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Außerordentliche Kündigung bedarf eines wichtigen Grundes

Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.03.2016, Aktenzeichen 2 AZR 110/15

Eine außerordentliche Kündigung kann nur ausgesprochen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt und die Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar ist. Handelt es sich um eine Verdachtskündigung, muss der Verdacht dringend und auf konkrete Tatsachen gestützt sein.

In der deutschen Tochtergesellschaft einer türkischen Aktiengesellschaft war der Vertriebsleiter Europa beschäftigt. Nach vorangegangener Kündigung sollte das Arbeitsverhältnis des Vertriebsleiters Europa auf Basis eines Abwicklungsvertrages beendet werden. Im Abwicklungsvertrag wurde die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 740 000,- Euro vereinbart. Ein Teilbetrag der Abfindung, in Höhe von 290 000,- Euro, wurde zwei Tage nach Abschluss des Abwicklungsvertrages gezahlt.

Zwei Wochen vor der im Abwicklungsvertrag benannten Beendigung des Arbeitsverhältnisses übermittelte die Arbeitgeberin eine fristlose Kündigung. Am Tage des Kündigungszuganges erstattete der Vertriebsleiter Strafanzeige gegen zwei Mitarbeiter der türkischen Muttergesellschaft wegen Bedrohung und Nötigung.

Die Arbeitgeberin hielt die fristlose Kündigung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für wirksam und klagte vor dem Arbeitsgericht. Der Vertriebsleiter habe in großem Umfang Spesenbetrug begangen. Der Abwicklungsvertrag sei rechtsmissbräuchlich abgeschlossen und die Strafanzeige gegen die Mitarbeiter unberechtigt gestellt worden. Der Vertriebsleiter habe Ausgaben im fünfstelligen Bereich zulasten des Firmenkontos getätigt, ohne die Ausgaben zu belegen.

Die außerordentliche, fristlose Kündigung sei auf jeden Fall als Verdachtskündigung wirksam. Die Arbeitgeberin forderte die Rückzahlung der Teilabfindung, Zahlung der Leistungen, die nicht belegt worden seien, sowie eine Ausfallentschädigung für die verspätete Rückgabe des Firmenfahrzeuges.

Der Vertriebsleiter beantragte in seiner Widerklage festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht mit der fristlosen Kündigung aufgelöst wurde. Weiterhin beantragte er, die Arbeitgeberin zu verurteilen, den Differenzbetrag zwischen dem bereits gezahlten Betrag der Abfindung und dem vollen Umfang der Abfindung zu zahlen.

Der Vertriebsleiter behauptete, er habe sämtliche Ausgaben gegenüber der Assistentin der Geschäftsführung abgerechnet. Er habe keine unbelegte Ausgaben veranlasst.

Der Vertriebsleiter habe einen Einkaufsgutschein in Höhe von 1 000 Euro erworben. Den Einkaufsgutschein habe er im Rahmen der Kundenpflege dem Geschäftsführer eines in Belgien ansässigen Kunden überlassen. Die beiden Zahlungen in 5-stelliger Höhe seien für die Erstellung einer Marktanalyse sowie für die Fertigung einer Werbebroschüre erfolgt. Die Strafanzeige habe er erst nach Zugang der fristlosen Kündigung erstellt. Der Abwicklungsvertrag sei nicht rechtsmissbräuchlich abgeschlossen worden.

Das Arbeitsgericht entsprach der Widerklage des Vertriebsleiters. Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung der Arbeitgeberin zurück. Das BAG hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und an das Landesarbeitsgericht zurück verwiesen. Nach einer teilweise im Wege der Rechtshilfe erfolgten Beweisaufnahme wurde die Berufung der Arbeitgeberin erneut zurückgewiesen. Mit der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht verfolgt sie weiterhin ihr Begehren.

Das BAG lehnte die Revision als unbegründet ab. Das vor dem LAG vorgebrachte Ablehnungsgesuch gegen den ehrenamtlichen Richter sei zudem nicht Bestandteil des Revisionsverfahrens.

Es bestehe kein Anspruch auf die Rückzahlung der von der Arbeitgeberin begehrten vorzeitig gewährten Teilabfindung, der veranlassten Zahlungen über 22 000,- Euro und 28 592,- Euro sowie der Nutzungsausfallentschädigung für den PKW.

Das Arbeitsverhältnis habe entsprechend dem Abwicklungsvertrag zum 31. Juli geendet. Die außerordentliche Kündigung vom 14. Juli habe das LAG zu Recht für unwirksam erklärt und die Verpflichtung zur Rückzahlung des zu diesem Zeitpunkt bereits ausgezahlten Abfindungsteilbetrages verneint.

Die außerordentliche Kündigung habe das Arbeitsverhältnis nicht mit ihrem Zugang beendet. Zu diesem Zeitpunkt habe kein wichtiger Grund im Sinne von § 626 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) vorgelegen.

Das Arbeitsverhältnis kann nur ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Für einen wichtigen Grund müssen Tatsachen vorliegen, die nach Abwägung beidseitiger Interessen, und Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar sind.

Zunächst sei zu untersuchen, ob der Sachverhalt selbst einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 BGB darstellt. Anschließend ist zu prüfen ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, unter Berücksichtigung der konkreten Umstände und Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien, bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar ist.

Das LAG habe zu Recht angenommen, die behaupteten Abrechnungsbetrugshandlungen seien an sich geeignet, den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu rechtfertigen. Das gelte auch für die erstattete Strafanzeige und das behauptete kollusive Zusammenwirken mit dem vormaligen Geschäftsführer bei Abschluss des Abwicklungsvertrages. Es lägen jedoch keine tatbestandlichen Voraussetzungen für einen wichtigen Grund vor.

Der Vertriebsleiter habe wegen der mehrjährigen Handhabung davon ausgehen können, dass eine konkrete Belegabrechnung trotz gegenteiliger Vereinbarung im Arbeitsvertrag von der Arbeitgeberin nicht mehr verlangt werde.

Der Vorwurf, der Vertriebsleiter habe die ihm zur Verfügung gestellte Kreditkarte für den Erwerb privater Kleidung genutzt, sei nicht bewiesen. Die Übergabe des Geschenkgutscheins biete nach der Entscheidung des LAG keinen Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Straftat nach § 299 Absatz 2 StGB (Strafgesetzbuch). Es werde in der Revisionsbegründung nicht aufgeführt, dass der Vortrag des LAG dazu unstreitig geblieben wäre.

Die Arbeitgeberin habe ihre Behauptung, die beiden Zahlungen in 5-stelliger Höhe seien ohne Gegenleistung erfolgt, nicht bewiesen. Der Vertriebsleiter habe ausgeführt, dass eine Marktanalyse für die Arbeitgeberin und eine Produktpräsentation für eine Geschäftspartnerin erstellt wurden.

Im Kündigungsschutzprozess liege die volle Darlegungs- und Beweislast bei der Arbeitgeberin. Demnach hatte die Arbeitgeberin zunächst die Pflichtverletzung im Zusammenhang mit den 5-stelligen Zahlungen darzulegen. Das Nichtvorhandensein von Belegen über geschäftliche Beziehungen zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung belege nicht, dass es diese nicht gegeben habe.

Die Arbeitgeberin konnte Nachforschungen bei den von ihr mit der Buchhaltung betrauten Personen vornehmen sowie bei den rechnungsausstellenden Firmen weitere Nachforschungen betreiben. Der frühere Geschäftsführer habe angegeben, er könne sich an die Geschäftsvorfälle erinnern. Die Arbeitgeberin sei dem nicht entgegengetreten. Bei der Arbeitgeberin lag die volle Beweislast, da sich die vertraglichen Beziehungen nicht außerhalb des Geschäftsbetriebes der Arbeitgeberin vollzogen haben.

Die außerordentliche Kündigung sei nicht gerechtfertigt, da kein wichtiger Grund vorlag. Eine Verdachtskündigung könne gerechtfertigt sein, wenn starke, auf objektive Tatsachen gründende Verdachtsmomente vorlägen, die geeignet seien, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen zu zerstören.

Die Arbeitgeberin muss alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen haben. Dazu gehöre insbesondere die Möglichkeit der Stellungnahme des Arbeitnehmers. Der Verdacht muss dringend und auf konkrete Tatsachen gestützt sein, die ggf. zu beweisen seien. Es müsse eine große Wahrscheinlichkeit bestehen, dass der Verdacht zutreffe. Die Umstände des Verdachts dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht durch Geschehen erklärbar sein, die eine Kündigung nicht rechtfertigen. Eine auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigung reiche nicht aus.

Das LAG hielt die Kündigung für unwirksam, da es an einem dringenden Tatverdacht mangele. Die vorgetragenen Umstände seien zu pauschal und würden nicht von beweisbaren Vermutungen gestützt. Die Arbeitgeberin habe sich unstreitig nach dem Abschluss des Abwicklungsvertrages auf die Suche nach Kündigungsgründen begeben. Das könnte die Annahme rechtfertigen, sie habe sich absichtlich Zahlungsvorgänge mit ausländischen Gesellschaften ausgewählt, um dem Vertriebsleiter eine Rechtfertigung zu erschweren. Die Dringlichkeit des Tatverdachts sei damit gleichzeitig ausgeschlossen.

Die außerordentliche Kündigung sei auch nicht wegen der erstatteten Strafanzeige und der Umstände die zum Abwicklungsvertrag führten gerechtfertigt. Diese Würdigung lasse keinen Rechtsfehler des LAG erkennen und die Arbeitgeberin machte in der Revisionsbegründung nichts Gegenteiliges geltend.

Die Rückzahlung der beiden 5-stelligen Beträge sowie der beanspruchten Nutzungsausfallentschädigung habe das LAG ebenfalls zutreffend verneint. Die Revision habe dazu auch keine Rüge erhoben.

Weiter entschied das BAG, der Feststellungsantrag des Vertriebsleiters, zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung sei begründet. Ebenso wie sein Begehren auf Zahlung der restlichen im Abfindungsvertrag vereinbarten Abfindungssumme.