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Befristungsmissbrauch von Arbeitsverträgen

Missbrauch befristeter Arbeitsverträge

Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 25.02.2015, Aktenzeichen 5 Sa 1315/14

Die Beschäftigung einer Vertretungskraft über einen Zeitraum von 9,5 Jahren ausschließlich mit befristeten Verträgen indiziert eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung der Vertretungsbefristung. Vertretungen über einen derart langen Zeitraum können auch nicht mit der fehlenden formalen Qualifikation der Vertretungskraft begründet werden.

Ein Diplom-Sportlehrer ohne anerkannte Lehramtsbefähigung wurde über einen Zeitraum von 9,5 Jahren mit befristeten Arbeitsverträgen beschäftigt. Die Befristungen basierten auf Vertretungen während der Elternzeit und während der Krankheit von Lehrkräften an insgesamt vier unterschiedlichen Schulen.

Der Arbeitsvertrag der letzten Befristung wurde mit der Elternzeit einer Lehrerin begründet. Tatsächlich wurde der Diplom-Sportlehrer im Ringtausch als Klassenlehrer und Sportlehrer eingesetzt, während der vorherige Klassenlehrer die Vertretung der Kollegin in Elternzeit übernahm. Die Elternzeit bestand über den Zeitraum der letzten Befristung fort. Das Land Nordrhein-Westfalen als Arbeitgeberin verlängerte jedoch nicht den befristeten Arbeitsvertrag mit dem Diplom-Sportlehrer. Eine andere Lehrkraft mit Lehramtsbefähigung wurde befristet eingestellt.

Der Diplom-Sportlehrer wandte sich mit einer Klage beim Arbeitsgericht gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses aufgrund der Befristung.

Die Befristung sei unwirksam, da kein Sachgrund vorliege. Da er nicht die Klasse der Kollegin in Elternzeit übernommen habe, sei keine direkte Vertretung erfolgt.

Die Befristung sei jedenfalls rechtsmissbräuchlich und damit unwirksam. Die Anzahl der befristeten Verträge und die Dauer der durchgehenden Beschäftigung seien Indiz für die Rechtsmissbräuchlichkeit. Er sei überwiegend an einer einzelnen Schule eingesetzt worden. Dort sei also von einem dauerhaften Personalbedarf auszugehen. Das Land habe ihn rechtsmissbräuchlich nicht für den vollständigen Vertretungszeitraum, sondern teilweise nur wenige Wochen eingestellt, im Durchschnitt jeweils für 6 Monate. Der Vertretungsbedarf sei jedoch vorhersehbar gewesen, da die Lehrkräfte zu Beginn der Elternzeit deren Dauer angeben würden.

Die wechselnden Stundenumfänge seien sehr belastend gewesen, da ihm Planungssicherheit für seinen weiteren Einsatz genommen wurde. Dieses Vorgehen sei ebenfalls rechtsmissbräuchlich.

Es gäbe keine rechtliche Grundlage, die gegen seine Einstellung als Lehrer stehe, obwohl er nicht über eine Lehramtsbefähigung verfüge. Das beklagte Land habe andere Lehrer ohne Lehramtsbefähigung unbefristet eingestellt.

Das Land Nordrhein-Westfalen als Arbeitgeberin argumentierte, die Vertretungen resultierten aus wechselnden Vertretungsgründen, mit wechselnder Beschäftigungszeit und an unterschiedlichen Schulen. Die Vertretungsgründe seien nicht vorhersehbar gewesen. Die Beschäftigung für eine kürzere Dauer als der tatsächliche Vertretungsbedarf begründe sich auf der Annahme, dass die zu vertretenden Lehrer früher als geplant aus der Elternzeit zurückkehren könnten. Die abwesenden Lehrkräfte hätten teilweise die Elternzeit verlängert, sodass ein zusätzlicher Vertretungsbedarf entstand. Insgesamt sei der Vertretungsbedarf voll ausgeschöpft worden. Für das Land bestehe eine Besonderheit, da es berechtigt sei, Arbeitnehmer dauerhaft befristet zu beschäftigen. Es bestünde unter Berücksichtigung des Lehrerausbildungsgesetzes keine Möglichkeit den Diplom-Sportlehrer unbefristet einzustellen, da dieser nicht über eine Lehramtsbefähigung verfüge. Das Land habe ein berechtigtes Interesse nur Personen mit Lehramtsbefähigung dauerhaft einzustellen, um den Schülern eine möglichst qualifizierte Ausbildung zu gewähren. Der Diplom-Sportlehrer habe nicht einen Seiteneinstieg versucht oder ein weiteres Studium um die Lehramtsbefähigung zu erwerben.

 Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Für den zuletzt abgeschlossenen Arbeitsvertrag liege der Sachgrund der Vertretung vor. Unter Betrachtung der Gesamtumstände sei die Vertretung rechtsmissbräuchlich und unwirksam. Es bestehe ein unbefristetes Arbeitsverhältnis.

Das Arbeitsgericht argumentierte, dem Diplom-Sportlehrer seien durch den Arbeitsvertrag die Vertretungsaufgaben der zu vertretenden Lehrkraft gedanklich zugeordnet worden. Der Ringtausch sei nur erfolgt, weil der Diplom-Sportlehrer nicht vollständig die Aufgaben der vertretenen Lehrkraft übernehmen konnte.

Die Vertretung sei jedoch rechtsmissbräuchlich und damit unwirksam. Die Dauer der Beschäftigung und die Anzahl der Befristungen indizierten bereits einen Rechtsmissbrauch. Die Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses im Sommer 2005 sei unerheblich, da der überwiegende Teil der Unterbrechung auf die Ferienzeit entfalle und ein Einsatz ohnehin nicht erfolgt wäre. Die Grenzen des § 14 Abs. 2 TzBfG (Teilzeit- und Befristungsgesetz) seinen zeitlich und in der Anzahl mehrfach überschritten worden.

Der Einsatz in verschiedenen Schulen könne zwar gegen einen dauerhaften Vertretungsbedarf sprechen, nicht aber gegen eine rechtsmissbräuchliche Befristung. Eine Vielzahl von überwiegend kurzfristigen Befristungen über mehrere Jahre führe zu einer unzumutbaren Erschwerung der Lebensplanung in persönlicher, familiärer und finanzieller Hinsicht. Der schwankende Beschäftigungsumfang nehme jegliche Planungssicherheit.

Die schlichte Anknüpfung an das Schulhalbjahr sage nichts über die tatsächliche Dauer des Vertretungsbedarfs und sei keine rechtfertigende Besonderheit des Schulbetriebes. Das Instrument der Befristung wurde unrechtmäßig missbraucht, indem eine nach Ansicht der Arbeitgeberin nicht ausreichend qualifizierte Person befristet eingestellt wurde, um unbefristete Stellen für besser Qualifizierte freizuhalten. Damit sei die mangelnde Qualifikation und nicht der eventuell nur vorübergehende Personalbedarf Auslöser für die Befristung. Das TzBfG decke nicht eine mangelnde Qualifikation als Befristungsgrund.

Das Land sei zwar nach Artikel 33 Abs. GG (Grundgesetz) bei der Vergabe öffentlicher Ämter gehalten, Bewerber nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung auszuwählen, sodass vorrangig Personen mit Lehramtsbefähigung zu berücksichtigen seien. Dennoch sei es ausdrücklich möglich, Bewerber ohne Lehramtsbefähigung unbefristet einzustellen, wenn eine pädagogische Einführung in den Schuldienst durchgeführt wird.

Es sei nicht verständlich, warum eine Person ohne Lehramtsbefähigung zwar für eine Vertretung tatsächlich als Lehrer tätig werden könnte, jedoch nicht für eine unbefristete Tätigkeit. Die Berufung auf die fehlende fachliche Qualifizierung stehe im Gegensatz zum tatsächlichen Verhalten des Landes, den Diplom-Sportlehrer über 9,5 Jahre beschäftigt zu haben. Die Arbeitgeberin habe auch nicht darauf hingewiesen, dass eine unbefristete Beschäftigung erst nach dem Erwerb einer zusätzlichen Qualifikation möglich wäre. Es seien keine Möglichkeiten zur Weiterbildung angeboten worden.

Wesentlich für den Rechtsmissbrauch sei, dass das Land die Befristung aus sachfremden Motiven, wegen der mangelnden fachlichen Qualifikation des Diplom-Sportlehrers begründete.

Das beklagte Land legte beim Landesarbeitsgericht (LAG) gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Berufung ein. Eine qualifizierte Lehrkraft wäre ebenfalls nur befristet eingestellt worden. Der Diplom-Sportlehrer habe sich auf ausgeschriebene Daueranstellungen nicht beworben. Ebenfalls nicht auf Stellen, die über einen Seiteneinstieg zu einem dauerhaften Beschäftigungsverhältnis führten.

Die Einhaltung haushaltsrechtlicher Vorgaben könne nicht als Indiz für rechtsmissbräuchliches Handeln herangezogen werden. Finanzielle Mittel könnten nicht verplant werden, bevor diese vom Haushaltsgesetzgeber freigegeben würden. Die Fixierung auf das Ende des Schuljahres hänge stets damit zusammen, dass sich in jedem Schuljahr konkrete Vertretungsbedarfe neu stellten.

Das LAG (Landesarbeitsgericht) bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts.
Nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs sei die Gesamtdauer und Zahl der befristeten Arbeitsverträge zu prüfen. Eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung hänge nicht ausschließlich vom Sachgrund der Befristungen ab.

 Zu berücksichtigen sei außerdem die Laufzeit der einzelnen befristeten Verträge sowie die Frage, ob und in welchem Maße die vereinbarte Befristungsdauer zeitlich hinter dem zu erwartenden Vertretungsbedarf zurückbleibe. Werde trotz eines tatsächlich zu erwartenden langen Vertretungsbedarfs in rascher Folge mit demselben Arbeitnehmer eine Vielzahl kurzfristiger Arbeitsverhältnisse vereinbart, liege die Gefahr des Gestaltungsmissbrauchs näher, als wenn die vereinbarte Befristungsdauer zeitlich nicht hinter dem prognostizierten Vertretungsbedarf zurückbleibe.

Befristete Verträge seien bis zu einer Zeitdauer von 2 Jahren und maximal dreimaliger Verlängerung unproblematisch. Erst erhebliches Überschreiten dieser Werte ließe auf einen Missbrauch schließen. Die Arbeitgeberin habe jedoch regelmäßig die Möglichkeit die Annahme des indizierten Gestaltungsmissbrauchs durch eigenen Vortrag besonderer Umstände zu entkräften.

Das Arbeitsgericht habe zu recht den Zeitraum von 9,5 Jahren und die Anzahl von 22 Befristungen als erhebliche Überschreitung bewertet. Die fehlende formale Qualifikation sei für die Bewertung der Rechtsmissbräuchlichkeit als neutral einzustufen. Daraus folge aber auch, dass es unerheblich sei, ob der Diplom-Sportlehrer unterlassen habe, sich auf unbefristete Stellen als Quereinsteiger zu bewerben. Es gäbe jedenfalls keinen objektiven Eignungsmangel, der einer dauerhaften Beschäftigung des Diplom-Sportlehrers entgegenstehe. Das befristete Arbeitsverhältnis stelle die Ausnahme des unbefristeten Arbeitsverhältnisses dar.

Das beklagte Land legte dar, dass es nicht verpflichtet sei, eine Personalreserve vorzuhalten. Praktisch sei genau das geschehen, durch die Gestaltung der Vertretungsverhältnisse. Für den betroffenen Arbeitnehmer ergebe sich, als dauerhafte Personalreserve mit befristeten Arbeitsverträgen zu dienen.

Die Befristungen hätten zudem oftmals nicht im Einklang mit dem Befristungsgrund gestanden. Zeiträume der tatsächlichen Vertretung stimmten nicht mit den beantragten Zeiträumen für die Elternzeit überein.

Erfolge die Vertretung durch die fortlaufende Beschäftigung eines Arbeitnehmers, sei dies als Vorhaltung einer Personalreserve anzusehen. Aus der Handhabung ergebe sich, dass das beklagte Land in dem Vertragszeitraum mehrere Vertretungsgründe und -fälle in der Person des Klägers gebündelt, ihn also als Vertretung für sämtlichen auftretenden Ausfall eingesetzt und somit als Vertretungsreserve “vorgehalten” habe.

Die Begründung, die Befristungen beruhten auf zwingenden haushaltsrechtlichen Gründen sei weder nachvollziehbar noch als zwingend anzusehen. Die Befristungskontrolle wäre aber selbst dann gegeben, wenn die Voraussetzungen für eine Haushaltsbefristung vorhanden wären.

Mit der Dauer der Befristungen verliere das Argument der weniger qualifizierten und vielseitigen Einsetzbarkeit an Gewicht. Allein die Dauer der fortlaufenden Tätigkeit spreche dagegen.

Die Revision zu diesem Urteil wurde zugelassen.