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Sozialplan – Ausgleich bei Betriebsänderung

Sozialplan bei betriebsbedingter Kündigung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 09.11.2021, Aktenzeichen 1 AZR 278/20

Sozialplänen kommt typischerweise eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion zu. Es sollen wirtschaftliche Nachteile ausgeglichen werden, die den Arbeitnehmern im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung entstehen.

Im August 2017 wurde die Arbeitgeberin mit ihrer Rechtsvorgängerin verschmolzen. Bereits im Juni 2016 vereinbarte die Rechtsvorgängerin mit dem Betriebsrat einen Sozialplan. Darin wurde festgelegt, dass Mitarbeiter, die zukünftig vom Wegfall ihres Arbeitsplatzes betroffen sind, hinsichtlich der Milderung der daraus folgenden wirtschaftlichen Nachteile gleichbehandelt werden.

Die Parteien waren sich darüber einig, dass den während der Laufzeit dieser Betriebsvereinbarung vorgenommenen Maßnahmen zum Personalabbau eine einheitliche unternehmerische Planung der Gesellschaft zugrunde liegt. Insofern handelt es sich insgesamt um eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz).

Dieser Sozialplan galt zugleich auch als vorsorglicher Sozialplan, für alle Mitarbeiter der Gesellschaft im Sinne des § 5 Absatz 1 BetrVG, die aus Anlass der unternehmerischen Planung und des daraus folgenden Personalabbaus ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Unabhängig davon, ob dem Ausspruch der Kündigung eine ggf. weitere Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG zugrunde liegt oder nicht und welches Ausmaß die Maßnahme hat.

Von einer Kündigung betroffene Mitarbeiter hatten die Möglichkeit, in eine Transfergesellschaft aufgenommen zu werden, soweit sie die Bedingungen für das Transferkurzarbeitergeld erfüllen.

Im Juli 2018 wurde die Mitarbeiterin von der Arbeitgeberin unterrichtet, dass der Betrieb veräußert wird und das Arbeitsverhältnis auf die Erwerberin übergeht, falls die Mitarbeiterin nicht widerspreche. Die Mitarbeiterin widersprach neben 22 weiteren von insgesamt ca. 160 Arbeitnehmern der Arbeitgeberin dem Betriebsübergang.

Im August 2018, einen Tag nach dem Betriebsübergang, kündigte die Arbeitgeberin der Mitarbeiterin betriebsbedingt zu Ende März 2019.

Die Mitarbeiterin beanspruchte vor dem Arbeitsgericht eine Abfindung nach § 2 Sozialplan. Die Kündigung habe zum Verlust ihres Arbeitsplatzes geführt. Ihr Widerspruch gegen den Betriebsübergang sei unschädlich, da der Sozialplan keinen entsprechenden Ausschlusstatbestand enthalte. Überdies stehe ihr ein Schadensersatzanspruch zu, weil sie aufgrund pflichtwidrigen Verhaltens der Arbeitgeberin keine Wechselprämie erhalten habe. Die Arbeitgeberin sei ihrer Verpflichtung zur Einrichtung einer Transfergesellschaft nicht nachgekommen. Zudem habe sie es unterlassen, ihr den Übertritt in eine solche anzubieten.

Die Arbeitgeberin argumentierte, das Arbeitsverhältnis der Mitarbeiterin unterfalle nach dem identitätswahrenden Betriebsübergang auf die Erwerberin nicht mehr dem Geltungsbereich des Sozialplans und der weiteren Betriebsvereinbarungen.

Das Arbeitsgericht gab der Klage auf Zahlung einer Abfindung statt, jedoch nicht dem Anspruch auf Schadenersatz wegen entgangener Wechselprämie. Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies die Berufung beider Parteien zurück.

Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte die Mitarbeiterin weiterhin einen Anspruch auf Schadenersatz, die Arbeitgeberin weiterhin die vollständige Klageabweisung.

Das Bundesarbeitsgericht entschied, die Mitarbeiterin unterliegt nicht dem Geltungsbereich des Sozialplans, da sie ihren Arbeitsplatz nicht aufgrund eines vom Sozialplan erfassten Personalabbaus verloren hat.

Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts könnte die Formulierung im Sozialplan dafür sprechen, dass ein Betriebsübergang, der sich auf einen bloßen Inhaberwechsel beschränkt, nicht vom Geltungsbereich des Sozialplans erfasst werden soll. Ein solcher Betriebsübergang führt, bezogen auf den betroffenen Betrieb, weder zu einem Personalabbau noch einem Arbeitsplatzverlust. Die Arbeitsverhältnisse der hiervon betroffenen Arbeitnehmer gehen lediglich auf den Erwerber über.

Aufgrund der einleitenden Formulierung in § 1 Nr. 1 Sozialplan („Mitarbeiter der Gesellschaft“) ist jedoch auch denkbar, dass das Bezugsobjekt eines solchen Personalabbaus nicht der Betrieb der Arbeitgeberin, sondern ihr Unternehmen sein sollte. Dies hätte zur Folge, dass auch ein Betriebsübergang als ein – für die diesem widersprechenden Arbeitnehmer zu einem Verlust ihres Arbeitsplatzes führender – „Personalabbau“ anzusehen wäre, da sie nicht mehr Arbeitgeberin der vom Betriebsübergang erfassten Arbeitnehmer ist und die im Betrieb bestehenden Arbeitsplätze nicht mehr bei ihr vorhanden sind.

Die Systematik des Sozialplans zeigt, dass die Betriebsparteien den Begriff des „Personalabbaus“ im Sinne des § 1 Nr. 1 Sozialplan betriebsbezogen verstanden haben. Von der Arbeitgeberin nach dem vollständigen Übergang ihres Betriebs auf einen Erwerber erklärte Kündigungen sollten nicht von seinem Geltungsbereich erfasst werden, da der Arbeitsplatz dieser Arbeitnehmer nicht aufgrund einer betriebsbezogenen Personalabbaumaßnahme entfallen ist.

Personalabbaumaßnahmen sollten nur solche sein, mit denen bezogen auf den Betrieb die dort vorhandene Anzahl von Arbeitnehmern reduziert werden soll. Eine nach dem Willen der Betriebsparteien ausgleichspflichtige Maßnahme liegt damit weder in der vollständigen Veräußerung dieses Betriebs noch in dem Ausspruch von Kündigungen, die nach einem derartigen Betriebsübergang erfolgen, weil Arbeitnehmer dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber widersprochen haben und bei der Arbeitgeberin keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr vorhanden ist.

Die Regelungen im Sozialplan sollen lediglich verdeutlichen, dass den gekündigten Arbeitnehmern ungeachtet des Umfangs des Personalabbaus eine Abfindung zusteht. Ein weitergehender Wille der Betriebsparteien, diesen Sozialplananspruch ohne Rücksicht darauf zu gewähren, ob ihr Arbeitsplatzverlust auf einem den Betrieb betreffenden Personalabbau beruht, kann den Formulierungen nicht entnommen werden.

Auch der Umstand, dass § 5 Sozialplan einen Abfindungsanspruch nicht ausschließt, wenn Arbeitnehmer dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses nach § 613a BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) widersprechen, gebietet kein abweichendes Verständnis. Einer solchen im Grundsatz zulässigen Bestimmung hätte es allenfalls dann bedurft, wenn der Geltungsbereich des Sozialplans auch Arbeitnehmer erfassen würde, die einem ausschließlich in einem Inhaberwechsel bestehenden Betriebsübergang widersprechen und wegen des hieraus resultierenden Wegfalls einer Beschäftigungsmöglichkeit gekündigt werden. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Daher lässt sich aus dem Fehlen einer derartigen Bestimmung nichts Gegenteiliges herleiten.

Sozialplänen kommt typischerweise eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion zu. Es sollen diejenigen wirtschaftlichen Nachteile ausgeglichen werden, die den Arbeitnehmern im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung entstehen. Wie § 112 Absatz 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG verdeutlicht, bedarf es keines Ausgleichs für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn dem Arbeitnehmer ein zumutbarer anderer Arbeitsplatz, der auch in der Möglichkeit der Weiterarbeit bei einem Betriebserwerber liegen kann, angeboten wird.

Anhaltspunkte für die Annahme, die Betriebsparteien hätten abweichend hiervon die Nachteile auch solcher Arbeitnehmer ausgleichen wollen, die gekündigt werden, weil sie nach einem ausschließlich in einem Inhaberwechsel bestehenden Betriebsübergang dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber widersprechen, sind nicht ersichtlich.

Den Betriebsparteien ging es ausschließlich um den Ausgleich solcher Nachteile, die aufgrund eines Arbeitsplatzwegfalls am Standort entstehen. Solche Nachteile sind bei einem Betriebsübergang, bei dem lediglich der Inhaber des Betriebs wechselt, regelmäßig nicht gegeben.

Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, aus Nr. 11 des Informationsschreibens vom 4. Juli 2018 ergebe sich, dass ein nach dem Sozialplan ausgleichspflichtiger Personalabbau auch durch das Ausscheiden von Arbeitnehmern aus dem Betrieb infolge Widerspruchs gegen den Betriebsübergang erfolgen könne, verkennt es, dass dem ohnehin erst Jahre nach Abschluss des Sozialplans gefertigten Schreiben der Arbeitgeberin für die Auslegung des von den damaligen Betriebsparteien geschlossenen Sozialplans keine Bedeutung zukommen kann.

Der Mitarbeiterin steht kein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Arbeitgeberin in Höhe der Wechselprämie zu. Es fehlt schon an einer Vertragspflichtverletzung seitens der Arbeitgeberin. Diese war weder verpflichtet, eine Transfergesellschaft zu errichten, noch der Mitarbeiterin den Übertritt in eine solche anzubieten. Auf § 4 Sozialplan kann die Mitarbeiterin ein entsprechendes Begehren nicht stützen, weil sie nicht unter den Geltungsbereich des Sozialplans fällt.