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Wann ist Gesamtbetriebsrat zuständig für Jahresprämie?

Jahresprämie – Zuständigkeit Gesamtbetriebsrat

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 09.11.2021, Aktenzeichen 1AZR 206/20

Für die Behandlung von Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können, ist der Gesamtbetriebsrat zuständig.

Die Mitarbeiter im Betrieb der Arbeitgeberin erhielten auf der Grundlage der Betriebsvereinbarung “Einkommen” eine vom operativen Ergebnis des Unternehmens abhängige Jahresprämie.

Ein Mitarbeiter beendete sein Arbeitsverhältnis aufgrund einer Eigenkündigung Ende November 2018. Die Arbeitgeberin gewährte ihm für das Geschäftsjahr 2018 keine Jahresprämie.

Vor dem Arbeitsgericht beantragte der Mitarbeiter, die Arbeitgeberin zur Zahlung einer anteiligen Jahresprämie für den Zeitraum Januar bis November 2018 in Abhängigkeit vom operativen Ergebnis 2018 zu verurteilen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht (LAG) wiesen die Klage ab. Mit seiner Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte der Mitarbeiter sein Klagebegehren weiter.

Das Bundesarbeitsgericht entschied, dem Mitarbeiter steht kein Anspruch auf Zahlung einer anteiligen Jahresprämie für das Geschäftsjahr 2018 zu.

Aus § 5 BV Einkommen ergibt sich kein Anspruch, da diese Norm unwirksam ist. Den örtlichen Betriebsräten fehlte zum Abschluss die erforderliche Regelungskompetenz. Zuständig ist der Gesamtbetriebsrat.

Betriebsräte verfügen grundsätzlich über eine umfassende Regelungskompetenz hinsichtlich aller betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen sowie des Inhalts, des Abschlusses und der Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Der jeweilige Regelungsgegenstand muss jedoch der sachlich-funktionellen Zuständigkeit der Betriebsräte unterliegen. Dies setzt voraus, dass der Regelungsgegenstand sich auf den Betrieb und auf die Interessen der vom Betriebsrat repräsentierten Arbeitnehmer bezieht.

Für die Behandlung von Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können, ist hingegen nach § 50 Absatz 1 Satz 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) der Gesamtbetriebsrat zuständig.

Die Betriebsparteien haben Vorgaben für die Ermittlung eines unternehmensweiten Gesamtbudgets vereinbart, welches von der Arbeitgeberin an alle im Unternehmen beschäftigten anspruchsberechtigten Arbeitnehmer, unter Berücksichtigung deren jeweiliger Bewertung, auszuschütten ist. Auch die Maßgaben für die erforderliche Mindestdotierung dieses Budgets und die Festlegungen zu seiner Begrenzung knüpfen an die im gesamten Unternehmen, und nicht an die in den einzelnen Betrieben beschäftigten Arbeitnehmer an. Eine betriebsbezogene Aufteilung ist hingegen nicht vorgesehen.

Für eine solche ausschließlich unternehmensbezogene Ausgestaltung der von der Arbeitgeberin an ihre Arbeitnehmer auszukehrenden Jahresprämie besitzen die örtlichen Betriebsräte keine Regelungskompetenz.

Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ist gegeben, wenn für die zu regelnden Angelegenheiten ein zwingendes Erfordernis für eine betriebsübergreifende Regelung besteht. Das gilt auch dann, wenn eine auf die einzelnen Betriebe beschränkte Regelung deshalb nicht möglich ist, weil die Arbeitgeberin den der Mitbestimmung unterfallenden Regelungsgegenstand mitbestimmungsfrei so vorgegeben hat, dass eine Regelung nur betriebsübergreifend erfolgen kann.

Da es sich bei der Jahresprämie um eine freiwillige Leistung der Arbeitgeberin handelt, kann sie ohne Zustimmung des Betriebsrats frei darüber befinden, ob überhaupt, in welcher Höhe und an welchen Empfängerkreis sie diese Leistung zu erbringen bereit ist. Damit steht es zugleich in ihrer Macht, die Ebene vorzugeben, auf der die Mitbestimmung bei der Verteilung der Leistung zu erfolgen hat.

Gewährt die Arbeitgeberin die Jahresprämie nur einheitlich allen Mitarbeitern im Unternehmen, ist für den Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung daher der Gesamtbetriebsrat zuständig.

Der Arbeitgeberin ist es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben auch unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens nicht verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit von § 5 BV Einkommen zu berufen. Ein widersprüchliches Verhalten der Arbeitgeberin liegt bereits deshalb nicht vor, weil ihr die Unwirksamkeit der Norm bei ihrem Vollzug nicht bekannt war. Der bloße Umstand, dass der Mitarbeiter ebenfalls keine Zweifel an der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung hatte, bewirkt nicht, dass dieser aus Gründen des Vertrauensschutzes normative Rechtswirkung zukommen könnte.

Der Umstand, dass die Arbeitgeberin in der Vergangenheit Jahresprämien gewährt hat, lässt nicht den Schluss darauf zu, dass sie sich unabhängig von der Wirksamkeit des § 5 BV Einkommen zu deren Zahlung verpflichten wollte.

Auch der bloße Umstand, dass die Arbeitgeberin ihr „Bonusprogramm“ intern „beworben“ hat, deutet nicht auf einen von der Geltung des § 5 BV Einkommen losgelösten Rechtsbindungswillen hin. Vielmehr lassen die von der Arbeitgeberin geschlossenen Arbeitsverträge erkennen, dass sie gerade nicht willens war, sich ungeachtet einer normativen Regelung vertraglich zur Zahlung einer Jahresprämie zu verpflichten. Denn die vertragliche Klausel bezieht sich für weitere Einzelheiten ausdrücklich auf die „jeweils gültigen Betriebsvereinbarungen“.

Der Mitarbeiter kann einen Anspruch auf Zahlung einer Jahresprämie auch nicht auf § 3 seines Arbeitsvertrags stützen. Dieser enthält keine abschließenden Vorgaben für deren Zahlung.

Der Verweis auf die “jeweils gültigen Betriebsvereinbarungen” besagt lediglich, dass die nach § 77 Absatz 4 Satz 1 BetrVG unmittelbar und zwingend geltenden Betriebsvereinbarungen auch für das Arbeitsverhältnis des Mitarbeiters gelten.

Ein Anspruch aus betrieblicher Übung besteht ebenfalls nicht.

Ein Anspruch aus betrieblicher Übung entsteht nicht, wenn eine andere kollektiv- oder individualrechtliche Anspruchsgrundlage für die Gewährung der Vergünstigung besteht oder sich die Arbeitgeberin irrtümlich zur Leistungserbringung verpflichtet glaubte. Hat die Arbeitgeberin die Leistungen für den Arbeitnehmer erkennbar aufgrund einer anderen und sei es auch tatsächlich nicht bestehenden Rechtspflicht erbringen wollen, kann der Arbeitnehmer nicht davon ausgehen, ihm solle eine Leistung auf Dauer unabhängig von dieser Rechtspflicht gewährt werden.

Danach scheidet eine betriebliche Übung aus.