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Mitbestimmung bei Arbeitszeit

Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Arbeitszeit im Orchester

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30.06.2015, Aktenzeichen 1 ABR 71/13

Gespräche mit mindestens zwei Teilnehmern über die Sitzordnung im Orchester außerhalb der im Dienstplan festgelegten Zeiten dürfen nicht ohne Zustimmung des Betriebsrats oder deren Ersetzung durch die Einigungsstelle angeordnet werden.

In einem Orchester war die Gruppe der ersten Violinen uneinig über die Verteilung der zwölf Musiker hinter dem ersten und zweiten Pult während der Orchesteraufführungen. Am Mediationsverfahren zur Streitbeilegung beteiligten sich nicht alle betroffenen Musiker. Die teilnehmenden Musiker baten die Arbeitgeberin, eine verpflichtende Teilnahme für das Abschlussgespräch auszusprechen. Die Arbeitgeberin nahm eine verpflichtende Besprechung für die betroffenen Musiker in den Dienstplan auf. Nachdem der Betriebsrat dem Dienstplan nicht zustimmte, war die Besprechung im geänderten Dienstplan nicht mehr enthalten.

Einige Tage später verpflichtete die Arbeitgeberin die Musiker der ersten Violinen schriftlich zur Teilnahme am Abschlussgespräch der Mediation. Der Betriebsrat war jedoch der Meinung bei diesem Gruppengespräch handele es sich um Arbeitszeit, bei deren Festlegung er zu beteiligen sei.

Vor dem Arbeitsgericht beantragte der Betriebsrat, der Arbeitgeberin zu untersagen, dass Arbeitnehmer außerhalb der im Dienstplan vorgesehenen Dienste ohne Zustimmung des Betriebsrats oder der Einigungsstelle an einem Gruppengespräch teilnehmen müssen und bei Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 10 000 Euro anzudrohen.

Die Arbeitgeberin argumentierte, es fehle am kollektiven Tatbestand für die Mitbestimmung. Ein etwaiges Beteiligungsrecht sei zudem nach § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) ausgeschlossen. Dort werden sogenannte Tendenzbetriebe, die unmittelbar und überwiegend künstlerische, wissenschaftliche, erzieherische, karitative, konfessionelle oder politische Ziele verfolgen, von der Anwendung des BetrVG ausgeschlossen, soweit die Eigenart des Betriebes dem entgegenstehe.

Das Arbeitsgericht entsprach dem Antrag des Betriebsrats. Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies auf Beschwerde der Arbeitgeberin den Antrag ab. Der Betriebsrat begehrte mit seiner Rechtsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Das BAG bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Gespräche über die Sitzordnung im Orchester dürften zukünftig, basierend auf  § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, nicht ohne Zustimmung des Betriebsrats oder deren Ersetzung durch die Einigungsstelle angeordnet werden. Der Betriebsrat könne nicht nur die Beseitigung eines Missstandes verlangen, sondern sich gegen zu erwartende weitere Verstöße gegen ein Mitbestimmungsrecht im Wege eines Unterlassungsanspruches wehren.

Die Arbeitgeberin habe mit ihrem Anordnungsschreiben zur Teilnahme am Abschlussgespräch des Mediationsverfahrens das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt. Die Maßnahme der Arbeitgeberin sei auf die Festlegung von Beginn und Ende der Arbeitszeit gerichtet gewesen, nicht der vorübergehenden Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit.

Obwohl zwischen den Vertragsparteien kein regelmäßiges Arbeitsvolumen festgelegt worden sei, habe die Arbeitgeberin mit ihrer schriftlichen Anordnung gegen die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats über die Arbeitszeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG verstoßen.

Der Betriebsrat habe bei Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage mitzubestimmen. Damit nehme der Betriebsrat die Interessen der Arbeitnehmer an der Lage ihrer Arbeitszeit und ihrer freien für das Privatleben nutzbaren Zeit wahr.

Als Arbeitszeit gelte der von der Arbeitgeberin bestimmte zeitliche Umfang, in dem die vertraglich geschuldete Leistung tatsächlich zu erbringen ist. Arbeitszeit umfasse sämtliche Tätigkeiten, die ein fremdes Bedürfnis erfüllen und nicht zugleich ein Bedürfnis des Arbeitnehmers zufriedenstellen.

Die Anweisung der Arbeitgeberin betraf die Sitzordnung der Musiker und damit die Art und Weise der Ausübung der Arbeitsleistung von Orchestermusikern. Das mehrheitliche Einverständnis der Musiker hebe die Zuordnung von Anordnungen im Zusammenhang mit der Art und Weise der zu erbringenden Arbeitsleistung zu den fremdnützigen Tätigkeiten nicht auf.

Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin fehlte es nicht am kollektiven Tatbestand, da die Anordnung an die Musiker der ersten Violinen und damit an eine nach abstrakten Kriterien definierte Gruppe von Arbeitnehmern gerichtet war.

 Das Mitbestimmungsrecht sei auch nicht nach § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG ausgeschlossen. Dort werde geregelt, das BetrVG finde keine Anwendung auf solche Unternehmen und Betriebe, welche unmittelbar und überwiegend künstlerischen Bestimmungen dienen, soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem entgegensteht. Das sei der Fall, wenn es sich um tendenzbezogene Maßnahmen handele und wenn die Ausübung des Beteiligungsrechts die Tendenzverwirklichung ernstlich beeinträchtigen kann. Die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG betrifft in der Regel Angelegenheiten, die vornehmlich dem wert- und tendenzneutralen betrieblichen Arbeitsablauf zuzuordnen sind.

Die im Schreiben vom 5. Juli 2011 liegende Anordnung des Arbeitgebers habe keinen unmittelbaren Bezug zu dem vom Arbeitgeber verfolgten Tendenzzweck. Ebenso wenig wie die künstlerische Bestimmung des Orchesterbetriebs durch das mitbestimmte Aufstellen konkreter Dienstpläne – bei denen der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats wahrt – infrage gestellt ist, werde sie durch die Beteiligung des Betriebsrats bei der Festlegung der Zeiten für ein Gespräch über die Sitzordnung von Orchestermusikern beeinträchtigt.

Der Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes bei Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung sei ebenfalls begründet und könne auf Antrag durchgesetzt werden.