Ungekürztes Arbeitsentgelt bei Kurzarbeit
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 12.06.2014, Aktenzeichen 11 Sa 1566/13
Wird Kurzarbeit angeordnet, so müssen konkrete Vereinbarungen mit einzelnen Mitarbeitern getroffen werden. Eine allgemeine Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit, ohne konkrete Regelungen für einzelne Mitarbeiter, ist ungültig.
In einem Unternehmen wurde vom 11. März bis zum Ende des Jahres 2011 Kurzarbeit für den gesamten Betrieb angeordnet. In der Betriebsvereinbarung Kurzarbeit (BV Kurzarbeit) wurde eine flexible Kurzarbeit benannt, die an den jeweiligen Arbeitsanfall der Abteilungen angepasst würde. Die Kurzarbeitertage würden mindestens eine Woche im Voraus in die Urlaubsplanungsdatei eingetragen. Geschäftsleitung und Betriebsrat könnten zeitnah Einsicht nehmen.
Am 12. Oktober kündigte der Betriebsrat die Betriebsvereinbarung fristlos aus wichtigem Grund. Die Geschäftsgrundlage für Kurzarbeit sei entfallen, nachdem am 6. Oktober die Stilllegung des Werkes zum Jahresende des folgenden Jahres beschlossen wurde.
Es könne keine Rede mehr davon sein, dass die Kurzarbeit zur Überbrückung eines vorübergehenden Engpasses notwendig sei. Es widerspreche der Geschäftsgrundlage für Kurzarbeit, wenn die im Betrieb vorhandene Arbeit (Schaltschrankmontage) fremd vergeben würde. Die Begründung der Fremdvergabe, dass ein Betriebsratsmitglied wegen seiner Teilnahme an der Betriebsratssitzung seine Arbeit nicht verrichte, stelle zudem eine Störung der Betriebsratsarbeit dar.
Ein Mitarbeiter bezog sich auf die Kündigung der Betriebsvereinbarung durch den Betriebsrat und bot dem Unternehmen am 18.Oktober in einer schriftlichen Mitteilung ab sofort seine volle Arbeitskraft an und macht gleichzeitig seinen Anspruch auf eine Entlohnung als Vollzeitarbeitskraft geltend.
Zum Ende des Folgejahres wurde der Geschäftsbetrieb eingestellt. Am 26.Oktober des Folgejahres legte der Mitarbeiter Klage beim Arbeitsgericht ein. Er verlangte den Differenzbetrag der Entlohnung zwischen Teilzeitarbeit und Vollzeitarbeit.
Der BV-Kurzarbeit läge kein ordentlicher Beschluss des Betriebsrats zugrunde. Es läge kein ordnungsgemäßes Protokoll der Betriebsratssitzung vor.
Die BV-Kurzarbeit sei aber auch unwirksam, da für einzelne Arbeitnehmer nicht erkennbar sei, in welchem Umfang sie von der Kurzarbeit betroffen seien. Mit der BV-Kurzarbeit sei der Betriebsrat nicht an der konkreten Auswahl der Arbeitnehmer und deren konkreten Umfang für die Kurzarbeit beteiligt worden. Zumindest sei die Rechtsgrundlage für die Kurzarbeit ab Oktober 2011 entfallen, da der Betriebsrat die Vereinbarung gekündigt habe. Die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung sei nicht durch die Zustimmung des Betriebsrats beseitigt worden.
Die Arbeitgeberin erwiderte, die Betriebsvereinbarung sei schon deshalb gültig, weil der Betriebsrat selbst nach anwaltlicher Beratung keine Möglichkeit gesehen hätte, die Vereinbarung für ungültig zu erklären und diese letztlich gekündigt habe. Es habe keinen Grund für die Kündigung gegeben, da die Betriebsstilllegung erst ein Jahr später erfolgte. Einen Zweifel am Sinn der Kurzarbeit könne es zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben haben, da die Kurzarbeit das Ziel verfolgte, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Es bestehe kein Zahlungsanspruch des Mitarbeiters, da die Arbeitgeberin sich nicht in Annahmeverzug befunden habe.
Das Arbeitsgericht gab der Klage in vollem Umfang statt. Die Arbeitgeberin legte Berufung vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) ein.
Die Berufung war teilweise erfolgreich.
Die Zahlung der Differenzbeträge sei für den Zeitraum vom Angebot des Mitarbeiters, seine volle Arbeitskraft einzusetzen bis zum Jahresende berechtigt. Die Arbeitgeberin habe sich in Annahmeverzug befunden.
Nach § 615 Satz 1 BGB kann der Arbeitnehmer für nicht geleistete Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein, wenn sich der Arbeitgeber mit der Annahme der Dienste in Verzug befindet.
Die BV-Kurzarbeit sei keine Grundlage für die Kurzarbeit, da die enthaltenen Regelungen zu unbestimmt seien. Die BV-Kurzarbeit bevollmächtigte die Arbeitgeberin nicht, die Arbeitszeit des Mitarbeiters ohne seine Zustimmung herabzusetzen.
Mit Bezug auf frühere Rechtsprechungen des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) erläuterte das LAG:
Die Einführung von Kurzarbeit bedarf einer besonderen normativen oder einzelvertraglichen Rechtsgrundlage. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers ist kein geeignetes Instrument, um die vertraglich eingegangene Beschäftigungs- und Vergütungspflicht einzuschränken.
Es läge keine einvernehmliche vertragliche Vereinbarung zwischen Mitarbeiter und Arbeitgeberin vor.
Die Betriebsvereinbarung sei zu unbestimmt. Kurzarbeit könne nur dann ohne Zustimmung des Mitarbeiters festgelegt werden, wenn in der Betriebsvereinbarung selbst geregelt ist, in welchem konkreten Zeitraum für welche betroffenen Arbeitnehmer in welchem konkreten Umfang die Arbeit wegen Kurzarbeit ausfallen soll.
Die Betriebsvereinbarung müsse den Beginn und die Dauer der Kurzarbeit, die Lage und Verteilung der Arbeitszeit, die Auswahl der von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer oder die betroffene Abteilung sowie die Zeiträume, in denen die Arbeit ganz ausfallen soll, festlegen.
Diese Festlegungen seien in der BV-Kurzarbeit nicht vorhanden. Anhand des Wortlauts der Betriebsvereinbarung lasse sich jede beliebige Arbeitszeit von Vollarbeit bis Kurzarbeit Null festlegen. Den Arbeitnehmer war es durch den Wortlaut der Vereinbarung nicht möglich festzustellen, in welchem Umfang sie von der Kurzarbeit betroffen sein werden. Eine solche freizügige Regelung widerspräche dem Prinzip der Normenklarheit. Ob der Betriebsrat den einzelnen wöchentlichen Plänen zugestimmt habe, sei für die rechtliche Wirksamkeit der Herabsetzung der Arbeitszeit belanglos.
Das LAG führte aus:
Eine formlose Regelungsabrede über die Realisierung von Kurzarbeit wahrt zwar das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, kann aber wegen ihrer fehlenden normativen Wirkung nicht die vertraglich festgelegten Arbeitsbedingungen der betroffenen Arbeitnehmer abändern.
Für den Zeitraum vom Beginn der Kurzarbeit bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Mitarbeiter seine volle Arbeitskraft anbot, sei die Zahlung von Differenzbeträgen jedoch nicht gerechtfertigt. Der Mitarbeiter habe für diesen Zeitraum seine Arbeitskraft nicht genügend im Sinne von §§ 293 ff BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) angeboten.
Nach § 294 BGB müsse die geschuldete Leistung tatsächlich angeboten werden, damit ein Annahmeverzug entstehen kann. Da der Mitarbeiter nicht vor dem 18.10.2011 angeboten habe seine volle Arbeitsleistung zu erbringen, habe er für den davor liegenden Zeitraum der Kurzarbeit keinen Anspruch auf Lohnausgleich.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Themas ist für beide Parteien die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.