Freistellung bei Kündigung
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 20.03.2013, Aktenzeichen 18 SaGa 175/13
Grundsätzlich hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Beschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Eine einseitige Freistellung kann nur erfolgen, wenn schwerwiegende Interessen des Arbeitgebers verletzt werden.
Ein leitender Angestellter eines privaten Bankinstitutes wurde mit Erhalt seiner betriebsbedingten Kündigung mit sofortiger Wirkung von seiner Arbeit freigestellt. Die Arbeitgeberin berief sich auf eine entsprechende Regelung im Arbeitsvertrag. Für Arbeitnehmer in gehobener Stellung sei diese Regelung gerechtfertigt.
Der leitende Angestellte beantragte beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eine Einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Bedingungen bis zur Beendigung des Rechtsstreits. Das Arbeitsgericht Frankfurt wies den Antrag mit der Begründung ab, der leitende Angestellte habe keinen Verfügungsanspruch. Im Arbeitsvertrag sei die Möglichkeit der Freistellung wirksam geregelt.
Der leitende Angestellte legte Berufung ein.
Vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht machte die Arbeitgeberin geltend, der leitende Angestellte könne bei einer Weiterbeschäftigung die Kenntnis vertraulicher Daten über geplante Geschäfte und Vereinbarungen des Unternehmens erlangen und dieses Wissen an Konkurrenten weitergeben.
Das Hessische Landesarbeitsgericht entschied, die Arbeitgeberin überschreite ihr Direktionsrecht, indem sie die Freistellung bei Fortzahlung der Vergütung anordne. Die Freistellungsklausel im Arbeitsvertrag ist nach § 307 Abs.1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.
Das Hessische Landesarbeitsgericht erläutert:
Die eingeräumte Berechtigung, den Kläger ohne Vorliegen besonderer Voraussetzungen freizustellen, ist mit dem wesentlichen Grundgedanken des höchstrichterlich anerkannten Beschäftigungsanspruchs eines Arbeitnehmers nicht vereinbar. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis grundsätzlich einen Anspruch auf tatsächliche vertragsgemäße Beschäftigung.
Der Beschäftigungsanspruch besteht auch nach einer Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist.
Die Freistellung von der Arbeit ist in der Regel durch individuelle Vereinbarungen zulässig. Das Hessische Landesarbeitsgericht schränkt jedoch ein:
Eine Klausel, die ohne weitere Vorbedingungen den Arbeitgeber für die Kündigungsfrist zur Freistellung des Arbeitnehmers berechtigt, verkehrt das Verhältnis von Regel- und Ausnahmefall. Sie ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.
Durch einen generellen Vorausverzicht würde der Arbeitnehmer unzulässig eingeschränkt, seinen Beschäftigungsanspruch in einer bestimmten Situation geltend zu machen.
Die Arbeitgeberin müsse bereits im Vorfeld ihr Freistellungsinteresse umschreiben.
Einer befürchteten Weitergabe von Betriebsgeheimnissen könnte die Arbeitgeberin mit einer Vereinbarung zur Verschwiegenheitsverpflichtung begegnen, die bereits im Arbeitsvertrag verankert ist.
Die von der Arbeitgeberin geäußerte Befürchtung, der leitende Mitarbeiter könne sich nach der Kündigung nicht loyal verhalten, sei eine unzulässige allgemeine Pauschalisierung, die sich auf kein persönliches Verhalten beziehe.
Obwohl der leitende Angestellte in der zweiten oder dritten Führungsebene tätig war, sei er kein leitender Angestellter im Sinne von § 14 Abs. 2 KSchG, sondern AT-Angestellter.
Das Hessische Landesarbeitsgericht sah es als unerheblich an, ob die dem leitenden Mitarbeiter unterstellten Personen noch im Betrieb oder in der Abteilung beschäftigt sind. Es seien jedenfalls Arbeitsaufgaben vorhanden, welche dieser Abteilung zuordenbar sind. Eine Abteilung mit reduzierten Aufgaben könne auch nur aus ihrem Leiter bestehen.
Die Arbeitgeberin habe nicht dargelegt, dass ein Einsatz des leitenden Beschäftigten bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht oder nur mit erheblichen Zusatzkosten möglich sei.
Das Landesarbeitsgericht erläutert:
Die Möglichkeit der Persönlichkeitsentfaltung und des Erhalts der Achtung und Wertschätzung der Menschen des Lebenskreises des Arbeitnehmers wird durch eine Verweigerung der Beschäftigung verletzt. Der entstehende Schaden kann nicht nachträglich ausgeglichen werden und verstärkt sich mit zunehmender Dauer der Untätigkeit.
Eine beruflich erzwungene Untätigkeit von sieben Monaten sei nicht hinnehmbar.
Gegen das Urteil wurde kein Rechtsmittel zugelassen.