Kündigung des Arbeitsverhältnisses sozial ungerechtfertigt
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 20.03.2012, 2 Sa 331/11
Die fehlende Fähigkeit, sich in ein Team zu integrieren oder Hierarchien zu akzeptieren, wurde einem Vertriebsingenieur zum Verhängnis. Seine Kollegen drohten mit der eigenen Kündigung, falls die Arbeitgeberin dem Vertriebsingenieur nicht kündigt. Der Betriebsrat stimmte der Kündigung des Vertriebsingenieurs zu. Der Vertriebsingenieur legte eine Kündigungsschutzklage ein. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein bestätigte die soziale Ungerechtfertigkeit der Kündigung, die damit unwirksam ist.
Der Vertriebsingenieur erlitt 6 Wochen nach seiner Einstellung einen Freizeitunfall. Mit Unterbrechungen war er ca. ein halbes Jahr arbeitsunfähig. Zeitweise wurde er dennoch während dieser Zeit beschäftigt. Gegen Ende des 11. Monats seiner Anstellung wurde der Vertriebsingenieur auf Kurzarbeit Null gesetzt. Während der Kurzarbeit Null bot die Arbeitgeberin einen Aufhebungsvertrag verbunden mit einer Abfindung an. Es wurde keine Einigung über dieses Angebot erzielt.
Nach rund einem Jahr und drei Monaten in Kurzarbeit Null wurde dem Vertriebsingenieur gekündigt. Die Begründung: Die beiden Kollegen des Vertriebsingenieurs aus dem Vertrieb hätten gedroht, bei einer Rückkehr des Vertriebsingenieurs selbst zu kündigen. Die Arbeitgeberin sah sich von dieser Drohung unter Druck gesetzt. Die drohenden Vertriebsmitarbeiter hielt die Arbeitgeberin für wirtschaftlich unverzichtbar, weil sie für einen hohen Teil des Umsatzes verantwortlich sind. Deshalb wurde unter diesem Druck die Kündigung formuliert.
Zusätzlich wurde dem Vertriebsingenieur vorgeworfen, dass er nicht in der Lage sei, sich in ein Team zu integrieren oder Hierarchien zu akzeptieren. Mitarbeiter und Vorgesetzte seien nicht bereit, mit dem Vertriebsingenieur zusammenzuarbeiten.
Die Arbeitgeberin hat jedoch nicht ausreichend dargelegt, wie zwischen dem Vertriebsingenieur und seinen beiden Kollegen ein Ausgleich herbeigeführt werden könnte. Der Geschäftsführer habe zwar versucht, für den Vertriebsingenieur eine zweite Chance bei seinen Kollegen zu erreichen. Es wurde jedoch nicht ausgeführt, wie der Konflikt durch geeignete Mittel wie Coaching, Mediation oder gemeinsame Gespräche einer Lösung zugeführt wurde.
Bei Einarbeitung des Vertriebsingenieurs hätte ihm deutlich gemacht werden müssen, welche Verhaltensweisen im Betrieb der Arbeitgeberin als angemessen angesehen werden.
Die Kündigungsdrohung der beiden Kollegen kann nicht als Basis für eine Drucksituation angesehen werden, welche eine Kündigung rechtfertigen würde. Eine Kündigung, die mehr als ein Jahr nach der behaupteten Drucksituation ausgesprochen wird, kann den Druck nicht verdeutlichen. Die Arbeitgeberin war nicht intensiv bemüht, die Drucksituation beizulegen. Es wurde mehr als ein Jahr lang abgewartet und aus derselben Situation fortgesetzt, ohne intensive Bemühungen, den Druck abzubauen.
Die Kündigungsschutzklage des Vertriebsingenieurs hatte Erfolg, die Kündigung war sozialwidrig und deshalb nicht zulässig.
Obwohl die Kündigung als sozial ungerechtfertigt abgewiesen wurde, wurde das Arbeitsverhältnis vom LAG Schleswig-Holstein auf Antrag der Arbeitgeberin aufgelöst.
Die Arbeitgeberin beruft sich zur Begründung ihres Auflösungsantrags auf eine Anzeige des Vertriebsingenieurs wegen unberechtigter Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld für den Betrieb der Arbeitgeberin.
Basierend auf einer E-Mail des Vertriebsingenieurs hat die Agentur für Arbeit Strafanzeige gegen die Arbeitgeberin erstattet. Daraus resultierte ein Ermittlungsverfahren gegen die Arbeitgeberin bzw. deren Geschäftsführung.
Aus Sicht der Arbeitgeberin ist nicht zu erwarten, dass mit dem Vertriebsingenieur eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit möglich ist. Die Arbeitgeberin kann nicht sicher sein, dass der Vertriebsingenieur künftig bei auftretenden Missständen oder Meinungsverschiedenheiten zunächst das Gespräch im Betrieb der Arbeitgeberin suchen wird. Die Anzeige bei der Agentur für Arbeit wurde nach dem Erhalt der Kündigung eingereicht. Eine Klärung mit der Arbeitgeberin wurde nicht versucht.