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Zustimmungspflichtige Versetzung bei der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs

Zustimmungspflichtige Versetzung – Verlagerung Beschäftigungsort

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.11.2021, Aktenzeichen 7 ABR 18/20

Eine zustimmungspflichtige Versetzung bei der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs liegt vor, wenn die Dauer von voraussichtlich einem Monat überschritten wird oder mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist.

Die im Rahmen von Interessenausgleich und Sozialplan festgelegte Maßnahme “Zukunft Innendienst” beinhaltete den Umzug von 59 Mitarbeitern innerhalb des Stadtgebiets von Berlin an einen anderen Standort. Die Entfernung zwischen den Standorten beträgt mit dem Kfz 12,1 km, die Fahrzeit zwischen den Standorten mit öffentlichen Verkehrsmitteln mindestens 46 Minuten. Die Arbeitgeberin setzte die vorgesehene Maßnahme um, ohne den Betriebsrat zuvor nach § 99 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) beteiligt zu haben.

Art der Tätigkeit, die funktionalen Beziehungen der betroffenen Arbeitnehmer untereinander, die Einordnung in die Arbeitsabläufe und die Zuständigkeiten von Vorgesetzten änderten sich nicht.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Umsetzungen der betroffenen Arbeitnehmer seien nach § 101 BetrVG aufzuheben, da es sich bei ihnen schon aufgrund des Wechsels des Arbeitsorts um Versetzungen handele, die die Arbeitgeberin ohne seine Zustimmung nach § 99 Absatz 1 BetrVG vorgenommen habe.

Bei den drei von dem Umzug betroffenen Teams aus dem Bereich Disposition handele es sich nicht um einen Betriebsteil, sondern allenfalls um eine Betriebsabteilung. Eine stadtbezirksübergreifende Umsetzung über zwölf Kilometer sei jedenfalls aufgrund der für die Arbeitnehmer verbundenen Nachteile als Versetzung anzusehen. Zudem sei die Veränderung der räumlichen Unterbringung der Arbeitnehmer in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen.

Der Betriebsrat beantragte beim Arbeitsgericht, die Arbeitgeberin zu verurteilen, die Versetzung der betroffenen Arbeitnehmer aufzuheben. Hilfsweise sei festzustellen, dass die Versetzungen mitbestimmungspflichtig sind.

Das Arbeitsgericht wies die Anträge des Betriebsrats ab. Das Landesarbeitsgericht wies die gegen das Urteil des Arbeitsgerichts gerichtete Beschwerde zurück.

Mit seiner Rechtsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte der Betriebsrat sein Begehren weiter.

Das BAG entschied, die Arbeitgeberin ist nicht verpflichtet, die Umsetzungen der betroffenen Arbeitnehmer nach § 101 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) aufzuheben. Die Zustimmung des Betriebsrats war nicht erforderlich. Die Verlagerung der Arbeitsplätze zwischen den Standorten in Berlin stellt keine Versetzung der betroffenen Arbeitnehmer im Sinne von § 99 Absatz 1 Satz 1 und § 95 Absatz 3 BetrVG dar.

Eine zustimmungspflichtige Versetzung bei der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs liegt vor, wenn die Dauer von voraussichtlich einem Monat überschritten wird oder mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist.

In der Zuweisung eines anderen Arbeitsorts kann, je nach Einzelfallumständen, auch bei gleichbleibender Tätigkeit eine Versetzung im Sinne von § 95 Absatz 3 Satz 1 BetrVG liegen.

Hingegen handelt es sich nicht um Versetzungen der betroffenen einzelnen Arbeitnehmer, wenn betriebliche Einheiten am Sitz des Betriebs um wenige Kilometer innerhalb einer politischen Gemeinde insgesamt verlagert werden, ohne dass sich am konkreten Arbeitsplatz der Arbeitnehmer und seiner Beziehung zur betrieblichen Umgebung sonst etwas ändert. Dies beruht auf der Annahme, dass in einem solchen Fall bereits nach dem allgemeinen Sprachgebrauch kein „anderer“ Dienst- oder Arbeitsort zugewiesen wird, da der Betriebssitz als typischer Dienst- oder Arbeitsort in der Regel die politische Gemeinde ist.

Es geht nicht wie sonst bei personellen Einzelmaßnahmen um eine vom Betriebsrat zu kontrollierende Auswahl zwischen verschiedenen in Betracht kommenden Arbeitnehmern. Vielmehr sind von der Verlagerung sämtliche Arbeitnehmer der betrieblichen Einheit betroffen.

Wird allerdings nicht der gesamte Betrieb oder ein räumlich gesonderter Betriebsteil insgesamt verlagert, sondern eine Betriebsabteilung aus einem Betrieb ausgelagert, so verändert sich für deren Arbeitnehmer das betriebliche Umfeld.

Den betroffenen Arbeitnehmern ist mit dem Umzug kein anderer Arbeitsbereich zugewiesen worden. Die Dispositionsteams sind mit sämtlichen Arbeitnehmern an den neuen Standort umgezogen. Die funktionalen Beziehungen der Arbeitnehmer untereinander, die Art ihrer Tätigkeit, die Einordnung in die Arbeitsabläufe des Betriebs und die Zuständigkeiten von Vorgesetzten der betroffenen Arbeitnehmer haben sich nicht geändert.

Der Arbeitsort der betroffenen Arbeitnehmer hat sich nicht verändert. Dieser ist nach wie vor Berlin, selbst wenn Berlin als stadtstaatliche Einheitsgemeinde eine Verwaltungsgliederung in zwölf Bezirke aufweist und die einzelnen Berliner Bezirke ihrer Fläche und Einwohnerzahl nach mit anderen politischen (Flächen-)Gemeinden vergleichbar sind.

Für die Frage, ob eine Veränderung der Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs eintritt, spielt die Reichweite der Verlagerung bei Umzügen betrieblicher Einheiten innerhalb einer Gemeinde ohne sonstige Änderungen der betrieblichen Strukturen jedenfalls keine ausschlaggebende Rolle.

Zwar vermag sich eine Standortverlagerung auch innerhalb einer politischen Gemeinde nicht unerheblich auf die Wegezeiten der betroffenen Arbeitnehmer auszuwirken. Die Veränderung eines solchen außerbetrieblichen Umstandes ist aber für den Arbeitsbereich der Arbeitnehmer – im Sinn ihrer Aufgaben, Verantwortung, der Art ihrer Tätigkeit und ihrer Einordnung in den Arbeitsablauf – nicht relevant.

Im Übrigen hat eine betriebliche Standortverlagerung für die betroffenen Arbeitnehmer aufgrund der unterschiedlichen Wohnorte individuell unterschiedliche Auswirkungen. Ebenso ist die Entfernung zwischen dem vormaligen und dem neuen betrieblichen Standort für die Wege der betroffenen Arbeitnehmer zur und von der Arbeit nicht von Belang, da sich diese allein wohnortabhängig bestimmen. Daraus ggf. für die betroffenen Arbeitnehmer resultierende wirtschaftliche Nachteile können unter den Voraussetzungen des § 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG durch einen Sozialplan auszugleichen oder abzumildern sein.

Infolge eines ausgebauten öffentlichen Nahverkehrs in einer Großstadt wie Berlin halten sich die tatsächlichen Auswirkungen der Standortverlagerung für die Arbeitnehmer in geringerem Rahmen als ggf. in anderen Flächengemeinden mit anderen infrastrukturellen Bedingungen. Der Arbeitsort im Sinne des Betriebssitzes ist nach dem allgemeinen Sprachgebrauch einer bestimmten politischen Gemeinde zugeordnet und im Übrigen liegen seiner Verlegung innerhalb einer Gemeinde jedenfalls typischerweise keine signifikanten Entfernungen zugrunde.

Entscheidend ist hier, dass eine zusammenhängende Einheit, unabhängig von ihrer betriebsverfassungsorganisatorischen Einordnung, vollständig und ohne Änderungen der konkreten Arbeitsplätze und ihrer Beziehung zur betrieblichen Umgebung räumlich verlagert wird. Sämtliche Arbeitnehmer wurden ohne Änderung der funktionalen Beziehungen, Zuständigkeiten von Vorgesetzten und der betroffenen Arbeitnehmer untereinander umgesetzt.

Für diejenigen Arbeitnehmer, die bereits am bisherigen Standort in einem Großraumbüro ihre Tätigkeit verrichteten – nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts etwa die Hälfte – haben sich insoweit die Umstände nicht geändert. Aber auch für die Beschäftigten, die zuvor in mehreren kleineren Büros arbeiteten, liegt keine erhebliche Änderung ihrer Arbeitsumstände vor. Sie haben weiterhin und wie bisher einen Arbeitsplatz in einem Büro, das nunmehr lediglich für eine größere Anzahl von Personen vorgehalten ist.

Es ist im Streitfall nicht ersichtlich, dass sich dadurch die Tätigkeit der betroffenen Arbeitnehmer so verändert hat, dass sie am neuen Standort vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters nunmehr als eine „andere“ anzusehen ist.