Anrechnung einer Freistellung auf den Urlaubsanspruch
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.10.2020, Aktenzeichen 12 Sa 602/20
Arbeitsfreie Zeiten können nur dann auf den Urlaub angerechnet werden, falls vor dem Urlaubsbeginn eine unwiderrufliche Freistellungserklärung der Arbeitgeberin vorliegt.
Ein Bauleiter war seit Anfang Juli 2017 bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Aufgrund der Kündigung des Bauleiters endete das Arbeitsverhältnis Ende Juli 2018.
Im August 2018 klagte der Bauleiter vor dem Arbeitsgericht auf Urlaubsabgeltung für 8 Tage Urlaub aus dem Jahr 2017 und 23 Tage Urlaub aus dem Jahr 2018. Das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts vom 22. Mai 2019 gab der Klage statt.
Die Arbeitgeberin legte Einspruch gegen das Urteil ein. Der Urlaub sei vom Bauleiter bereits genommen worden. Vor seinem Baustelleneinsatz in München habe es ein Zeitfenster gegeben, zu dem der Bauleiter auf keiner anderen Baustelle eingesetzt werden konnte. Zwischen seinen Einsätzen auf den Baustellen München und Darmstadt hätten 3 Wochen gelegen. Mit dem damaligen Geschäftsführer habe es eine Einigung gegeben, dass der Bauleiter in diesem Zeitraum nicht zur Arbeit erscheinen brauche, sondern die Zeit zu Hause verbringen könne. Zwischen den Parteien habe Einigkeit darüber geherrscht, dass diese Abwesenheitszeiten mit dem Urlaubsanspruch zu verrechnen seien. Resturlaubsansprüche für das Jahr 2017 seien aufgrund arbeitsvertraglicher Regelungen spätestens zum 31. März 2018 verfallen.
Der Baustellenleiter argumentierte, er habe lediglich 3 Tage des ihm im Jahr 2018 zustehenden Urlaubs nehmen können. Er habe keine Möglichkeit erhalten, den Resturlaub aus dem Jahr 2017 zu nehmen. Deshalb könne dieser nach aktueller Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) auch nicht verfallen sein.
Mit Urteil vom 15. Januar 2020 hielt das Arbeitsgericht seine Verurteilung der Arbeitgeberin zur Urlaubsabgeltung aufrecht.
Ein Verfall von Urlaubsanspruch für das Jahr 2017 sei bereits deshalb nicht möglich, weil der Bauleiter darauf nicht verwiesen wurden. Die Arbeitgeberin habe auch nicht den Erfordernissen entsprochen eine tatsächliche Urlaubsnahme zu ermöglichen. Für das Jahr 2018 konnten lediglich die vom Bauleiter eingeräumten 3 Tage Urlaub als gewährt festgestellt werden.
Die Arbeitgeberin sei für die Erfüllung des Urlaubsanspruches Darlegungs- und beweispflichtig. Dazu habe sie nicht substanziiert vorgetragen, dass ihr damaliger Geschäftsführer mit dem Baustellenleiter vor seinem Einsatz in München sowie zwischen dem Einsatz in München und Darmstadt eine Urlaubsvereinbarung getroffen habe. Eine Beweisaufnahme darüber würde eine unerlaubte Ausforschung darstellen.
Gegen das Urteil legte die Arbeitgeberin im März 2020 Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Der Baustellenleiter habe nicht bestritten, dass es für ihn zu arbeitsfreien Zeiten gekommen sei. Das Arbeitsgericht hätte der Beweisaufnahme in Form einer Zeugenanhörung nachkommen müssen. Eine unzulässige Ausforschung wäre damit nicht verbunden. Ihr Vortrag dahingehend, dass die Abwesenheitszeit von fünf Wochen mit dem Urlaubsanspruch verrechnet würde, führe zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs des Bauleiters.
Das Landesarbeitsgericht entschied, die Berufung der Arbeitgeberin sei teilweise unzulässig, teilweise unbegründet.
Die Berufung gegen die Abgeltung von 6 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 sei unzulässig, da die Arbeitgeberin keinen erforderlichen Berufungsgrund vorgetragen habe. Sie habe dem Vortrag des Arbeitsgerichts, warum die Urlaubsansprüche für das Jahr 2017 nicht verfallen sind, nichts entgegnet.
Soweit sich die Berufung gegen die Verurteilung in die Abgeltung von 2 Tagen Urlaub für 2017 und 23 Tagen für 2018 richtet, sei sie zulässig aber unbegründet.
Das Arbeitsgericht habe zu Recht die überwiegende Aufrechterhaltung der Verurteilung in die Urlaubsabgeltung nebst Rechtshängigkeitszinsen ausgesprochen. Der Bauleiter könne von der Arbeitgeberin die ausgeurteilte Urlaubsabgeltung aus § 7 Absatz 4 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) beanspruchen.
Die Arbeitgeberin habe zwar ausreichend zu einer möglichen Einigung über die Anrechnung arbeitsfreier Zeit auf arbeitsvertraglichen Mehrurlaub vorgetragen. Diese wurde aber in der durchgeführten Beweiserhebung nicht bestätigt.
Eine Anrechnung von arbeitsfreien Zeiten als Urlaub sei nur dann möglich, wenn die Arbeitgeberin eine nach ihrem Umfang hinreichend bestimmte unwiderrufliche Freistellungserklärung vor Urlaubsbeginn abgibt. Die Freistellungserklärung sei nur dann geeignet, das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu bewirken, wenn der Arbeitnehmer erkennen muss, dass die Arbeitgeberin ihn zum Zwecke des selbstbestimmten Erholungsurlaubs von der Arbeitspflicht freistellen will.
Aus dem Vorbringen der Arbeitgeberin folge keine diesen Anforderungen genügende Freistellungserklärung. Der erstinstanzlich von der Arbeitgeberin gehaltene Vortrag könne dahin verstanden werden, dass die einschlägigen Erklärungen im Nachgang zu den arbeitsfreien Zeiten erfolgten. Es sei nicht ersichtlich, dass eine Freistellung im Vorhinein für einen feststehenden Zeitraum erklärt wurde.
Ein selbstbestimmter Erholungsurlaub setze voraus, dass der Arbeitnehmer erkennen könne für welchen Zeitraum er freigestellt ist. Notwendig für die Erfüllung des Urlaubsanspruchs ist, dass der Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht endgültig befreit wird. Eine unter dem Vorbehalt des Widerrufs stehende Befreiung erfülle den Urlaubsanspruch nicht.
Eine beginnende arbeitsfreie Zeit unbestimmter Länge die auf den Urlaubsanspruch angerechnet oder verrechnet werden soll, sei keine Urlaubsgewährung. Es fehle an der unwiderruflichen Freistellung, weil der Arbeitnehmer gerade nicht darauf vertrauen könne, dass der Urlaub nicht unvermittelt endet, etwa, wenn wieder Arbeitsaufgaben für ihn vorhanden sind. Dementsprechend könne eine Urlaubsgewährung auch nicht dadurch nachgeholt werden, dass die Arbeitgeberin im Nachgang zu einem arbeitsfreien Zeitraum diesen zu Erholungsurlaub erklärt.
Die von der Arbeitgeberin behauptete Einigung über die Verrechnung arbeitsfreier Zeiten mit dem Urlaubsanspruch weiche zu Ungunsten des Bauleiters von den gesetzlichen Vorgaben über die Urlaubsgewährung ab. Insbesondere im Hinblick auf den gesundheitsschützenden Zweck des gesetzlichen Erholungsurlaubs sei die Erfüllung des Urlaubsanspruches durch eine den Anforderungen hinsichtlich Zeitpunkt und Unwiderruflichkeit genügende Urlaubsgewährung Teil des gesetzlich gegen abweichende Vereinbarungen geschützten Minimums.
Die Unabdingbarkeit gemäß § 13 Absatz 1 BUrlG bleibe auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch beschränkt. Hinsichtlich der einzelvertraglich vereinbarten Mehrurlaubsansprüche seien die Arbeitsvertragsparteien nicht an das BUrlG gebunden.
Im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme könne nicht festgestellt werden, dass die Parteien eine entsprechende Vereinbarung geschlossen haben. Die Behauptung der Arbeitgeberin bezüglich einer Absprache über arbeitsfreie Zeiten vor dem Einsatz auf der Baustelle in München sei durch die Bekundungen des Zeugen nicht bestätigt worden. Dessen Bekundung, es habe im Zusammenhang mit der Beendigung der Tätigkeit des Bauleiters auf der Baustelle in München eine Absprache zwischen ihm und dem Bauleiter über den Abbau von Urlaub bzw. eine Urlaubsnahme gegeben, erlaube keine Überzeugungsbildung hinsichtlich der erforderlichen Einzelheiten. An die Dauer der Freistellungszeit hatte der Zeuge keine Erinnerung. Aus den Bekundungen zu einem Einsatzende spätestens im März und einem Beginn der Tätigkeit auf der Baustelle in Darmstadt im April/Mai ergebe sich kein bestimmter Freistellungszeitraum.
Im Ergebnis konnte das LAG vor dem Hintergrund des hinsichtlich vieler Einzelheiten vagen Tatsachenvorbringens der Arbeitgeberin nicht mit der gebotenen Gewissheit auf eine hinreichend bestimmte Einigung über die Anrechnung von Urlaubstagen auf den vertraglichen Mehrurlaub schließen.
Eine Revision zu dieser Entscheidung wurde nicht zugelassen.