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Wann ist eine betriebsbedingte Kündigung sozial ungerechtfertigt?

Betriebsbedingte Kündigung – Sozial nicht gerechtfertigt

Landesarbeitsgericht Thüringen, Urteil vom 04.08.2021, Aktenzeichen 4 Sa 293/19

Führt eine betriebsbedingte Kündigung zu einer Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbliebenen Personals oder sie ist lediglich Vorwand dafür, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestehen und etwa nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen wird, ist sie unwirksam.

Seit dem 01.05.2018 war ein Sportdirektor bei einem insolventen Fußball e.V. angestellt. Der sogenannte “starke vorläufige Insolvenzverwalter” wurde im Juni 2018 offiziell vom Amtsgericht eingesetzt, war aber schon vorher als Insolvenzverwalter für den Fußball e.V. tätig.

Anfang August 2018 unterzeichneten die Parteien den auf den 2.5.2018 datierten Arbeitsvertrag. Dieser regelte eine Befristung bis zum 30.6.2020 sowie eine Verlängerungsoption bis zum 30.6.2021. Der Arbeitsvertrag sollte vorzeitig bei einem Abstieg der ersten Mannschaft in eine Amateurspielklasse unterhalb der vierten Liga enden.

Mit Schreiben vom 30.4.2019 kündigte der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis zum 31.7.2019.

Der Sportdirektor reichte im Mai 2019 Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung beim Arbeitsgericht ein. Zu diesem Zeitpunkt waren mehr als 10 Mitarbeiter beim Fußball e.V. angestellt.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Der Insolvenzverwalter könne ein Sonderkündigungsrecht für sich in Anspruch nehmen, auch wenn er selbst den Sportdirektor eingestellt hat. Die Kündigung sei auch sozial gerechtfertigt, denn der Insolvenzverwalter habe vorgetragen, dass die vom Sportdirektor auszuübenden Aufgaben auf andere Arbeitnehmerinnen verteilt worden seien und er selbst im Übrigen wesentliche Aufgaben übernommen habe. Dies habe der Sportdirektor nicht mit substantiierten Sachvortrag bestritten.

Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts legte der Sportdirektor Berufung beim Landesarbeitsgericht ein. Er sei von dem Urteil des Arbeitsgerichts überrascht worden, da er den Eindruck hatte, das Arbeitsgericht werde ihm zuvor die Möglichkeit zur Stellungnahme zum Schriftsatz des Insolvenzverwalters geben. Bereits vor Ausspruch der Kündigung habe der Insolvenzverwalter mit potenziellen Nachfolgern verhandelt.

Der Sportdirektor beantragte, es sei festzustellen, das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung nicht aufgelöst worden und besteht über den Kündigungszeitpunkt weiter fort.

Der Insolvenzverwalter bestand auf sein Sonderkündigungsrecht. Er versuchte im Einzelnen die Arbeitsaufgaben des Sportdirektors darzulegen.

Die Sichtung der vertraglichen Verpflichtung und sportlichen Einordnung von talentierten und neuen Spielern für die erste Mannschaft des Fußball e.V. habe am Anfang der Saison 70 % der Arbeitszeit umfasst, im Übrigen habe diese Aufgabe nur 20 % der Tätigkeit ausgemacht. Diese Aufgaben seien von Trainer und Co-Trainer übernommen worden. Das sei im Prinzip schon vor der Kündigung des Sportdirektors so gewesen und dieser habe nur übergeordnete Tätigkeiten diesbezüglich durchgeführt.

Die Auswahl und Überwachung des Funktionsteams der ersten Mannschaft des Fußball e.V., dem ärztliche Betreuer, Sanitäter, Physiotherapeuten und weitere Mitarbeiter angehörten, habe ca. 5 % der Arbeitskraft ausgemacht.

Dieses Team sei bei Arbeitsantritt des Sportdirektors bereits vorhanden gewesen und nach der Einstellung des Cheftrainers am 1.7.2018 habe dieser sich darum gekümmert. Der Sportdirektor habe nur noch geringe Overhead-Funktionen übernommen.

Die Überwachung der gesamten Entwicklung des Leistungsfußballs des Fußball e.V. unter besonderer Berücksichtigung der Jugend (U 17, U 19) sowie die übergeordnete Leitung des Nachwuchsleistungszentrum sowie dessen Konzeption und übergeordnetes Controlling habe ca. 40 % der Arbeitszeit des Sportdirektors ausgemacht. Diese Aufgaben habe der Sportdirektor gar nicht in diesem Umfange durchgeführt, sondern an andere Mitarbeiter als Leiter des Nachwuchsleistungszentrums delegiert. Der Sportdirektor habe nur übergeordnete Tätigkeiten behalten, die dann etwa 15-20 % seiner Tätigkeit ausgemacht hätten. Diese habe er, der Insolvenzverwalter, übernommen.

Hinsichtlich der Aufgaben der Planung und Organisation der ersten Mannschaft habe der Sportdirektor bezüglich der Etatplanung und Budgetierung nur Zuarbeiten geleistet.

Die weiteren Aufgaben wie Planung von Trainingslager, Ablauf der Saison, Vorbereitungsphase und so weiter sei durch andere Mitarbeiter durchgeführt worden, der Sportdirektor habe nur eine Aufsichtsfunktion gehabt. Diese habe nach seinem Ausscheiden er, der Insolvenzverwalter, übernommen.

Die Unterstützung der Akquisition von Partnern und Sponsoren habe der Sportdirektor nicht selbst durchgeführt, sondern lediglich vorher schon ihn, dem Insolvenzverwalter, dabei unterstützt. Dies habe auch nur 5 % der Arbeitskraft gebunden.

Die Arbeitsaufgabe der Überprüfung des Scoutingsystems des Fußball e.V. sei durch ehrenamtliche Scouter erledigt worden.

Die Durchführung von Meetings und die Teilnahme daran, die Gewährleistung der Kommunikation zwischen Mitarbeitern und Präsidium und Aufsichtsrat sowie sonstige administrative Aufgaben hätten ca. 10 % der Arbeitskraft des Sportdirektors gebunden.

Die Begleitung der Mannschaft an Spieltagen gehörte ebenfalls zu den Aufgaben des Sportdirektors.

Die Anfertigung von Spielberichten habe lediglich 5 % der Arbeitszeit in Anspruch genommen und werde nunmehr vom Cheftrainer und Co-Trainer übernommen.

Das Landesarbeitsgericht entschied, die Kündigung hat das Arbeitsverhältnis nicht beendet.

Der Insolvenzverwalter hat die soziale Rechtfertigung der Kündigung und damit ihre Rechtswirksamkeit nicht hinreichend dargelegt. Er ist auch nach den Nachbesserungen seines Sachvortrages in den Schriftsätzen von April und Juni 2021 dieser Darlegungslast nicht nachgekommen.

Die Kündigung ist rechtsunwirksam, denn sie ist nicht sozial gerechtfertigt. Der Insolvenzverwalter hat als darlegungspflichtige Partei keine Kündigungsgründe im Sinne von § 1 Absatz 2 KSchG (Kündigungsschutzgesetz) hinreichend substantiiert dargelegt. Er beruft sich auf betriebsbedingte Gründe.

In Fällen, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich sind, kann die ansonsten berechtigte Vermutung, die fragliche Entscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, nicht unbesehen greifen. Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen.

Läuft die unternehmerische Entscheidung auf den Abbau einer Hierarchieebene oder die Streichung eines einzelnen Arbeitsplatzes hinaus, verbunden mit einer Umverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben, muss der Arbeitgeber konkret erläutern, in welchem Umfang und auf Grund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Nur so kann geprüft werden, ob die Entscheidung den dargestellten Voraussetzungen genügt. Der Arbeitgeber muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose im Einzelnen darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit erledigt werden können.

Diesen Anforderungen genügt der Sachvortrag des Insolvenzverwalters nicht. Er bleibt, was große Teile der Aufgaben des Sportdirektors angeht, bereits im Vagen und verschleiert durch das weitere Vorbringen diesen Sachvortrag noch, so dass letztlich unklar bleibt, welche Aufgaben der Sportdirektor genau vormals gehabt haben soll. Daraus ergibt sich, dass unklar bleibt, wer genau diese Aufgaben jetzt fortführt. Abgesehen davon ist in der Auflage deutlich gemacht, dass auch das Aufgabenspektrum und die ursprüngliche Arbeitsbelastung derjenigen, die angeblich die vormaligen Aufgaben des Sportdirektors übernommen haben, darzulegen sind, damit die Kammer nachprüfen kann, ob diese durch die weitere Aufgabenübertragung überobligatorisch belastet wurden. Der Insolvenzverwalter behauptet nur schlagwortartig pauschal, das sei nicht der Fall, ohne dies mit Tatsachen zu unterlegen.

Welche Tätigkeiten auszuüben sind, um die im Arbeitsvertrag aufgelisteten Aufgaben zu erfüllen, legt der Insolvenzverwalter nicht dar. Sodann wird bezogen auf die meisten, nicht aber auf alle Aufgaben behauptet, bestimmte andere Arbeitnehmer hätten diese nach Weggang des Sportdirektors übernommen, um dann zu behaupten, diese hätten die Aufgaben bereits vorher größtenteils ausgeführt und der Sportdirektor hätte nur übergeordnete Tätigkeiten/Kontrolltätigkeiten ausgeübt. Diese hätte sodann der Insolvenzverwalter übernommen.

Sind damit schon die Tätigkeiten des Sportdirektors an sich nicht dargelegt, bleibt völlig im Dunklen, was genau unter den übergeordneten Tätigkeiten zu verstehen sein soll.

Im Ergebnis behauptet der Insolvenzverwalter nicht mehr, als dass er alle Tätigkeiten des Sportdirektors selbst übernommen hat. Da weder die Tätigkeiten selbst beschrieben sind, noch Einzelheiten der Übernahme, ist diese Behauptung nicht überprüfungsfähig. Deshalb muss der Sportdirektor auch nicht mehr vortragen, als dass er dies bestreite, denn der Vortrag des Insolvenzverwalters ist keiner weiter substantiierten Einlassung fähig.

Die erste im Arbeitsvertrag genannte Aufgabe “Sichtung, vertragliche Verpflichtung und sportliche Einordnung von talentierten und neuen Spielern für die 1. Mannschaft des Arbeitgebers“ ist schon nicht inhaltlich näher dargelegt. Welche Tätigkeiten muss der Sportdirektor entfalten, um diese Aufgabe zu erledigen? Das Arbeitsgericht kann sich laienhafte Vorstellungen bilden, wie dieser Arbeitsaufgabe tatsächlich umzusetzen und zu erfüllen gewesen wäre, ob diese laienhaften Vorstellungen allerdings zutreffend sein könnten, ist fraglich. Jedenfalls können sie nicht Grundlage einer Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung sein. Hierzu hätte der Insolvenzverwalter definitiv substantiierter vortragen müssen.

Sodann wird schlicht behauptet, diese Aufgabe sei von Cheftrainer und Co-Trainer übernommen worden. Das klingt zunächst klar. Allerdings bleibt hier schon offen, wie diese die Aufgaben neben ihren bisherigen Aufgaben haben durchführen können, ohne überlastet zu sein. Hierzu wäre es notwendig gewesen, die Aufgaben von Cheftrainer und Co-Trainer auch zu benennen.

Da das Landesarbeitsgericht auch nicht einschätzen kann, welche Tätigkeiten genau unter der zusätzlich übernommenen Arbeitsaufgabe zu verstehen sind, kann das LAG auch nicht nachprüfen, ob diese Umsetzung tatsächlich erfolgte und wie die anfallenden Arbeiten von dem übernehmenden Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, d. h. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit erledigt werden können.

Mit dieser Art des Sachvortrages ist das LAG nicht in die Lage versetzt zu überprüfen, ob der Stellenstreichung tatsächlich ein Konzept zu Grunde gelegen hatte, wonach die konkreten vom Sportdirektor ausgeübten Tätigkeiten auf andere und welche Mitarbeiter übertragen worden sind und ob diesen Mitarbeitern die neuen Tätigkeiten im Rahmen ihrer arbeitsvertraglichen und arbeitszeitlichen Vorgaben unter Beachtung des öffentlichen Arbeitszeitrechts überhaupt möglich war.

Insgesamt kann das LAG den Sachvortrag des Insolvenzverwalters weder konkret nachvollziehen, noch hat er einer Überprüfung fähigen Inhalt.

Anlass für die Zulassung der Revision bestand nicht, weil die Entscheidung schlicht auf der Bewertung des Sachvortrages des Insolvenzverwalters als nicht hinreichend substantiiert im Hinblick auf die gefestigte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), welcher das LAG folgt, basiert.