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Mitbestimmung Betriebsrat bei Arbeitssicherheit

Zuständigkeit der Einigungsstelle im Bereich der Arbeitssicherheit

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 16.12.2019, Aktenzeichen 1 TaBV 27/19

Für die Einsatzzeiten und Aufgaben des Betriebsarztes und der Fachkraft für Arbeitssicherheit ist der örtliche Betriebsrat zuständig, nicht der Gesamtbetriebsrat.

Betriebsrat und Arbeitgeberin streiten über den Einsatz einer Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand „Aufgaben und Einsatzzeiten der Fachkraft für Arbeitssicherheit und des Betriebsarztes nach DGUV-V2 (DGUV – Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, V2 – regelt die Fachkunde und Aufgaben der betriebsärztlichen und sicherheitstechnischen Betreuung)“.

Die Arbeitgeberin betreibt ein Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs. Der Betriebsrat wurde in einem ihrer Betriebshöfe gebildet. Es besteht ein gemeinsamer Fahrzeugpool mit einem weiteren Betriebshof. An den Wende- und Parkplätzen befinden sich Sanitäranlagen, die von Arbeitnehmern verschiedener Betriebshöfe genutzt werden.

Seit dem Jahr 2018 arbeitet die Arbeitgeberin mit dem überbetrieblichen Dienst einer externen GmbH zusammen. Deren Betriebsärztin ist für sämtliche Betriebe der Arbeitgeberin zuständig. Der Gesamtbetriebsrat der Arbeitgeberin hat dem Einsatz des überbetrieblichen Dienstes ausdrücklich zugestimmt. Aufgaben und Einsatzzeiten der Betriebsärztin sind dem Gesamtbetriebsrat bekannt.

Im Juni 2019 beschloss der Betriebsrat, die Arbeitgeberin zu Verhandlungen über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zu den „Aufgaben und Einsatzzeiten der Fachkraft für Arbeitssicherheit und des Betriebsarztes“ aufzufordern. Die Arbeitgeberin lehnte eine Regelung mit dem Betriebsrat mit der Begründung ab, der Gesamtbetriebsrat sei für dieses Thema zuständig. Daraufhin leitete der Betriebsrat das vorliegende Verfahren zur Einsetzung einer Einigungsstelle ein.

Mit Beschluss vom Oktober 2019 hat das Arbeitsgericht eine Einigungsstelle bestellt. Die Einigungsstelle sei für den vorgesehenen Regelungsgegenstand nicht offensichtlich unzuständig. Die DGUV-V2 beziehe sich auf einzelne Betriebe nicht auf Gesamtbetriebe. Die bloße Zweckmäßigkeit einer überbetrieblichen Regelung reiche nicht aus, um die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats begründen zu können.

Gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts legte die Arbeitgeberin Beschwerde beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Für den vorliegenden Regelungsgegenstand sei zwingend der Gesamtbetriebsrat zuständig. Betriebsmittel wie Busse und Toiletten würden betriebsübergreifend genutzt. Ebenso würden zahlreiche Arbeitnehmer, insbesondere die Busfahrer, betriebsübergreifend eingesetzt. Der Arbeitsplatz der Busfahrer liege außerhalb des jeweiligen Einzelbetriebes. Die Werkstätten arbeiteten nach betriebsübergreifenden unternehmenseinheitlichen Vorschriften und die Sanitäranlagen seien der betriebsübergreifenden Abteilung Infrastruktur zugeordnet. Es sei nicht hinnehmbar, dass für den betroffenen Standort inhaltlich abweichende Aufgabenbereiche definiert würden.

Der Betriebsbegriff sei in diesem Fall nicht aus der Sicht des Betriebsverfassungsrecht zu sehen, sondern im Sinne von DGUV-V2.  Für die Arbeitgeberin sei nicht denkbar und mit immensen Folgen und Gefahren verbunden, wenn unterschiedliche Maßstäbe hinsichtlich der Prüf- und Überwachungsaufgaben durch die Fachkraft für Arbeitssicherheit und die Betriebsärzte in den jeweiligen Betrieben gelten würden und diese unterschiedliche Maßnahmen träfen, die dann jeweils unterschiedlich in den Betrieben umgesetzt werden müssten. Im Bereich der zwingenden Mitbestimmung gelte der Grundsatz der Zuständigkeitstrennung. Es sei entweder der Betriebsrat oder der Gesamtbetriebsrat zuständig.

Der Betriebsrat argumentierte, auf dem Betriebshof würden für eine Vielzahl von Arbeitnehmern Arbeitsplätze vorgehalten. Die Regelungen der DGUV-V2 seien betriebsbezogen ausgestaltet. Hinsichtlich der Einsatzzeiten sei auch nicht erkennbar, inwieweit hier divergierende Regelungen im Unternehmen zu einem unterschiedlichen Schutzniveau führen könnten. Welche Arbeitsplätze in den betrieblichen Regelungsbereich fielen, habe die Einigungsstelle festzulegen, die ihre Zuständigkeit selbst zu prüfen habe.

Das LAG entschied, die Beschwerde der Arbeitgeberin sei unbegründet und habe deshalb keinen Erfolg. Gemäß § 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG (Arbeitsgerichtsgesetz) könne ein Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle nur dann zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle für den beantragten Regelungsgegenstand offensichtlich unzuständig ist. Das sei hier nicht der Fall.

Die Zurückweisung eines Antrags auf Einsetzung einer Einigungsstelle komme nur dann in Betracht, wenn das vom Betriebsrat in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht offenkundig nicht gegeben sei, also wenn ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt in Frage komme.

Für den Regelungsgegenstand „Aufgaben und Einsatzzeiten der Fachkraft für Arbeitssicherheit und des Betriebsarztes nach DGUV-V2“ sei der antragstellende Betriebsrat nicht offensichtlich unzuständig. Zwischen den Parteien sei nicht streitig, dass die Festlegung der Aufgaben und der Einsatzzeiten der Fachkraft für Arbeitssicherheit und des Betriebsarztes der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) unterliege. Die Anlage 2 der DGUV-V2 gebe nur hinsichtlich der Grundbetreuung feste Zeiten vor, nicht aber für den betriebsspezifischen Teil der Betreuung.

Welche Aufgaben durch die genannten Personen erbracht werden sollen, unterliege ebenfalls der Konkretisierung durch die Betriebsparteien und damit der Mitbestimmung durch den Betriebsrat. Es sei jedenfalls nicht offensichtlich, dass in den zu regelnden Angelegenheiten das Mitbestimmungsrecht dem Gesamtbetriebsrat zugewiesen sei.

Die Ausübung der Mitbestimmungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz obliegt grundsätzlich dem von den Arbeitnehmern unmittelbar gewählten Betriebsrat. Dem Gesamtbetriebsrat ist nach § 50 Absatz 1 Satz 1 BetrVG nur die Behandlung von Angelegenheiten zugewiesen, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können.

Danach sei der antragstellende Betriebsrat des Betriebs für die Wahrnehmung des in Rede stehenden Mitbestimmungsrechts nicht offensichtlich unzuständig. Es bleibe bei der regelmäßigen Zuständigkeit des örtlichen Betriebsrats bei Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes.

Bei der Festlegung der Einsatzzeiten gehe es vorwiegend um die Ermittlung des betriebsspezifischen Betreuungsbedarfs im Rahmen der Gesamtbetreuung des Betriebs. Deren Umfang bestehe aber unabhängig davon, in welchem Umfang in anderen Betrieben Betreuungsbedarf durch den Betriebsarzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit besteht.

Ein Betrieb im Sinne dieser Unfallverhütungsvorschrift sei eine geschlossene Einheit, die durch organisatorische Eigenständigkeit mit eigener Entscheidungscharakteristik geprägt ist. Diese Voraussetzungen lägen für den Betriebshof vor. Er stelle eine geschlossene Einheit dar, die durch das Betriebsgelände mit Verwaltungsgebäude, Werkstatt und dem Hofgelände definiert werde. Sie ist auch organisatorisch eigenständig. Es gebe einen Betriebshofleiter, der für die Leitung des Fahrdienstes der dem Betriebshof zugeordneten Busfahrer zuständig ist. Auch die Personalreferentin der Arbeitgeberin sei dort tätig. Dass sie neben den personalrechtlichen Aufgaben für diesen Betriebshof auch personalrechtliche Aufgaben für andere Betriebshöfe wahrnimmt, ändere nichts daran, dass sie für den Betriebshof in Personalangelegenheiten Entscheidungen treffen kann.

Vorliegend bedürfe es keiner Entscheidungsbefugnisse, die die Leitung des Gesamtunternehmens betreffen. Zur betriebsspezifischen Betreuung gehörten die Aufgabenfelder: betriebsspezifische Unfall- und Gesundheitsgefahren und Erfordernisse zur menschengerechten Arbeitsgestaltung, betriebliche Veränderungen in den Arbeitsbedingungen und in der Organisation, externe Entwicklungen mit spezifischem Einfluss auf die betriebliche Situation sowie betriebliche Aktion, Programme und Maßnahmen. Angeknüpft werde in allen Bereichen an den Betrieb, hier also den Betriebshof der Arbeitgeberin.

Die Verhaltensprävention beziehe sich auf die dem Betrieb zugeordneten Mitarbeiter, ohne dass es auf die Frage des konkreten Arbeitsplatzes (Bus, Werkstatt oder Schreibtisch) ankomme. Ob zu den festzulegenden Aufgabenbereichen auch die Arbeitsbedingungen in den jeweiligen Bussen zu untersuchen sind, werden die Betriebspartner im Rahmen der Einigungsstelle zu klären haben.

Gleiches gelte für die Aufgaben im Zusammenhang mit den Sanitäranlagen an den Wende- und Parkplätzen. Soweit diese, wie vom Vertreter des Betriebsrats im Beschwerdetermin ausgeführt wird, vom Betriebshof aus gewartet und versorgt werden, dürften sie dem Aufgabenbereich der Fachkraft für Arbeitssicherheit und der Betriebsärztin zuzuordnen sein, im Übrigen nicht.

Eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für den vorliegenden Regelungsgegenstand sei überhaupt nicht begründet, sofern nicht eine Delegation nach § 50 Abs. 2 S. 1 BetrVG erfolgte.

Die Busse gehörten zu den jeweiligen Betrieben, von deren Betriebshof aus sie regelmäßig eingesetzt werden. Ein gelegentlicher Standortwechsel vermöge diese Zuordnung nicht aufzuheben. Die Verhältnisse in der Werkstatt und in den sonstigen Gebäuden könnten ohne weiteres vor Ort beurteilt werden. Eine zwingende Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats sei ist nicht ersichtlich.

Im Übrigen werde das Interesse der Arbeitgeberin an einheitlichem Arbeitsschutz und arbeitssicherheitsrechtlichen Standards durch die Themen der einzusetzenden Einigungsstelle in keiner Weise berührt.

Die Gewährleistung des Arbeitsschutzes und auch etwaige konzeptionelle Überlegungen oder die Festlegung einheitlicher Standards des Arbeitsschutzes bleiben von der Aufgabenwahrnehmung durch die Betriebsärzte und die Fachkräfte für Arbeitssicherheit unberührt.

Die Festlegung eines gewissen Standards, etwa die für die Fahrerkabinen im Bus oder die Ausstattung der Werkstätten, wie dies von der Arbeitgeberin vorgetragen wurde, könne die Arbeitgeberin vornehmen, ohne dass dieser auf den Regelungsgegenstand der Einigungsstelle Einfluss nimmt.

Gegen diese Entscheidung gibt es kein Rechtsmittel.