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Mindestlohn für Bereitschaftsdienst

Gesetzlicher Mindestlohn gilt auch für Bereitschaftsdienst

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.06.2016, Aktenzeichen 5 AZR 716/15

Mindestlohn für Bereitschaftszeiten ist auch dann zu vergüten, wenn die Bereitschaft nur anteilig als Arbeitszeit berücksichtigt wird. Gesetzlicher Mindestlohn ist zwingend und kann nicht durch anderslautende vertragliche Vereinbarungen unterlaufen werden.

Ein Rettungsassistent arbeitete bei einem Rettungsdienst in einer Vier-Tage-Woche mit Zwölfstunden-Schichten einschließlich Bereitschaftszeiten durchschnittlich 48 Stunden je Woche. Die Bereitschaftszeiten wurden zur Hälfte als tarifliche Arbeitszeit entsprechend TVöD (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst) gewertet. Fielen die Bereitschaftszeiten innerhalb der täglichen regelmäßigen Arbeitszeit, wurden sie nicht gesondert ausgewiesen.

Der Rettungsassistent machte erfolglos weitere Vergütungen von Bereitschaftszeiten geltend. Er erhob Zahlungsklage für zwei Monate. Die Arbeitgeberin vergüte die Bereitschaftszeiten nicht mit dem gesetzlichen Mindestlohn. Die arbeitsvertraglich vereinbarte tarifliche Regelung sei durch das Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes unwirksam geworden. Daraus folgend habe er Anspruch auf die übliche Vergütung in Höhe des tariflichen Tabellenentgeltes in Höhe von 15,81 Euro brutto je Stunde.

Die sich aus dieser Überlegung ergebende Differenz beanspruchte der Rettungsassistent mit seiner Klage vor dem Arbeitsgericht. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Die Berufung wurde vom Landesarbeitsgericht (LAG) zurückgewiesen. Mit der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte der Rettungsassistent sein Begehren weiter.

Das BAG entschied, das LAG habe die Berufung zurecht zurückgewiesen. Die Klage sei unbegründet.

Die Klage sei bereits unschlüssig, da sie mit einem Stundendurchschnitt statt mit tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden begründet wurde. Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn entstehe mit jeder geleisteten Arbeitsstunde. Deshalb sei es erforderlich, die geleisteten Stunden schlüssig darzulegen. Unabhängig davon sei der Zahlungsantrag aber in jedem Fall unbegründet.

Der Rettungsassistent könne nicht eine weitere Zahlung von 7,90 Euro je Stunde fordern. Es bestehe kein Anspruch auf die übliche Vergütung nach § 612 Absatz 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Die übliche Vergütung werde geschuldet, wenn die Vereinbarung zum Arbeitsentgelt im Streitzeitraum unwirksam war.

Die tarifliche Regelung sei nicht wegen des Inkrafttretens des Mindestlohngesetzes unwirksam geworden. Entsprechend Arbeitsvertrag finde der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Anwendung. Der Rettungsassistent sei nach Arbeitsvertrag in die Entgeltgruppe 5, Stufe 6 TvöD eingestuft.

Der Anspruch auf Mindestlohn nach dem MiLoG (Mindestlohngesetz) existiere als gesetzlicher Anspruch eigenständig neben dem arbeits- oder tarifvertraglichen Anspruch. Das Mindestlohngesetz werde nur wirksam, falls die Entgeltvereinbarung der Arbeitsvertragsparteien den Anspruch auf Mindestlohn unterschreite. Werde der gesetzliche Mindestlohn unterschritten, bestehe ein Differenzanspruch.

Die Voraussetzungen nach § 612 Absatz 2 BGB lägen nicht vor. Das Mindestlohngesetz habe die Vergütungsregelung in keiner Weise berührt. Das MiLoG regele eigenständig die Rechtsfolge bei Unterschreiten des Mindestlohnes. Der Anspruch auf Mindestlohn erlösche, sobald der Anspruch erfüllt ist.

Die Arbeitgeberin habe bereits dann den Anspruch auf Mindestlohn erfüllt, wenn die Arbeitsstunden des Monats multipliziert mit dem aktuellen Betrag des Mindestlohnes die Bruttovergütung nicht übersteigen. Der gesetzliche Mindestlohn werde für jede geleistete Stunde geschuldet.

Bereitschaftszeit sei vergütungspflichtige Arbeitszeit nach § 611 Absatz 1 BGB und mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten.

Zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit zähle nicht nur jede Tätigkeit, die der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses diene, sondern auch eine von der Arbeitgeberin veranlasste Untätigkeit während derer der Arbeitnehmer an einer von der Arbeitgeberin bestimmten Stelle anwesend sein muss und nicht frei über seine Zeit verfügen kann, also weder Pause noch Freizeit hat. Bereitschaftszeit, die gemeinhin als Zeit wacher Aufmerksamkeit im Zustand der Entspannung beschrieben werde, erfülle diese Voraussetzungen. Der Arbeitnehmer müsse sich an einem von der Arbeitgeberin vorbestimmten Ort aufhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen.

Werde Bereitschaftszeit nur anteilig als Arbeitszeit berücksichtigt, müsse dennoch jede so erbrachte Zeitstunde mit dem Mindestlohn vergütet werden. Der gesetzliche Mindestlohn sei zwingend und könne nicht einzel- oder tarifvertraglich gemindert oder infrage gestellt werden.

Die Arbeitgeberin habe den Mindestlohnanspruch im streitigen Zeitraum bereits durch die allmonatliche Zahlung erfüllt. Die monatliche Vergütung überschreite den gesetzlichen Mindestlohn. Der Mindestlohnanspruch würde selbst bei denkbaren 228 Arbeitsstunden überschritten und sei in jedem Fall erfüllt.

Aus den aufgeführten Gründen war die Revision des Rettungsassistenten erfolglos.