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Diese Änderungskündigung ist sozial ungerechtfertigt

Verhältnismäßigkeit einer Änderungskündigung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.09.2016, Aktenzeichen 2 AZR 509/15

Eine Änderungskündigung ist unverhältnismäßig und damit sozial ungerechtfertigt, wenn die Änderung des Beschäftigungsortes durch Ausübung des Direktionsrechts der Arbeitgeberin angeordnet werden kann.

Die Arbeitgeberin beabsichtigte eine Reduzierung ihrer sechs Betriebsstätten auf zwei. Im Rahmen der Reduzierung machte die Arbeitgeberin gegenüber einer Arbeitnehmerin von ihrem Direktionsrecht Gebrauch und versetzte sie in eine der verbleibenden Betriebsstätten. Am gleichen Tag erklärte die Arbeitgeberin höchst vorsorglich die Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Gleichzeitig bot sie an, nach Ablauf der Kündigungsfrist das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Dagegen hielt sie die Änderung des Tätigkeitsortes in Ausübung ihres Direktionsrechts nicht aufrecht.

Die Arbeitnehmerin nahm das Änderungsangebot nicht an und wandte sich mit einer Klage vor dem Arbeitsgericht gegen die Änderungskündigung. Die Änderungskündigung sei nicht verhältnismäßig, da die Möglichkeit ihrer Versetzung basierend auf dem arbeitsvertraglichen Direktionsrecht bestand. Die Arbeitnehmerin beantragte beim Arbeitsgericht feststellen zu lassen, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat.

Die Arbeitgeberin beantragte hingegen, die Klage abzuweisen. Der Arbeitsort sei vertraglich auf den bisherigen Standort festgelegt. Dies sei die übereinstimmende Auffassung der Vertragsparteien zum Kündigungszeitpunkt gewesen.

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Das Landesarbeitsgericht (LAG) bestätigte das Urteil des Arbeitsgerichtes. Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte die Arbeitgeberin weiterhin die Klageabweisung.

Das BAG entschied, das LAG habe zurecht die Berufung zurückgewiesen. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Änderung des Beschäftigungsstandortes war unverhältnismäßig und deshalb sozial ungerechtfertigt.

Eine Änderungskündigung sei dann unverhältnismäßig, wenn die Änderung der Beschäftigungsbedingungen durch Ausübung des Weisungsrechts der Arbeitgeberin nach § 106 GewO möglich ist. Wurde die Änderungskündigung wie im vorliegenden Fall nicht unter Vorbehalt angenommen, sei auf Antrag der Arbeitnehmerin nach § 4 Absatz 1 KschG (Kündigungsschutzgesetz) festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst wurde.

Die Arbeitgeberin dürfe den Ort der Beschäftigung gemäß § 106 GewO nach billigem Ermessen selbst festlegen, soweit keine Festlegung im Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung, einem Tarifvertrag oder einer gesetzlichen Regelung festgelegt wurde. Die einzelvertragliche Regelung sei durch Auslegung und Berücksichtigung aller Umstände zu ermitteln. Es sei festzustellen, ob ein bestimmter Tätigkeitsort festgelegt wurde und wie ein eventuell vereinbarter Versetzungsvorbehalt lautet.

Es sei unerheblich, ob im Arbeitsvertrag kein bestimmter Tätigkeitsort festgelegt wurde und die Festlegung der Arbeitgeberin nach § 106 Satz 1 GewO vorbehalten bleibe oder der Ort der Arbeitsleistung mit der Möglichkeit der Zuweisung eines anderen Ortes bestimmt wurde.

Sind Ort und Inhalt im Arbeitsvertrag nicht festgelegt, ergebe sich der Umfang des Weisungsrechts aus § 106 Satz 1 GewO. Es komme nicht darauf an, ob es zulässig sei, darüber hinaus einen Versetzungsvorbehalt zu formulieren. Weise die Arbeitgeberin einen anderen Arbeitsort zu, unterliege diese Handlung der Ausübungskontrolle gemäß § 106 Satz 1 GewO sowie § 315 Abs. 3 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch).

In den vertraglichen Regelungen seien keine Festlegungen enthalten, die das Direktionsrecht der Arbeitgeberin zur Bestimmung des Arbeitsortes einschränken. Auf die Reichweite und Wirksamkeit der im Arbeitsvertrag enthaltenen Versetzungsklausel komme es deshalb nicht an.

Die Bestimmungen des vorliegenden Formulararbeitsvertrages seien Allgemeine Geschäftsbedingungen nach § 305 Absatz 1 Satz 1 BGB. Diese seien nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind.

Im Arbeitsvertrag ist unter dem Begriff derzeitiger Dienstsitz kein Ort aufgeführt, sondern der Hinweis „s.o.“( siehe oben). Aus der Sicht eines objektiven Vertragspartners könne der Dienstsitz nur die zu Beginn des Vertrages aufgeführte Adresse sein. Mit der Formulierung „derzeitiger“ habe sich die Arbeitgeberin jedoch ausdrücklich die Möglichkeit vorbehalten, einen anderen Dienstsitz festzulegen. Die Festlegung, als Tätigkeitsort gelten die jeweiligen Geschäftsräume der Arbeitgeberin, ließe ebenfalls den Schluss zu, dass sich deren Ort verändern könne. Der Vorbehalt einer unternehmensweiten Übertragung einer anderen Tätigkeit spreche zusätzlich gegen die Fixierung der Tätigkeit auf die gegenwärtige Betriebsstätte.

Aus dem Sachvortrag der Parteien ergebe sich nicht, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung beide Parteien übereinstimmend von einer Festlegung des Arbeitsortes ausgegangen wären. Gegen eine Übereinstimmung spreche das Verhalten der Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin habe sich zunächst für die beabsichtigte Änderung des Arbeitsortes auf ihr Weisungsrecht gestützt und die Änderungskündigung nur „höchst vorsorglich“ ausgesprochen.

Das objektive Verständnis der Vertragsbestimmungen zeige anhand der Formulierungen im Arbeitsvertrag, dass eine Veränderung des gegenwärtigen Arbeitsortes möglich sein soll. Die Kündigung hat somit das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst, da sie unverhältnismäßig und damit sozial ungerechtfertigt ist.