittel der Entscheidungsfindung sehe das Gesetz grundsätzlich die Verhältniswahl und nicht den Mehrheitsbeschluss vor. Die Frage, ob das vollzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglied oder das teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglied freigestellt wird, soll durch Wahlen bestimmt werden und nicht durch einen Beschluss.

Ein Beschluss des Betriebsrats über die Zulassung und den Umfang von Teilfreistellungen sei auch nicht deshalb geboten, weil nach § 38 Absatz 2 Satz 1 BetrVG vor der Wahl eine Beratung mit der Arbeitgeberin stattzufinden hat.

Die Information über die in einem Beschluss des Betriebsrats abstrakt festgelegte Aufteilung der Freistellungen werde die Arbeitgeberin oft nicht in die Lage versetzen, eine abschließende Stellungnahme abzugeben, da es für sie regelmäßig von besonderer Bedeutung sein wird, welcher Arbeitnehmer in welchem Umfang freigestellt werden soll. Dagegen ermöglicht die Information über die in den Wahlvorschlägen vorgesehenen Teilfreistellungen bestimmter Arbeitnehmer der Arbeitgeberin eine Stellungnahme zu den vorgeschlagenen Freistellungen.

Diese Auslegung entspreche dem Anliegen des Gesetzgebers, Teilzeitkräften die Chance zu geben, sich in der Betriebsratsarbeit zu engagieren und sich dafür entweder vollständig oder auch nur teilweise von ihrer Arbeit freistellen zu lassen, und vollzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder, die durch die Betriebsratsarbeit nicht den Anschluss an das Berufsleben verlieren möchten, nur teilweise freizustellen.

Die Freistellungswahl vom 29. März 2018 sei jedoch unwirksam, weil die Wahlvorschläge der Liste 2 unzulässig waren.

In der Vorschlagsliste 2 sei zwar der gewünschte Umfang der Freistellung der Kandidaten angegeben. Die Liste enthalte jedoch keine Auflistung der einzelnen vorgeschlagenen Kandidaten, sondern von Kandidatenpaaren. Auf der Vorschlagsliste seien nicht von vornherein Kandidatenpaare anzugeben, deren kombiniertes Freistellungsvolumen einer Vollfreistellung entspricht. Vielmehr seien die Bewerber einzeln untereinander aufzulisten.

Die Wahl müsse sich nicht auf Paare oder gar Gruppen von Betriebsratsmitgliedern, sondern jeweils auf einzelne freizustellende Betriebsratsmitglieder beziehen.

Nach § 8 Absatz 1 Nr. 2 WO (Wahlordnung) sind Vorschlagslisten ungültig, auf denen die Bewerberinnen oder Bewerber nicht in erkennbarer Reihenfolge aufgeführt sind. Die Erkennbarkeit der Reihenfolge sei von wesentlicher Bedeutung, da sich die gewählten Bewerber bei der Verhältniswahl gemäß § 15 Absatz 4 WO nach der Reihenfolge ihrer Benennung auf der Vorschlagsliste bestimmen.

Danach komme eine Aufstellung von Kandidatenpaaren nicht in Betracht. Das ergebe sich auch daraus, dass im Falle des Ausscheidens eines freigestellten Betriebsratsmitglieds aus der Freistellung nicht ermittelt werden könnte, welches Betriebsratsmitglied in welchem Umfang in die Freistellung nachrückt.

Scheidet ein teilfreigestelltes Mitglied aus dem Betriebsrat aus, muss klar sein, welches Mitglied von der Liste nachrückt. Dies sei nicht der Fall, wenn es nur eine Reihenfolge von Kandidatenpaaren und nicht einzelner Kandidaten gibt.