Nichtigkeit einer Betriebsratswahl nur als besonderer Ausnahmefall
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 08.12.2021, Aktenzeichen 11 TaBVGa 09/21
Die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl ist nur in ganz besonderen Ausnahmefällen anzunehmen, wenn ein so eklatanter Verstoß gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl vorliegt, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht.
Der Geschäftsbereich Technik umfasste ca. 150 Arbeitnehmer an sieben Standorten. Mit dem Gesamtbetriebsrat hatte die Arbeitgeberin im Februar 2018 in einer Gesamtbetriebsvereinbarung übereinstimmend anerkannt, dass der Geschäftsbereich Technik einen selbstständigen bzw. eigenständigen Betriebsteil darstellt.
Nach dem Rücktritt eines Betriebsratsmitgliedes und dem Fehlen von Ersatzmitgliedern hat der Betriebsrat im Januar 2021 einen Mitarbeiter zum Wahlvorstand bestellt. Die Arbeitgeberin verlangte vom Wahlvorstand eine Erklärung, dass eine Betriebsratswahl nur für den Bereich Technik vorbereitet wird. Der Wahlvorstand erwiderte, es könne erst nach einer Schulung der Mitglieder und Ersatzmitglieder des Wahlvorstandes über das weitere Vorgehen entschieden werden, einschließlich der Feststellung des Betriebsbegriffs.
Im März 2021 beantragte die Arbeitgeberin beim Arbeitsgericht eine einstweilige Verfügung zur Untersagung der Einleitung einer gemeinsamen Betriebsratswahl für die Betriebstätten der 7 Standorte des Bereichs Technik. Das Arbeitsgericht wies den Antrag zurück. Ein Abbruch oder die vorläufige Aussetzung der Wahl scheidet aus, da die Verkennung des Betriebsbegriffs nicht zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führt. Aus § 49 BWahlG (Bundeswahlgesetz) lasse sich für Wahlrechtsangelegenheiten der Grundsatz herleiten, wonach kein gerichtlicher Rechtsschutz gegen interne Entscheidungen eines Wahlorgans verlangt werden kann.
Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts legte die Arbeitgeberin Beschwerde beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein.
Im August 2021 ging der Bereich Technik auf eine neue Arbeitgeberin über, welche den Bereich Technik in 4 Bereiche gliederte, die jeweils von einer Regionalleitung geführt wurden. Der Wahlvorstand erklärte sich mit dem Wechsel einverstanden. Die Eigenständigkeit der 4 Standorte wurde vom Arbeitsgericht in einem gesonderten Verfahren mit der Begründung bestätigt, dass die Leitung der Regionen durch die Regionalleiter in personellen und sozialen Angelegenheiten eigenständig wahrgenommen wird.
In ihrer vertiefenden Argumentation erklärte die Arbeitgeberin vor dem Landesarbeitsgericht, eine einheitliche Leitung aller Standorte sei wegen des Fehlens eines gemeinsamen Betriebs Technik nichtig, jedenfalls offensichtlich anfechtbar. Es sei der Arbeitgeberin nicht zuzumuten, die Kosten einer Betriebsratswahl zu tragen, die mit Sicherheit anfechtbar sei. Ein betriebsratsloser Zustand drohe nicht, da der gewählte Betriebsrat des Bereichs Technik die Geschäfte bis zur Neuwahl weiterführe.
Die Arbeitgeberin beantragte beim LAG, die Einleitung und Durchführung einer gemeinsamen Betriebsratswahl für die Betriebstätten der 7 Standorte zu untersagen.
Das Landesarbeitsgericht entschied, die Beschwerde der Arbeitgeberin ist nicht begründet, da ein hinreichender Verfügungsgrund weder dargetan noch glaubhaft gemacht wurde.
Ein Verfügungsgrund ist gegeben, wenn die objektiv begründete Besorgnis besteht, dass eine Veränderung eines bestehenden Zustandes unmittelbar droht und dadurch die Verwirklichung eines Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Der Gläubiger hat die Besorgnis darzulegen und die dazu behaupteten Tatsachen glaubhaft zu machen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.
Seit seiner Bestellung als Wahlvorstand, habe dieser lediglich Anfang Februar 2021 die Mitarbeiter über seine Bestellung informiert. Über einen Zeitraum von 10 Monaten habe er seither keinen Schritt zur Einleitung des Wahlverfahrens unternommen.
Er habe nicht einmal intern entschieden, ob überhaupt eine gemeinsame Wahl für die Standorte durchgeführt werden soll. Vielmehr hat er mit E-Mail vom Februar 2021 sinngemäß erklärt, dass er die für eine Entscheidung vorgelagerte Frage der Klärung des Betriebsbegriffs erst nach einer Schulung beantworten könne und um Kostenübernahme seitens der Arbeitgeberin gebeten. Weder hat diese Schulung stattgefunden noch hat die Arbeitgeberin ihre Bereitschaft zur Kostenübernahme erklärt.
Zu keinem Zeitpunkt hat der Wahlvorstand nach der betrieblichen Umstrukturierung geäußert, dass er trotz der veränderten Umstände auch nur in Erwägung ziehe, eine gemeinsame Wahl für sämtliche Standorte durchzuführen. Die noch nicht rechtskräftige Entscheidung des Arbeitsgerichts zur Betriebsbestimmung nach § 18 Absatz 2 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) hat er in keiner Weise in Frage gestellt. Vor diesem Hintergrund lässt sich aus objektiver Sicht eine Besorgnis der Rechtsgefährdung nicht rechtfertigen.
Dem Arbeitsgericht ist auch uneingeschränkt in der Begründung beizupflichten, wonach der Abbruch einer eingeleiteten Betriebsratswahl im Wege der einstweiligen Verfügung nicht in Betracht kommt, wenn aufgrund der Verkennung des Betriebsbegriffs eine solche Wahl lediglich anfechtbar ist.
Die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl ist nur in ganz besonderen Ausnahmefällen anzunehmen. Voraussetzung dafür ist ein so eklatanter Verstoß gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Wegen der weitreichenden Folgen einer von Anfang an unwirksamen Betriebsratswahl kann deren jederzeit feststellbare Nichtigkeit nur bei besonders gravierenden und krassen Wahlverstößen angenommen werden. Es muss sich um einen offensichtlichen und besonders groben Verstoß gegen die Wahlvorschriften handeln, so dass ein Vertrauensschutz in die Gültigkeit der Wahl zu versagen ist. Die Betriebsratswahl muss „den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn tragen“
Die Verkennung des Betriebsbegriffs hat in der Regel nicht die Nichtigkeit, sondern nur die Anfechtbarkeit der darauf beruhenden Betriebsratswahl zur Folge, es sei denn, sie wird entgegen einer bindenden gerichtlichen Entscheidung in einem Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG durchgeführt.
Gegen diese Entscheidung wurde kein Rechtsmittel zugelassen.