BLOG RECHTSPRECHUNG

Klageverzichtsprämie unabhängig von Obergrenze Sozialplan

Sozialplan kann Klageverzichtsprämie nicht begrenzen

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 07.12.2021, Aktenzeichen 1 AZR 562\20

Wird mit Empfängern von Leistungen aus einem Sozialplan eine zusätzliche Prämie vereinbart, falls diese sich dazu verpflichten keine Kündigungsschutzklage einzureichen, darf diese Klageverzichtsprämie nicht der Obergrenze des Sozialplans unterliegen.

Die Arbeitgeberin schloss mit dem Betriebsrat einen “Sozialplan zur Werksschließung” ab. Die darin vereinbarte Abfindung wurde unter Berücksichtigung von Betriebszugehörigkeit, Bruttomonatseinkommen und einem Faktor der das Alter der einzelnen Arbeitnehmer berücksichtigt, berechnet. Ein zusätzlicher Betrag wurde jeweils für unterhaltspflichtige sowie schwerbehinderte Arbeitnehmer addiert.

Der maximale Betrag der Abfindung wurde auf 75 000 Euro begrenzt.

Eine weitere Regelung im Sozialplan erlaubte Arbeitnehmern, ab dem 1. September 2019 unwiderruflich unter Fortzahlung ihrer vollen Vergütung sowie unter Anrechnung auf noch bestehende Urlaubsansprüche und eventuelle Zeitguthaben freigestellt werden zu können.

In einer zusätzlichen Betriebsvereinbarung bezüglich einer Klageverzichtsprämie (BV Klageverzichtsprämie) wurde geregelt, dass Arbeitnehmer die unter den Geltungsbereich des Interessenausgleichs und Sozialplans vom Juni 2019 fallen und Ansprüche auf eine Abfindung haben, gekündigt werden und keine Kündigungsschutzklage erheben, Anspruch auf eine 25% höhere Abfindung haben.

Ein seit August 1987 beschäftigter Mitarbeiter wurde zum Januar 2020 gekündigt und ab September 2019 von der Arbeit freigestellt. Die Arbeitgeberin zahlte ihm eine Abfindung in Höhe von 75 000 Euro. Der Mitarbeiter erhob keine Kündigungsschutzklage.

Vor dem Arbeitsgericht beanspruchte der Mitarbeiter eine Klageverzichtsprämie.

Weiterhin begehrte der Mitarbeiter die Zahlung eines seinem Arbeitsentgelt für sieben Monate zuzüglich der darauf entfallenden Arbeitgeberanteile entsprechenden Betrags. Er hat geltend gemacht, die Arbeitgeberin sei ungerechtfertigt bereichert, da sie das auf den Zeitraum seiner Freistellung entfallende Arbeitsentgelt den für den Sozialplan zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln entnommen und überdies durch die Freistellung die Urlaubsabgeltung erspart habe. Der Betriebsrat sei zudem über die Höhe des möglichen Sozialplanvolumens getäuscht worden. Dies stelle eine Vertragspflichtverletzung dar, die zum Schadensersatz verpflichte.

Die Höchstbetragsregelung im Sozialplan gelte nicht für die Klageverzichtsprämie. Im Übrigen benachteilige sie ihn wegen seines Alters und sei daher unwirksam.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Mitarbeiters zurückgewiesen. Mit seiner Revision vor dem Bundesarbeitsgericht verfolgte der Mitarbeiter sein Klagebegehren weiter.

Das Bundesarbeitsgericht entschied, die Klage zur Zahlung einer Klageverzichtsprämie ist begründet und erfolgreich. Alle weiteren Klagepunkte wurden abgewiesen. Dem Mitarbeiter stehen weder eine höhere Sozialplanabfindung noch Bereicherungs- oder Schadensersatzansprüche zu.

Der Mitarbeiter hat gegen die Arbeitgeberin einen Anspruch auf Zahlung der Klageverzichtsprämie, basierend auf der BV Klageverzichtsprämie. Die Höchstbetragsregelung des Sozialplans findet auf Ansprüche aus dieser Betriebsvereinbarung keine Anwendung. Er hat aber keinen Anspruch auf Schadensersatz, da die Regelung im Sozialplan nicht gegen das Benachteiligungsverbot in § 7 Absatz 1 AGG verstößt.

Entsprechend dem Wortlaut der Betriebsvereinbarung Klageverzichtprämie haben Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des Interessenausgleichs und Sozialplans vom 5. Juni 2019 fallen und Ansprüche auf eine Abfindung haben, „Anspruch auf eine höhere Abfindung“, wenn sie gekündigt werden und keine Kündigungsschutzklage erheben. Diese Formulierung lässt erkennen, dass jeder Arbeitnehmer, der die Voraussetzungen der Norm erfüllt, für seinen Verzicht auf die Klageerhebung eine gegenüber dem Sozialplan betragsmäßig höhere Abfindung erhalten soll.

Eine Anwendung des festgelegten Höchstbetrags auch auf die in der BV Klageverzichtsprämie vorgesehene Leistung liefe dem zuwider, da den bereits von einer Kappung ihrer Sozialplanabfindung betroffenen Arbeitnehmern, die nicht gerichtlich gegen ihre Kündigung vorgegangen sind, keine höhere Abfindungszahlung zustünde.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) dürfen Leistungen, die nach § 112 Absatz 1 Satz 2 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) dem Ausgleich oder der Abmilderung der mit einer Betriebsänderung für die Arbeitnehmer verbundenen wirtschaftlichen Nachteile dienen, nicht vom Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht werden. Es steht den Betriebsparteien jedoch frei, neben einem Sozialplan eine freiwillige kollektivrechtliche Regelung zu treffen, die im Interesse der Arbeitgeberin an alsbaldiger Planungssicherheit die Gewährung finanzieller Leistungen für den Fall vorsieht, dass der infolge der Betriebsänderung entlassene Arbeitnehmer nicht gerichtlich gegen seine Kündigung vorgeht.

Der beabsichtigte Anreiz zum Klageverzicht wird für den einzelnen Arbeitnehmer aber nur dann gesetzt, wenn er sich auch finanziell auswirkt. Demgegenüber würde eine solche Prämie ihren Zweck verfehlen, wenn sie die nach dem Sozialplan ohnehin zu zahlende Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes nicht erhöhte. Arbeitnehmer, denen trotz eines Klageverzichts kein finanzieller Vorteil entsteht, würden nicht von einer Klageerhebung abgehalten.

Eine Begrenzung der Klageverzichtsprämie gemäß Sozialplan verstieße gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 Absatz 1 BetrVG.

Arbeitnehmer, deren Sozialplanabfindung bereits ohne oder jedenfalls unter Hinzurechnung der Klageverzichtsprämie den Betrag von 75.000,00 Euro übersteigt, erhielten für einen Klageverzicht keine oder nur eine geringere finanzielle Leistung als diejenigen Arbeitnehmer, deren Sozialplanabfindung niedriger ist. Diese Ungleichbehandlung wäre, gemessen am Zweck der Klageverzichtsprämie, sachlich nicht gerechtfertigt.

Die Arbeitgeberin würde in allen Fällen, in denen die gekündigten Arbeitnehmer sich nicht gerichtlich gegen die Kündigung zur Wehr setzen, die mit der Prämienregelung beabsichtigte Planungssicherheit erlangen und den mit der Durchführung eines Kündigungsschutzverfahrens einhergehenden finanziellen und logistischen Aufwand sowie das damit verbundene Prozessrisiko vermeiden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts darf durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung, in welcher Leistungen für den Fall der Nichterhebung einer Kündigungsschutzklage versprochen werden, nicht das Verbot umgangen werden, Sozialplanabfindungen von einem entsprechenden Verzicht abhängig zu machen.

Damit ist, entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts, der Abschluss der BV Klageverzichtsprämie nicht zu beanstanden. Es ist nicht ersichtlich, dass der von den Betriebsparteien geschlossene Sozialplan die in § 112 Absatz 1 Satz 2 BetrVG vorgesehene Funktion verfehlen würde. Auch der Mitarbeiter behauptet nicht, dass die ihm durch die Betriebsänderung entstandenen Nachteile durch die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 75.000,00 Euro nicht spürbar abgemildert worden wären.

Ein vom Mitarbeiter vorgetragener Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gegen die Arbeitgeberin besteht hingegen nicht.

Entgegen der Annahme des Mitarbeiters unterliegen für einen Sozialplan zur Verfügung stehende finanzielle Mittel nicht der ausschließlichen Verfügungs- und Verwertungsbefugnis der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer. Seine bloße Erwartung, dass die Sozialplanabfindung ohne Freistellung höher bemessen worden wäre, ist nicht vom Zuweisungsgehalt eines Rechtsguts im bereicherungsrechtlichen Sinne erfasst.

Dem Mitarbeiter steht auch keine höhere Sozialplanabfindung zu.

Die Begrenzung der Sozialplanabfindung auf 75.000,00 Euro ist geeignet, Arbeitnehmer einer bestimmten Alterskohorte in besonderer Weise zu benachteiligen, da sie typischerweise bei diesen eingreifen kann. Die im Sozialplan vorgesehene Berechnungsformel ermöglicht für 51-bis 60-jährige Arbeitnehmer eine im Verhältnis zu den anderen Altersgruppen besonders hohe Abfindung. Hieraus ergibt sich, dass Arbeitnehmer der Altersgruppe 51 bis 60 Jahre typischerweise eine deutlich höhere Abfindung nach dem Sozialplan erhalten als jüngere oder rentennähere und damit eher von der Deckelung betroffen sein können.

Eine mittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne von § 3 Absatz 2 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) ist jedoch deshalb nicht gegeben, weil die Begrenzung der Sozialplanabfindung auf den Betrag von höchstens 75.000,00 Euro durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zu dessen Erreichung erforderlich und angemessen sind.

Mit der Festlegung einer maximal zu zahlenden Abfindung soll ersichtlich dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die für den Sozialplan zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel limitiert sind.

Da die Abfindungen für Arbeitnehmer der Altersgruppe 51 bis 60 Jahre wegen der höheren Faktoren und ihrer regelmäßig längeren Betriebszugehörigkeit typischerweise besonders hoch ausfallen, bezweckt die Regelung die Sicherstellung von Verteilungsgerechtigkeit. Vor dem Hintergrund begrenzter Sozialplanmittel soll möglichst allen vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmern eine verteilungsgerechte Überbrückungshilfe gewährt werden.

Damit dient die Norm einem rechtmäßigen Ziel im Sinne von § 3 Absatz 2 Halbsatz 2 AGG. Die Gewährung eines Ausgleichs für die Zukunft in Sozialplänen entsprechend den Bedürfnissen der betroffenen Arbeitnehmer, die der Notwendigkeit einer gerechten Verteilung der begrenzten finanziellen Mittel Rechnung trägt, stellt sogar ein legitimes Ziel im Sinne von § 10 Satz 1 AGG dar.

Die Regelung ist geeignet, das Ziel der Verteilungsgerechtigkeit unter Berücksichtigung des beschränkten Sozialplanvolumens zu erreichen. Durch die festgelegte Obergrenze der Abfindungshöhe wird ein, durch die Faktoren der Berechnungsformel ermöglichter, erheblicher Anstieg der Abfindung für die Altersgruppe der 51-bis 60-jährigen Arbeitnehmer verhindert und dadurch gewährleistet, dass auch für die anderen von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer noch Mittel zur Zahlung von Sozialplanabfindungen zur Verfügung stehen.

Die Bestimmung ist auch erforderlich, um möglichst allen betroffenen Arbeitnehmern eine verteilungsgerechte Überbrückungshilfe zu gewähren. Eine höhere Obergrenze hätte, bei Einhaltung des Dotierungsrahmens, aufgrund der dann erforderlichen Absenkung der einzelnen Faktoren zu einer Verringerung der Abfindungen jüngerer und rentennäherer Arbeitnehmer geführt.

Sozialpläne haben typischerweise eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion. Die in ihnen vorgesehenen Leistungen sind kein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachten Dienste, sondern sollen die voraussichtlich entstehenden wirtschaftlichen Folgen eines durch Betriebsänderung verursachten Arbeitsplatzverlusts ausgleichen oder zumindest abmildern. Dabei müssen die Betriebsparteien die mit der Betriebsänderung verbundenen Nachteile nicht vollständig kompensieren. Der von ihnen vereinbarte Sozialplan darf lediglich den Normzweck nicht verfehlen, die wirtschaftlichen Nachteile zu mildern.

Dass die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 75.000,00 Euro nicht zumindest eine substantielle Milderung der Nachteile der vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmer darstellen würde, ist weder erkennbar noch wird dies vom Mitarbeiter behauptet. Die Höchstbetragsregelung beeinträchtigt die legitimen Interessen der von ihr erfassten Arbeitnehmer auch nicht aus anderen Gründen unangemessen.

Die für die unionsrechtliche Rechtslage maßgebenden Grundsätze sind durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union als geklärt anzusehen. Nach dessen Rechtsprechung kann eine Ungleichbehandlung von älteren Arbeitnehmern bei der Berechnung der Sozialplanabfindung durch ein legitimes Ziel im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt sein, wenn der Sozialplan die Gewährung eines Ausgleichs für die Zukunft, den Schutz der jüngeren Arbeitnehmer sowie die Unterstützung bei ihrer beruflichen Wiedereingliederung und eine gerechte Verteilung der begrenzten finanziellen Mittel bezweckt.