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Betriebsrat hat Mitbestimmungsrecht bei Eingruppierungen

Mitbestimmung bei Eingruppierung

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 03.11.2022, Aktenzeichen 7 TaBV 17/20

Das Beteiligungsrecht des Betriebsrats an der Eingruppierung dient der einheitlichen und gleichmäßigen Anwendung der Vergütungsordnung in gleichen und vergleichbaren Fällen. Es bewirkt innerbetriebliche Lohngerechtigkeit und Transparenz der im Betrieb vorgenommenen Eingruppierungen.

Arbeitgeberin und Betriebsrat befanden sich in einem Einigungsstellenverfahren, zu dessen Gegenstand auch die Schaffung eines außertariflichen Vergütungssystems zählte.

Im Oktober 2019 bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat um Zustimmung zur befristeten Einstellung einer Mitarbeiterin. Der Betriebsrat stimmte der Einstellung unter der Bedingung zu, dass das außertarifliche Gehalt tatsächlich mi einem entsprechenden Abstand oberhalb der Tarifgruppen liegt.

Da ihm die Höhe des Gehaltes nicht mitgeteilt wurde, könne der Betriebsrat nicht überprüfen, ob die Eingruppierung korrekt durchgeführt wurde. Sollte dies nicht der Fall sein, widerspricht der Betriebsrat der Eingruppierung.

Am 29. Oktober stellte der Betriebsrat fest, er sei unzureichend über das außertarifliche Gehalt der Mitarbeiterin informiert worden, mit der Konsequenz, dass die Frist gemäß § 99 Absatz 3 Satz 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) nicht in Gang gesetzt wurde.

Der Betriebsrat fragte die Arbeitgeberin erneut, ob das außertarifliche Gehalt eine bestimmte Schwelle überschreitet. Ohne konkrete Antwort müsse der Betriebsrat davon ausgehen, dass eine Eingruppierung als AT-Mitarbeiterin fehlerhaft ist. Die Mitarbeiterin sei vielmehr in die Vergütungsgruppe E13 des im Unternehmen angewandten Tarifvertrages einzugruppieren.

Die Arbeitgeberin verwies auf das laufende Einigungsstellenverfahren, in dem es unter anderem um die Frage eines etwaigen Mindestabstandes zwischen der Entgeltgruppe E 13 und einem AT-Mitarbeiter geht.

Trotz der verweigerten Zustimmung des Betriebsrats wurde die Mitarbeiterin befristet bis zum 31. Dezember 2020 eingestellt.

Im Dezember 2020 begehrte die Arbeitgeberin beim Arbeitsgericht die Feststellung, dass mangels eines bestehenden Vergütungssystems im AT-Bereich eine Zustimmung des Betriebsrats nicht erforderlich war, hilfsweise, dass die Zustimmung des Betriebsrats zur Einstufung der Mitarbeiterin in den AT-Bereich als erteilt gilt, höchst hilfsweise die Ersetzung der verweigerten Zustimmung zur Eingruppierung.

Im Oktober 2020 stimmte der Betriebsrat der Verlängerung der Befristung des Arbeitsverhältnisses der Mitarbeiterin um weitere 6 Monate bis Ende Juni 2021 zu.

Nach einer weiteren Anhörung des Betriebsrats stimmte dieser mit E-Mail vom 31. März 2021 der unbefristeten Beschäftigung der Mitarbeiterin zu und teilte mit, er halte allerdings an seinem Widerspruch gegen die Eingruppierung der Mitarbeiterin auf AT (außertariflich) fest.

Die Arbeitgeberin argumentierte vor dem Arbeitsgericht, bei ihr bestehe kein Vergütungssystem, in welches die außertariflichen Angestellten eingruppiert würden. Ebenso existierten keinerlei Vorgaben, wonach das Entgelt im AT-Bereich einen bestimmten Mindestwert erreichen müsse, was dann gegebenenfalls vom Betriebsrat überprüft werden könnte.

Die dem Betriebsrat erteilte Information, dass die Mitarbeiterin in den AT-Bereich eingeordnet werde, sei somit ausreichend und abschließend gewesen. Angaben zum Inhalt des Arbeitsvertrages oder zur Höhe des Entgelts seien nicht notwendig. Der Betriebsrat sei somit ordnungsgemäß und vollständig informiert worden und die Frist des § 99 Absatz 3 BetrVG habe zu laufen begonnen.

Der Tarifvertrag sehe gerade nicht vor, dass ihrerseits Informationen zur Höhe des Entgelts geliefert werden müssten.

Der Betriebsrat war der Ansicht, er sei sowohl nach § 1 BMTV Chemische Industrie (West) in Verbindung mit § 99 Absatz 1 BetrVG als auch unmittelbar aus § 99 Absatz 1 BetrVG bei der Eingruppierung der verfahrensgegenständlichen AT-Beschäftigten zu beteiligen. Das Bestehen eines eigenen Vergütungssystems für die AT-Beschäftigten sei nicht erforderlich.

Bislang habe die Arbeitgeberin ihn nicht ordnungsgemäß unterrichtet, so dass kein Raum für eine Zustimmungsfiktion sei. Die Arbeitgeberin habe keine Tatsachen vorgetragen, sondern schlicht ihre Wertung “AT”. Man habe ihm weder eine Tätigkeitsbeschreibung vorgelegt noch erläutert, warum die Tätigkeit der verfahrensgegenständlichen Beschäftigten höhere Anforderungen stelle als die höchste tarifliche Beschäftigungsgruppe. Ebenso wenig habe sie ihm das Entgelt und die allgemeinen Arbeitsbedingungen mitgeteilt. Schließlich habe sie auch nicht den Einzelvertrag vorgelegt, mit dem die Beschäftigte aus dem Geltungsbereich des Tarifvertrags herausgenommen worden sei. Es sei zudem noch nicht einmal behauptet worden, dass es einen solchen Einzelvertrag gebe.

Insbesondere habe die Arbeitgeberin inzwischen lediglich das Bruttojahresfestgehalt mitgeteilt, nicht jedoch konkrete und bezifferte weitere Gehaltsbestandteile, wie zum Beispiel die betriebliche Altersversorgung, den geldwerten Vorteil des Autos oder sonstige mögliche vertragliche Zusagen mit Entgeltcharakter.

Das Arbeitsgericht stellte fest, die Zustimmung des Betriebsrats zur außertariflichen Einstufung gilt als erteilt. Der Betriebsrat, dem das Anhörungsschreiben am 7. Oktober 2019 zugegangen sei, habe erst unter dem 16. Oktober 2019 (versehentlich bezeichnet als 16.09.2019) durch seinen Vorsitzenden erklärt, der Eingruppierung zu widersprechen.

Der Fristablauf sei nicht etwa deshalb unschädlich, weil die Wochenfrist des § 99 Absatz 3 BetrVG mangels hinreichender Unterrichtung des Betriebsrats nicht in Gang gesetzt worden wäre. Der Betriebsrat habe nicht innerhalb der Wochenfrist auf ihm fehlende Informationen hingewiesen.

Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts legte der Betriebsrat Beschwerde beim Landesarbeitsgericht ein.

Die Frist des § 99 Absatz 3 Satz 1 BetrVG werde grundsätzlich auch dann nicht in Lauf gesetzt, wenn es der Betriebsrat unterlasse, die Arbeitgeberin auf die offenkundig unvollständige Unterrichtung hinzuweisen. Das gelte auch, wenn der Betriebsrat zum Zustimmungsersuchen in der Sache Stellung nehme und seine Zustimmung mit Bezug auf Gründe nach § 99 Absatz 2 BetrVG verweigere.

Das Arbeitsgericht habe hier das vom Bundesarbeitsgericht aufgestellte Regel-Ausnahme-Verhältnis verkannt und vom Betriebsrat eine weitere Geltendmachung von Informationen verlangt, obwohl die Unterrichtung mit Anhörungsschreiben vom 7. Oktober 2019 ersichtlich unvollständig und damit mangelhaft gewesen sei.

Der Betriebsrat müsse anhand von Tatsachen selbst beurteilen können, ob die vorgesehene Tätigkeit höhere Anforderungen stelle als die höchste tarifliche Beschäftigungsgruppe und ob das Entgelt und die allgemeinen Arbeitsbedingungen des einzugruppierenden Beschäftigten im Ganzen gesehen die tariflichen Mindestbedingungen überschritten.

Gerade angesichts der Tatsache, dass die Betriebsparteien bereits seit Ende 2018 über die Einführung einer AT-Vergütungsstruktur verhandelten und diese Verhandlungen im Mai 2019 von seiner Seite für gescheitert erklärt und die Einigungsstelle angerufen worden sei, sei nicht im Ansatz ersichtlich, warum die Arbeitgeberin davon habe ausgehen dürfen, er sei mit der schlichten Angabe “AT” in dem Anhörungsschreiben vollständig unterrichtet.

Das Landesarbeitsgericht entschied, für die Zeit ab dem 1. Januar 2021 bzw. ab dem 1. Juli 2021 ist nicht von einer Zustimmung des Betriebsrats zu einer Einstufung der Mitarbeiterin als AT auszugehen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann die Arbeitgeberin, jedenfalls dann, wenn sie bereits um die Zustimmung des Betriebsrats ersucht hat und im Fall der verweigerten Zustimmung ein gerichtliches Zustimmungsersetzungsverfahren eingeleitet hat, hinsichtlich der Eingruppierung bei der Aufeinanderfolge von zwei Arbeitsverhältnissen bei unveränderter Tätigkeit kein weiteres Zustimmungsverfahren nach § 99 Absatz 1 BetrVG in Gang setzen.

Der Gegenstand des bereits eingeleiteten gerichtlichen Verfahrens auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats ist, ob die beabsichtigte Eingruppierung aufgrund eines an den Betriebsrat gerichteten Zustimmungsersuchens gegenwärtig und zukünftig zutreffend ist.

Der Betriebsrat hat seine Zustimmungsverweigerung zur außertariflichen Einstufung nicht widerrufen.

Auch durch die Zustimmung zur unbefristeten Einstellung der Mitarbeiterin vom März 2021 hat der Betriebsrat nicht deren Eingruppierung zugestimmt. Der Betriebsrat teilte vielmehr ausdrücklich mit, er halte an seinem Widerspruch gegen die Eingruppierung der Mitarbeiterin auf AT fest.

Die Anträge der Arbeitgeberin sind unbegründet. Auf die Beschwerde des Betriebsrats war der Beschluss des Arbeitsgerichts abzuändern, die Anträge waren insgesamt abzuweisen.

Die Arbeitgeberin hat den Betriebsrat unzureichend unterrichtet. Die Zustimmung des Betriebsrats zur Einstufung der Mitarbeiterin in den AT-Bereich gilt vorliegend nicht als erteilt. Die Arbeitgeberin musste die Mitarbeiterin eingruppieren und dabei den Betriebsrat beteiligen (§ 99 Absatz 1 BetrVG).

Die Arbeitgeberin ist tarifgebunden. Sie wendet den zwischen dem Bundesarbeitgeberverband Chemie e. V. und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie geschlossenen Manteltarifvertrag im Betrieb an.

Die Beteiligung des Betriebsrats an der Eingruppierung, das heißt der Zuordnung der von der Arbeitnehmerin vertragsgemäß auszuübenden Tätigkeiten zu einer bestimmten Entgeltgruppe der maßgebenden Vergütungsordnung, soll sicherstellen, dass die oft schwierige Prüfung, welcher Entgeltgruppe die Tätigkeit des Arbeitnehmers entspricht, möglichst zutreffende Ergebnisse erzielt. Das Beteiligungsrecht des Betriebsrats dient der einheitlichen und gleichmäßigen Anwendung der Vergütungsordnung in gleichen und vergleichbaren Fällen. Es bewirkt innerbetriebliche Lohngerechtigkeit und Transparenz der im Betrieb vorgenommenen Eingruppierungen.

Danach stellt die Entscheidung darüber, ob das Aufgabengebiet der Mitarbeiterin höhere Anforderungen stellt als die höchste tarifliche Beschäftigungsgruppe verlangt und deren Entgelt und allgemeine Arbeitsbedingungen im Ganzen gesehen die tariflichen Mindestbestimmungen überschreiten, eine mitbestimmungspflichtige Eingruppierungsentscheidung dar. Das Mitbestimmungsrecht entfällt nicht deshalb, weil die Arbeitgeberin bei ihrer Prüfung zu dem Ergebnis gelangt ist, dass solche Umstände vorliegen.

Der mitbestimmungspflichtige Eingruppierungsvorgang im Sinne des § 99 Absatz 1 BetrVG ist die Prüfung der maßgebenden Entgeltgruppe ohne Rücksicht auf das Prüfungsergebnis. Nur diese Auslegung entspricht dem Zweck des Mitbestimmungsrechts als Mitbeurteilungsrecht. Es soll die Beteiligung des Betriebsrats bei der Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Vergütungsordnung sichern.

Die Beurteilung der Arbeitgeberin, die Tätigkeit der Arbeitnehmerin übersteige die Merkmale der obersten tariflichen Vergütungsgruppe und sei daher dem außertariflichen Bereich zuzuordnen, ist ebenfalls eine Eingruppierung im Sinn von § 99 Absatz 1 Satz 1 BetrVG. Die Arbeitgeberin hat gemäß § 99 Absatz 4 BetrVG dazu die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung (etwa mit der Begründung, dass das Aufgabengebiet geringere Anforderungen stellt oder dass das Entgelt und die allgemeinen Arbeitsbedingungen im Ganzen gesehen die tariflichen Mindestbestimmungen überschreiten), so hat die Arbeitgeberin ein entsprechendes Ersetzungsverfahren durchzuführen. In diesem ist die Richtigkeit der Beurteilung zu überprüfen.

Die Frist des § 99 Absatz 3 Satz 1 BetrVG ist durch die Arbeitgeberin nicht in Lauf gesetzt worden. Die Arbeitgeberin hat den Betriebsrat nicht im erforderlichen Umfang gemäß § 99 Absatz 3 Satz 1 BetrVG über die beabsichtigte Maßnahme unterrichtet. Nur die ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats durch die Arbeitgeberin setzt die Frist für die Zustimmungsverweigerung in Lauf. Dazu hat die Arbeitgeberin den Betriebsrat über die beabsichtigte personelle Einzelmaßnahme unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen ausreichend zu unterrichten.

Die Frist des § 99 Absatz 3 Satz 1 BetrVG wird grundsätzlich auch dann nicht in Lauf gesetzt, wenn der Betriebsrat es unterlässt, die Arbeitgeberin auf die offenkundige Unvollständigkeit der Unterrichtung hinzuweisen. Das gilt auch, wenn der Betriebsrat zum Zustimmungsersuchen in der Sache Stellung nimmt und seine Zustimmung mit Bezug auf Gründe nach § 99 Absatz 2 BetrVG verweigert.

Der Betriebsrat muss aufgrund der Angaben der Arbeitgeberin prüfen können, ob zum einen das Aufgabengebiet der Mitarbeiterin höhere Anforderungen stellt als die höchste tarifliche Beschäftigungsgruppe verlangt und zum anderen, ob deren Entgelt und allgemeine Arbeitsbedingungen im Ganzen gesehen die tariflichen Mindestbestimmungen überschreiten.

Danach waren die Angaben der Arbeitgeberin im Schreiben vom 7. Oktober 2019 erkennbar unzureichend. Das Schreiben enthält keinerlei Angaben dazu, ob das zu vereinbarende Entgelt und die zu vereinbarenden allgemeinen Arbeitsbedingungen im Ganzen gesehen die tariflichen Mindestbestimmungen überschreiten. Das Schreiben gibt zu dem Punkt “Tarifgruppe” lediglich an: “AT”. Diese Angabe allein ermöglicht dem Betriebsrat keine Überprüfung, ob die tariflichen Mindestbedingungen erfüllt sind.

In Anbetracht dieses Schreibens konnte die Arbeitgeberin nicht davon ausgehen, dass die schlichte Angabe “AT” zur Unterrichtung des Betriebsrats ausreichen würde. Durch den Hinweis auf einen zukünftigen Widerspruch bei Eingruppierungen hat der Betriebsrat durch seinen Vorsitzenden die Relevanz der Angaben zur zu vereinbarenden Vergütung deutlich gemacht. Dies gilt auch dann, wenn in der Vergangenheit weitere Anlagen und Unterlagen vom Betriebsrat nicht gefordert worden wären. Der Betriebsrat bat ausdrücklich um eine entsprechende Angabe bei zukünftigen Anhörungen.

Durch die E-Mail vom 22. Oktober 2019 hat die Arbeitgeberin die fehlenden Informationen nicht in ausreichendem Umfang ergänzt. Sie hat dem Betriebsrat lediglich mitgeteilt, das Gehalt sei “höher als E13”, das Gehalt entspreche “dem Gehaltsniveau der Regional Medical Advisor, die wir zum 01.01.2019 im Bereich F. R. eingestellt haben”. Auch diese Angaben ermöglichten dem Betriebsrat keine Mitbeurteilung, ob die Mitarbeiterin dem AT-Bereich zuzuordnen ist. Insbesondere lässt sich der Angabe “Gehalt höher als E13” nicht entnehmen, wie die Arbeitgeberin dies unter Einbeziehung welcher tariflichen Leistungen berechnet hat.

Die Zustimmung des Betriebsrats zur Einstufung der Mitarbeiterin in den AT-Bereich kann nicht nach § 99 Absatz 4 BetrVG ersetzt werden. Voraussetzung für die gerichtliche Zustimmungsersetzung nach § 99 Absatz 4 BetrVG ist eine ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats durch die Arbeitgeberin. Nur diese setzt die Frist für die Zustimmungsverweigerung in Lauf. An dieser ordnungsgemäßen Unterrichtung fehlt es wie dargelegt.

Eine Rechtsbeschwerde zu diesem Urteil wurde nicht zugelassen.