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Wirtschaftsauschuss eines Gemeinschaftsbetriebes

Bildung eines Wirtschaftsausschusses im Gemeinschaftsbetrieb

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.03.2016, Aktenzeichen 1 ABR 10/14

Der Wirtschaftsausschuss eines Gemeinschaftsbetriebes ist ausschließlich beim beherrschenden Unternehmen einzurichten, wenn dieses Alleineigentümer des anderen beteiligten Unternehmens ist und in der Regel mehr als 100 Arbeitnehmer ständig beschäftigt.

 

Der Betriebsrat eines Gemeinschaftsunternehmens mit zwei Kliniken wollte beim Arbeitsgericht die Ungültigkeit des Einigungsstellenspruchs feststellen lassen und verfolgte gleichzeitig sein Unterrichtungsbegehren.

 

Der Betriebsrat wurde in einem Gemeinschaftsbetrieb mit rund 460 Arbeitnehmer gebildet. Zu dem Gemeinschaftsbetrieb gehörte ein Betrieb mit etwa 400 Arbeitnehmern sowie ein Betrieb mit etwa 60 Arbeitnehmern. Bei der Arbeitgeberin mit 400 Arbeitnehmern bestand ein Wirtschaftsausschuss, sie war alleinige Eigentümerin des zweiten Betriebes im Gemeinschaftsunternehmen.

Die Gesellschafter des größeren Betriebes schlossen einen Vertrag über die Veräußerung sämtlicher Gesellschaftsanteile an ein anderes Unternehmen. Durch arbeitsgerichtlichen Beschluss wurde eine Einigungsstelle eingerichtet. Die Einigungsstelle wies den Antrag des Betriebsrats auf Vorlage des Kaufvertrages über die Gesellschafteranteile an den Wirtschaftsausschuss ab.

Der Betriebsrat verfolgt seinen Unterrichtungsanspruch weiter. Der Wirtschaftsausschuss sei berechtigt, Einsicht in den Vertrag über die Veräußerung von Anteilen zu nehmen. Beim Arbeitsgericht beantragte der Betriebsrat, den Spruch der Einigungsstelle für unwirksam zu erklären und den Wirtschaftsausschuss über die Inhalte des Kaufvertrages über die Gesellschafteranteile einschließlich Kaufpreis zu unterrichten.

Das Arbeitsgericht wies die Anträge des Betriebsrats ab. Die Beschwerde des Betriebsrats vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) wurde abgewiesen.

Der Betriebsrat legte Rechtsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht (BAG) ein. Im Verlauf des Rechtsbeschwerdeverfahrens wurde über das Vermögen der Arbeitgeberinnen ein Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter schloss mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung ab, die gleichzeitig als Interessenausgleich deklariert wurde. Im Wege eines Betriebsüberganges gingen beide Klinken auf eine Universitätsklinik als Anstalt öffentlichen Rechts sowie eine in deren Eigentum stehende GmbH über. Der Forschungsbereich wurde an einen weiteren Erwerber veräußert. Seither sind im Gemeinschaftsbetrieb keine Arbeitnehmer mehr beschäftigt. Die Betriebstätigkeit wurde eingestellt. Der Insolvenzverwalter beantragte, das Verfahren einzustellen, hilfsweise die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats abzuweisen.

Das BAG entschied, die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats sei unbegründet. Entgegen der Auffassung des LAG war die kleinere Klinik nicht zu beteiligen. Nach § 106 Abs. 1 Satz 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) ist in Unternehmen mit in der Regel mehr als 100 ständig beschäftigten Arbeitnehmern ein Wirtschaftsausschuss zu bilden. Der Wirtschaftsausschuss konnte nur in der größeren Klinik gebildet werden. Eine betriebsverfassungsrechtliche Position der anderen Klinik sei durch die Anträge nicht betroffen.

Wegen der beherrschenden Position sei das herrschende Unternehmen in der Lage den Wirtschaftsausschuss über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des kleineren, vollständig in seinem Eigentum stehenden Unternehmens zu unterrichten. Damit sei die wirtschaftliche Unterrichtung des Betriebsrats über beide Betriebe gewährleistet.

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der beherrschenden Klinik hatte das Verfahren nach § 240 Satz 1 ZPO (Zivilprozessordnung) unterbrochen. Es wurde jedoch mit dem entsprechenden Schreiben des Insolvenzverwalters aufgenommen. Den Streit um die Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs, sowie um die Unterrichtung des Betriebsrats betreffe die Insolvenzmasse. Nachdem die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse auf den Insolvenzverwalter übergegangen waren, sei dieser der einzige Ansprechpartner für den Betriebsrat. Das Begehren des Betriebsrats betreffe die Insolvenzmasse.

Der Insolvenzverwalter könne einem Unterrichtungs- und Vorlageanspruch grundsätzlich nachkommen. Die Rolle des Insolvenzverwalters als Auskunftsberechtigter und -verpflichteter bleibe trotz Übergang der Betriebsteile an das Universitätsklinikum weiter bestehen.

Die Pflicht zur Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses nach § 106 Absatz 2 Satz 1 sowie § 106 Absatz 3 Nr. 9a BetrVG obliege ausschließlich demjenigen Unternehmer, dessen Unternehmen im Rahmen einer Veräußerung der Gesellschaftsanteile durch einen Erwerber übernommen werden soll. Erwerber hingegen seien grundsätzlich nicht zur Information des dortigen Wirtschaftsausschusses verpflichtet.

Nach der Annahme des Insolvenzverfahrens habe der Insolvenzverwalter das Verfahren wirksam angenommen. Der Unterrichtungsanspruch sei mit Beginn des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit einzuordnen. Der Gemeinschaftsbetrieb sei durch seine Aufspaltung untergegangen. Der Betriebsrat könne sich aber auf ein Restmandat nach § 21b BetrVG berufen.

Der Feststellungsantrag des Betriebsrats sei mangels eines Feststellungsinteresses nach § 256 ZPO (Zivilprozessordnung) unzulässig. Dem Betriebsrat fehle das notwendige Feststellungsinteresse.

 Ein rechtliches Interesse an der gerichtlichen Feststellung der Unwirksamkeit des Spruchs einer Einigungsstelle bestehe nicht, wenn dieser ausschließlich einen in der Vergangenheit liegenden Vorgang regele und keinerlei Rechtswirkungen für die Zukunft habe. Es sei nicht Aufgabe des Gerichts einem Beteiligten zu bestätigen, dass er im Recht war oder eine Rechtsfrage gutachterlich zu klären.

Die von Betriebsrat begehrte Feststellung über die Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs könnte allenfalls aussprechen, dass seine damalige Rechtsauffassung in der Einigungsstelle zutreffend war. Der Betriebsrat bedürfe keiner zukunftsbezogenen gerichtlichen Entscheidung über die Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs, da der Gemeinschaftsbetrieb untergegangen sei und keine Arbeitnehmer mehr beschäftigt werden.

Der Betriebsrat könne mit seinem Restmandat sein Unterrichtungsbegehren gegenüber dem Insolvenzverwalter nicht weiter verfolgen. Das Restmandat sei kein Vollmandat. Es erstrecke sich auf die mit der Stilllegung ausgelösten Aufgaben des Betriebsrats. Für den verfolgten Unterrichtungsanspruch sei wegen der Veräußerung sämtlicher Betriebsteile und der damit einhergehenden Betriebsstilllegung kein Anspruch mehr gegeben.