Freistellung des Betriebsrats von Schulungskosten
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 11.03.2019, Aktenzeichen 16 TaBV 201/18
Die Arbeitgeberin hat die Kosten zu tragen, die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehen, einschließlich der für die Ausübung seines Amtes notwendigen Schulungskosten.
Im März 2017 wurde mit dem Beschluss des Betriebsrats ein Wirtschaftsausschuss gebildet. Im Mai 2017 entsandte der Betriebsrat Mitglieder zur Teilnahme an einer Wirtschaftsschulung. Die Arbeitgeberin lehnte dies ab und verwies auf Schulungsveranstaltungen im Juli und August.
Im Wege der einstweiligen Verfügung verpflichtete das Hessische Landesarbeitsgericht die Arbeitgeberin, die Betriebsratsmitglieder für die beantragte Schulung freizustellen. Der Veranstalter stellte der Arbeitgeberin die Seminarteilnahme, Übernachtungs- und Tagespauschalen in Rechnung. Einer der Teilnehmer beantragte bei der Arbeitgeberin zusätzlich die für alle drei Teilnehmer verauslagten Kosten der An- und Abreise.
Alle diese Kosten machten die Seminarteilnehmer beim Arbeitsgericht im Rahmen eines Beschlussverfahrens geltend. Das Arbeitsgericht gab dem Antrag bezüglich der Fahrtkosten statt und wies die Anträge im Übrigen zurück. Die Teilnehmer legten gegen diesen Beschluss Beschwerde beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein.
Das Arbeitsgericht habe den Freistellungsanspruch hinsichtlich der Schulungs-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten zu Unrecht abgewiesen, weil sie vom Veranstalter insoweit nicht in Anspruch genommen wurden. Inzwischen habe der Schulungsveranstalter den nicht mehr im Amt befindlichen Betriebsrat in Anspruch genommen. Das Arbeitsgericht hätte einen entsprechenden rechtlichen Hinweis geben müssen.
Die Arbeitgeberin beantragte die Klageabweisung. Die im Beschwerdeverfahren neu vorgelegte Rechnung an den Betriebsrat sei lediglich zum Schein ausgestellt worden, sei nicht ernst gemeint und habe keine rechtliche Wirkung. Mit seiner Bitte, die Rechnung direkt an ihn auszustellen, wolle der Betriebsrat lediglich die Arbeitgeberin schädigen. Die Rechnung sei an einen nicht existierenden Empfänger gesandt worden und laufe deshalb ins Leere.
Seit Ende Mai 2018 bestehe der Betriebsrat nicht mehr. Nach dem Ende seiner Amtszeit könne der Betriebsrat weiterhin bestehende Ansprüche geltend machen, falls der Anspruch bereits zum Zeitpunkt der Auflösung des Betriebsrats bestanden habe. Während seiner Amtszeit sei der Betriebsrat jedoch nicht auf Zahlung in Anspruch genommen worden. Die Kosten seien zudem unverhältnismäßig. Der Betriebsrat habe unter teilweise sogar identischen Seminaren, das Seminar mit den höchsten Kosten ausgesucht.
Das LAG entschied, die Anträge des Betriebsrats seien teilweise begründet.
Die Freistellungsanträge für einzelne Betriebsratsmitglieder seien unbegründet. Ein Freistellungsanspruch nach § 40 Absatz 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) stehe grundsätzlich dem Betriebsrat zu. Da der Schulungsveranstalter die Rechnungen gegenüber dem Betriebsrat gestellt hat, nicht gegenüber Einzelmitgliedern, stehe nur dem Betriebsrat als Gremium der Anspruch auf Freistellung von den Kosten zu.
Die Arbeitgeberin sei verpflichtet, den Betriebsrat von den Kosten der Schulung freizustellen, die der Veranstalter in Rechnung gestellt hat.
Nach § 40 Absatz 1 BetrVG trägt die Arbeitgeberin die Kosten, die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehen. Dazu gehörten die für die Ausübung seines Amtes notwendigen Schulungskosten. Diese Kostentragungspflicht schaffe zwischen Arbeitgeberin und Betriebsrat ein vermögensrechtliches Schuldverhältnis, mit dem Betriebsrat als Gläubiger.
Mit dem Ende der Amtszeit des Betriebsrats enden dessen betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte ersatzlos. Das gelte jedoch nicht in gleichem Umfang für Kostenerstattungsansprüche, die zur Beendigung der Amtszeit des Betriebsrats noch nicht erfüllt waren.
Die Tätigkeit im Betriebsrat sei ein unentgeltliches Ehrenamt. Daher sei der Arbeitgeberin nur die durch die Errichtung und die gesetzlich erforderliche Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten aufzuerlegen. Dazu gehörten die Kosten der Betriebsratswahl, die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten sowie die Kosten der Einigungsstelle. Dem Betriebsrat sind Räume, sachliche Mittel und Büropersonal zur Verfügung zu stellen und Betriebsratsmitglieder zur erforderlichen Durchführung ihrer Betriebsratsaufgaben und zum Besuch von Schulungen ohne Minderung ihres Arbeitsentgelts freizustellen.
Beiträge der Arbeitnehmer für die Arbeit des Betriebsrats habe der Gesetzgeber ausdrücklich für unzulässig erklärt.
Dieses gesetzliche Regelungskonzept würde durchbrochen, wenn entstandene und vom Arbeitgeber noch nicht erfüllte Kostenfreistellungsansprüche mit dem endgültigen oder gar bereits dem vorübergehenden Wegfall des Betriebsrats ersatzlos untergingen. Daraus folge in analoger Anwendung von § 22 BetrVG, § 49 Absatz 2 BGB, dass der Betriebsrat hinsichtlich seiner noch nicht erfüllten Freistellungsansprüche als fortbestehend gilt. Zur Abwicklungsbefugnis gehöre die Verfolgung der von der Arbeitgeberin noch nicht erfüllten Freistellungsansprüche.
Dem Freistellunganspruch stehe nicht entgegen, dass die Rechnungen erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens, zu einem Zeitpunkt, als der Betriebsrat nicht mehr bestand, gestellt wurden. Es komme jedoch nicht auf den Zeitpunkt der Rechnungsstellung an, sondern ob der zur Begründung der Forderung führende Lebenssachverhalt in die Zeit bis zur Beendigung der Liquidation fällt.
Die Kosten aus der Teilnahme an der vom 29. Mai 2017 bis 1. Juni 2017 stattgefundenen Betriebsratsschulung, die deutlich vor dem Ende der Amtszeit des Betriebsrats am 31. Mai 2018 lag, könne auch danach noch im Rahmen der Liquidation geltend gemacht werden, selbst wenn die Rechnungsstellung gegenüber dem Betriebsrat erst im November 2018 erfolgte. Für die Abwicklung im Sinne des § 49 Absatz 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) komme es jedoch nicht auf den Zeitpunkt der Rechnungsstellung an, sondern darauf ob der zur Begründung der Forderung führende Lebenssachverhalt in die Zeit bis zur Beendigung der Liquidation fällt.
Nach § 40 Absatz 1 BetrVG hat die Arbeitgeberin die Kosten zu tragen, die anlässlich der Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einer Schulungsveranstaltung nach § 37 Absatz 6 BetrVG entstanden sind, sofern das bei der Schulung vermittelte Wissen für die Betriebsratsarbeit erforderlich ist. Zu den von der Arbeitgeberin zu tragenden Kosten gehörten neben den eigentlichen Seminargebühren die notwendigen Reise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten des Betriebsratsmitglieds.
Nach § 37 Absatz 6 Satz 1 BetrVG ist die Vermittlung von Kenntnissen erforderlich, wenn sie unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse in Betrieb und Betriebsrat notwendig ist, damit der Betriebsrat seine gegenwärtigen oder in naher Zukunft anstehenden Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen kann.
Bei der Prüfung der Erforderlichkeit habe der Betriebsrat die betriebliche Situation und die mit dem Besuch der Schulungsveranstaltung verbundenen finanziellen Belastungen der Arbeitgeberin zu berücksichtigen. Er habe darauf zu achten, dass der Schulungszweck in einem angemessenen Verhältnis zu den hierfür aufzuwendenden Mitteln stehe. Die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung sei nicht erforderlich, wenn sich der Betriebsrat vergleichbare Kenntnisse zumutbar und kostengünstiger auf andere Weise verschaffen könne.
Der Betriebsrat müsse jedoch keine umfassende Marktanalyse betreiben. Er müsse nicht die kostengünstigste Schulungsveranstaltung wählen, wenn er eine andere Schulung für qualitativ besser hält. Nur wenn mehrere gleichzeitig angebotene Veranstaltungen auch nach Ansicht des Betriebsrats im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums als qualitativ gleichwertig anzusehen seien, könne eine Beschränkung der Kostentragungspflicht der Arbeitgeberin auf die Kosten der preiswerteren Schulung in Betracht kommen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seien jedoch nur gleichzeitig angebotene Schulungsveranstaltungen miteinander vergleichbar. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, wäre im Hinblick auf den aktuell bestehenden Schulungsbedarf (der Wirtschaftsausschuss war neu gegründet worden) ein weiteres Warten des Betriebsrats mit der Schulung der Mitglieder des Wirtschaftsausschusses über einen Zeitraum von 5 Wochen unzumutbar.
Der Wirtschaftsausschuss war neu gebildet, woraus ein entsprechender Schulungsbedarf für dessen Mitglieder resultierte. Die vom Seminarveranstalter ausgewiesenen Kosten liegen nach Einschätzung des LAG im üblichen Rahmen. Das gelte auch für die Kosten von Unterkunft und Verpflegung.
Mit der Erstellung der Rechnung habe der Schulungsveranstalter dem Betriebsrat auch keine Gefälligkeit erwiesen, sondern die von ihm gegenüber dem Betriebsrat erbrachten Leistungen geltend gemacht. Er habe damit seine ursprünglich fehlerhafte Rechnungsstellung gegenüber der Arbeitgeberin korrigiert und seinen Vertragspartner in Anspruch genommen.
Eine Rechtsbeschwerde zu diesem Urteil wurde nicht zugelassen.