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Sondervergütungen sind keine kündigungsrelevante wirtschaftliche Belastung

Berücksichtigung von Sondervergütung bei krankheitsbedingter Kündigung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.07.2021, Aktenzeichen 2 AZR 125/21

Leistungen, etwa in Form von Sondervergütungen, die die Arbeitgeberin zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt, stellen selbst dann keine kündigungsrelevante wirtschaftliche Belastung dar, wenn sie nicht allein für den Bestand des Arbeitsverhältnisses, sondern auch für eine Arbeitsleistung im Bezugszeitraum gezahlt werden.

Eine Mitarbeiterin, die einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist, war bei der Arbeitgeberin seit 1999 tätig. Ihre Arbeitsunfähigkeit summierte sich wie folgt auf die Arbeitsjahre verteilt: 2012 – 52 Arbeitstage, 2013 – 33 Arbeitstage, 2014 – 47 Arbeitstage, 2015 – durchgängig arbeitsunfähig erkrankt, 2016 – durchgängig arbeitsunfähig erkrankt, 2017 – 112 Arbeitstage, 2018 – bis zum 18. Juli durchgängig arbeitsunfähig erkrankt. Für die Ausfälle in den Jahren 2015, 2016 und 2018 bestand für die Arbeitgeberin keine Pflicht zur Entgeltfortzahlung. Die weiteren Fehlzeiten durch Arbeitsunfähigkeit wurden von der Arbeitgeberin getragen, mit Ausnahme von 3 Tagen im Jahr 2014 und 41 Tagen im Jahr 2017.

Im Jahr 2015 gewährte die Arbeitgeberin Zuschüsse zum Krankengeld und eine tarifliche Einmalzahlung, im Jahr 2016 den Bezug von Jubiläumsaktien. Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und Tankdeputat wurden in den Jahren 2015 bis 2017 gewährt. Für die Jahre 2015 und 2016 gewährte die Arbeitgeberin Bonuszahlungen. Die Zahlung der Krankengeldzuschüsse sowie des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes beruhte auf einer mit dem Betriebsrat vereinbarten Betriebsordnung, die Gewährung von Tankdeputat, Jubiläumsaktien und Bonus jeweils auf Vereinbarungen mit dem Gesamtbetriebsrat. In den Jahren 2012 bis 2017 bildete die Arbeitgeberin Rückstellungen, im Hinblick auf die der Mitarbeiterin zugesagten betrieblichen Altersversorgung.

Nach Anhörung der Schwerbehindertenvertretung und des Betriebsrats, sowie mit Zustimmung des Integrationsamtes kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis im Juli 2018 zum 28. Februar 2019. Begründet wurde die Kündigung mit wirtschaftlichen Belastungen im Zusammenhang mit der Arbeitsunfähigkeit der Mitarbeiterin.

Mit ihrer Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht wandte sich die Mitarbeiterin gegen die fristgemäße Kündigung und beantragte festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht zum Kündigungszeitpunkt beendet wird, sowie ihre Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Bedingungen über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht (LAG) gaben der Klage statt. Mit ihrer Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte die Arbeitgeberin weiterhin die Klageabweisung.

Das BAG entschied, die Revision der Arbeitgeberin sei unbegründet. Das LAG habe die Berufung zurecht zurückgewiesen.

Eine auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützte ordentliche Kündigung setze eine negative Gesundheitsprognose voraus. Es müssten zum Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die weitere Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Die prognostizierten Fehlzeiten seien nur geeignet eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führten. Sei dies der Fall, sei im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen von der Arbeitgeberin billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssten.

Demnach sei festzustellen, dass es zwar eine negative Gesundheitsprognose gab, die Arbeitgeberin habe jedoch keine erheblichen Beeinträchtigungen ihrer betrieblichen Interessen dargelegt. Die Arbeitgeberin habe nicht dargelegt, dass im Zeitpunkt der Kündigung eine krankheitsbedingte dauernde Leistungsunfähigkeit der Mitarbeiterin bestanden hätte oder in den nächsten 24 Monaten nicht mit der Genesung der Mitarbeiterin zu rechnen wäre.

Betriebsablaufstörungen infolge der krankheitsbedingten Ausfälle der Mitarbeiterin habe die Arbeitgeberin nicht hinreichend konkret vorgetragen. Erhebliche Beeinträchtigungen der wirtschaftlichen Interessen der Arbeitgeberin seien nicht vorgetragen und nicht erkennbar.

Für die Erstellung einer Prognose, mit welchen wirtschaftlichen Belastungen die Arbeitgeberin aufgrund künftiger krankheitsbedingter Ausfallzeiten der Arbeitnehmerin zu rechnen habe, sei vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls ein vergangenheitsbezogener Referenzzeitraum von drei Jahren maßgeblich. Wurde eine Arbeitnehmervertretung gebildet, sei auf die letzten drei Jahre vor Einleitung des Beteiligungsverfahrens abzustellen.

Eine Kündigung könne nur dann gerechtfertigt sein, wenn die Prognose eine erhebliche künftige Beeinträchtigung des Austauschverhältnisses ergibt. Die berechtigte Gleichwertigkeitserwartung der Arbeitgeberin muss in einem Maß unterschritten sein, dass es ihr unzumutbar ist, über die Dauer der Kündigungsfrist hinaus am unveränderten Arbeitsverhältnis festzuhalten.

Für die Beurteilung der zu erwartenden wirtschaftlichen Belastungen seien vor allem Entgeltfortzahlungskosten gemäß §§ 3, 4 EFZG (Entgeltfortzahlungsgesetz) im Referenzzeitraum zu beachten. Dieser Belastung könnte die Arbeitgeberin sich nicht durch abweichende Regelungen entziehen. Unter §§ 3, 4 EFZG fallen auch arbeitsleistungsbezogene Sondervergütungen mit reinem Entgeltcharakter.

Zuschüsse zum Krankengeld seien grundsätzlich nicht zulasten der Arbeitnehmerin zu berücksichtigen. Ihre Zahlung beruhe, anders als die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, nicht auf einer zwingenden gesetzlichen Verpflichtung. Mit der Zusage derartiger Zuschüsse übernehme die Arbeitgeberin vielmehr freiwillig ein der Arbeitnehmerin zugewiesenes Risiko. Der hierfür notwendige Bestand des Arbeitsverhältnisses bleibe von dem krankheitsbedingten Ausfall unberührt, die Arbeitgeberin erhalte gleichwohl die volle von ihr angestrebte Gegenleistung.

Leistungen, die die Arbeitgeberin zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt, stellten selbst dann keine kündigungsrelevante wirtschaftliche Belastung dar, wenn sie nicht allein für den Bestand des Arbeitsverhältnisses, sondern auch für eine Arbeitsleistung im Bezugszeitraum gezahlt werden.

Zwar führe die Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin insofern zu einer teilweisen Störung des Austauschverhältnisses, doch sei diesbezüglich durch § 4a EFZG eine abschließende Risikozuweisung erfolgt. Nach Satz 1 der Vorschrift sind Vereinbarungen über die Kürzung von Sondervergütungen auch für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zulässig. Nach Satz 2 darf die Kürzung für jeden Tag der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bis zu einem Viertel des Arbeitsentgelts betragen, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt. Mit einer entsprechenden Kürzung seien Störungen im Arbeitsleistungsanteil der Sondervergütung als behoben anzusehen. Fehle es an einer Kürzungsregelung, habe die Arbeitgeberin das Risiko der unverminderten Zahlung zu tragen.

Eine kündigungsrelevante wirtschaftliche Belastung der Arbeitgeberin liege, vorbehaltlich einer Interessenabwägung auf der dritten Stufe vor, wenn prognostisch die zulasten der Arbeitnehmerin zu berücksichtigenden Kosten jährlich insgesamt den Betrag übersteigen, der gemäß §§ 3, 4 EFZG als Entgeltfortzahlung für sechs Wochen geschuldet ist.

Nach diesen Grundsätzen sei eine erhebliche wirtschaftliche Belastung für die Arbeitgeberin durch künftig zu erwartende Krankheitszeiten der Mitarbeiterin zu verneinen.

Es sei nicht zwingend geboten, über den bis Mitte 2015 zurückreichenden Regelreferenzzeitraum, bzw. Anfang des Jahres 2015 hinauszugehen, weil die Mitarbeiterin in den Jahren 2012 bis 2014 jeweils mit Entgeltfortzahlung belastete Arbeitsunfähigkeitszeiten von mehr als sechs Wochen aufgewiesen habe. Ihre Beschäftigung in den letzten, für die zukunftsbezogene Prognose besonders aussagekräftigen drei bis dreieinhalb Jahren vor der Beteiligung der beiden Arbeitnehmervertretungen zu der streitbefangenen Kündigung seien geprägt von längeren, nicht mehr entgeltfortzahlungspflichtigen Arbeitsunfähigkeitszeiten. Lediglich für das Jahr 2017 seien zu Lasten der Mitarbeiterin auf einen Unfall basierende Entgeltfortzahlungskosten zu benennen, die für eine Prognose aber irrelevant seien.

Weitere Leistungen der Arbeitgeberin könnten für die Prognose nicht berücksichtigt werden.

Das Risiko, Krankengeldzuschüsse zahlen zu müssen, sei von der Arbeitgeberin in der Betriebsordnung freiwillig übernommen worden. Die Zuwendung sogenannter Jubiläumsaktien im Jahr 2016 erfolgte nach der entsprechenden Betriebsvereinbarung wegen der Zurücklegung einer bestimmten Dienstzeit.

Mit den Leistungen Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Tankdeputat sollte offenbar der Bestand eines nicht ruhenden Arbeitsverhältnisses honoriert werden, nicht aber zwangsläufig eine Arbeitsleistung im Bezugszeitraum. Deshalb sei durch die Arbeitsunfähigkeit der Mitarbeiterin überhaupt keine Störung im Austauschverhältnis eingetreten. Nach § 4a EFZG habe die Arbeitgeberin das Risiko zu tragen, diese Leistungen ungeachtet der ganzjährigen Arbeitsunfähigkeit der Mitarbeiterin erbringen zu müssen.

Die nach der zugrunde liegenden Betriebsvereinbarung vom Erreichen persönlicher Ziele und dem Unternehmenserfolg abhängigen Boni für die Jahre 2015 und 2016 dürften als arbeitsleistungsbezogene Sondervergütungen mit reinem Entgeltcharakter unter §§ 3, 4 EFZG gefallen und deshalb nicht für Zeiträume geschuldet gewesen sein, in denen kein Anspruch der Mitarbeiterin auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bestand. Andernfalls wirkten sie nach der Risikozuweisung des § 4a EFZG gleichermaßen nicht kündigungsbegründend.

Die tarifliche Einmalzahlung im Jahr 2015 dürfe ebenfalls kündigungsrechtlich nicht berücksichtigt werden, weil sie entweder für eine Zeit vor dem Referenzzeitraum oder als pauschalierte Nachzahlung laufenden Arbeitsentgelts für das Jahr 2015 und damit nach §§ 3, 4 EFZG ohne Rechtsgrund oder aber als eine von einer konkreten Gegenleistung unabhängige Sonderzahlung erbracht wurde.

Es bedürfe im Streitfall keiner Entscheidung, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Pensionsrückstellungen zulasten der Arbeitnehmerin zu berücksichtigen seien. Angesichts eines undifferenziert behaupteten Gesamtbetrags für den Zeitraum 2012 bis 2017 sei vorliegend schon eine Aufteilung auf die allein prognoserelevanten Jahre 2015 bis 2017 nicht möglich.

Der scheinbar zeitlich unbegrenzte Beschäftigungsantrag falle nicht zur Entscheidung an. Er sei mit dem Landesarbeitsgericht dahin auszulegen, dass die Mitarbeiterin nur ihre vorläufige Weiterbeschäftigung für die Dauer der Bestandsstreitigkeit begehrt. Diese sei mit dem vorliegenden Urteil rechtskräftig abgeschlossen.