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Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung

Einstweilige Verfügung für tatsächliche Beschäftigung

Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 05.02.2021, Aktenzeichen 12 SaGa 1/21

Steht ein Arbeitnehmer in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis, ist die Arbeitgeberin nicht nur zur Zahlung von Vergütung verpflichtet, sondern auch zur tatsächlichen Beschäftigung.

Die Arbeitgeberin beabsichtigtw, das Arbeitsverhältnis mit einem schwerbehinderten Mitarbeiter zu beenden. Darüber liefen Verhandlungen vor dem Integrationsamt.

Der Mitarbeiter war bis zum 23.12.2020 arbeitsunfähig erkrankt. Im Anschluss daran hatte er Erholungsurlaub bis zum 03.01.2021. Am 04.01.2021 meldete er sich zu Schichtbeginn arbeitsfähig. Daraufhin wurde ihm mitgeteilt, dass er von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt sei. Eine weitere Freistellung erfolgte bis zum 05.02.2021.

Der Mitarbeiter reichte am 06.02.2021 beim Arbeitsgericht einen Antrag auf einstweilige Verfügung ein. Aus dem bisher nicht gekündigten Arbeitsverhältnis habe er einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung. Mit jedem vergehenden Tag seiner Nichtbeschäftigung müsse er einen endgültigen Rechtsverlust hinnehmen.

Er beantragte, die Arbeitgeberin zu verurteilen, ihn als Mitarbeiter in der Abteilung Profilierung, Bürsten- und Folierbereich an einer Bürstenanlage im Wechselschichtsystem bei Spätschicht von 14:00 bis 22:00 Uhr und bei Frühschicht von 05:30 bis 13:30 Uhr zu beschäftigen.

Die Arbeitgeberin beantragte Klageabweisung. Zwei Abteilungen seien zusammengelegt worden. Mitarbeiter aus der Abteilung Profilierung würden nunmehr nicht nur an den Profilierungsmaschinen, sondern auch beim Bürsten und Folieren eingesetzt, weshalb der Arbeitsplatz des Mitarbeiters entfallen sei.

Das Arbeitsgericht wies den Antrag auf einstweilige Verfügung zurück. Es fehle an einem Verfügungsgrund der nur bei Vorliegen eines besonderen Beschäftigungsinteresses in Betracht komme. Der Mitarbeiter müsse darlegen und glaubhaft machen, dass er zur Erhaltung seiner beruflichen Qualifikation oder zur Verwirklichung seines Persönlichkeitsrechts oder zur Vermeidung von unverhältnismäßigen Eingriffen in sein Persönlichkeitsrecht gerade auf die Beschäftigung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache angewiesen sei. Das sei ihm nicht gelungen.

Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts legte der Mitarbeiter Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Das Arbeitsgericht habe die Maßstäbe für das Vorliegen eines Verfügungsgrundes verkannt. Da er sich in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befinde, habe er grundsätzlich ein Beschäftigungsinteresse. Deswegen müsse die Arbeitgeberin darlegen, warum ihre Interessen an der Freistellung höher zu bewerten seien. Der Erlass der einstweiligen Verfügung sei nach wie vor geboten, weil die Arbeitgeberin eine Art Kettenfreistellung praktiziere.

Das LAG entschied, der Mitarbeiter habe einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung aus § 611 a BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag. Die Arbeitgeberin habe die Verpflichtung, einen Mitarbeiter im ungekündigten Arbeitsverhältnis nicht nur den Arbeitslohn zu zahlen, sondern auch sein Beschäftigungsinteresse durch tatsächliche Beschäftigung zu befriedigen.

Es lägen keine Gründe vor, die dem Anspruch entgegenstehen. Die Arbeitgeberin habe zwar vorgetragen, dass 2 Abteilungen zusammengefasst wurden und der Mitarbeiter der Einzige sei, der über keine Berufsausbildung verfügt. Der Mitarbeiter sei dieser Behauptung jedoch substanziiert entgegengetreten. Die übrigen Mitarbeiter verfügten teilweise nicht über berufsspezifische Ausbildung, sie seien gelernte Metzger, Schornsteinfeger oder Dachdecker. Somit würde seine fehlende Berufsausbildung seine Qualifikation nicht in Frage stellen. Zudem habe die Arbeitgeberin ihre Personalplanung nicht umgesetzt. Aus der aktuellen Personalplanung ergebe sich, dass die Kollegen, die die gleiche Tätigkeit verrichtet haben wie er, nach wie vor nicht für das Profilieren eingesetzt werden.

Solange die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis noch nicht gekündigt hat, sei sie auch nicht berechtigt, von der im Arbeitsvertrag vorgesehenen Freistellung innerhalb der Kündigungsfrist Gebrauch zu machen.

Es liege auch der erforderliche Verfügungsgrund vor. Zu unterscheiden seien die Fälle, in denen der Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis gar nicht beschäftigt wird, von denen, in denen der Arbeitnehmer einwendet, seine Beschäftigung sei nicht vertragsgemäß. Im ersten Fall werde sein verfassungsrechtlich geschütztes Beschäftigungsinteresse tangiert. Im zweiten Fall liege möglicherweise lediglich ein Vertragsverstoß oder die unwirksame Ausübung des Weisungsrechtes gem. § 106 GewO (Gewerbeordnung) vor.

Ist die Rechtslage im Hinblick auf das Bestehen des Verfügungsanspruchs eindeutig, muss der Arbeitnehmer kein besonderes Beschäftigungsinteresse darlegen. Die Arbeitgeberin hingegen könne kein berechtigtes Interesse an der Aufrechterhaltung eines ersichtlich rechtswidrigen Zustandes haben. Die Dringlichkeit folge im bestehenden Arbeitsverhältnis bereits daraus, dass die verfassungsrechtlich geschützte Position des Arbeitnehmers unwiederbringlich beeinträchtigt wird.

Nach den obigen Erörterungen habe der Mitarbeiter hier offensichtlich einen Anspruch auf Beschäftigung als Mitarbeiter in der Abteilung Profilierung an der Bürstanlage.

Gegen die Entscheidung wurde kein Rechtsmittel zugelassen.