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Zulässige Verfahrensart – Streitgegenstand – Vergütung eines Betriebsratsmitglieds – Urteilsverfahren

Zulässige Verfahrensart bei Streit über die Vergütung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Beschluss vom 06.11.2023, Aktenzeichen 2 Ta 218/23

Das LAG Niedersachsen hat mit Beschluss vom 06.11.2023 zum

Aktenzeichen 2 Ta 218/23 die Beschwerde eines freigestellten Betriebsratsmitglieds gegen den Beschluss des zunächst im Wege des Beschlussverfahrens angerufenen, örtlich zuständigen Arbeitsgerichts zurückgewiesen. 

Das Betriebsratsmitglied wurde vom Arbeitgeber auf Grund einer neuen Entscheidung des Bundesgerichtshofs um zwei Entgeltstufen des hauseigenen Tarifvertrages zurückgestuft. Insoweit sah sich das Betriebsratsmitglied in seiner Amtstätigkeit in Sinne des § 78 Satz 2 BetrVG benachteiligt. 

Das freigestellte Betriebsratsmitglied stellte konkret folgende Anträge beim Arbeitsgericht: 

  1. der Beteiligten zu 2. aufzugeben, es zu unterlassen, den Beteiligten zu 1. dadurch iSd. § 78 S. 2 BetrVG zu benachteiligen, dass die Beteiligte zu 2.

    a) den Beteiligten zu 1. nach Rückgruppierung seit dem 01. Februar 2023 nach ES 10 und nicht weiterhin  mindestens nach ES 12 vergütet,

    b) zur Ermittlung des Lohnausfalls des Beteiligten zu 1. eine Vergleichsgruppe aus Montagewerkern und nicht Qualitätsregelkreiswerkern mit Linienspringertätigkeit („Flexi G. M.“) die stellvertretende Teamsprecher und Meistervertreter waren und zu Grunde legt, 

    c) dem Beteiligten zu 1. keine Schichtvergütung zahlt, die auf Basis seiner Vergleichsgruppe ermittelt wird,    sowie

    d) die hypothetische Dauermehrarbeit von 4,5 St./Woche sowie die unregelmäßige hypothetische Mehrarbeit des Beteiligten zu 1. nicht auf Basis der Vergleichsgruppe des Beteiligten zu 1., sondern pauschal über den Betrieb ermittelt und vergütet und

    e) hierbei nicht die realen Abwesenheitszeiten (Urlaub und Krankheit) des Beteiligten zu 1., sondern die Abwesenheitszeiten aller Personen der Beschäftigtengruppe Leistungslohn (LL) kumulativ zu Grunde legt.
  2. der Beteiligten zu 2. für jeden Monat der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtungen nach Ziff. 1  a) – e) ein Ordnungsgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, anzudrohen. 
  3. die Beteiligte zu 2. zum Ersatz des Schadens aus der Verletzung des § 78 S. 2 BetrVG zu verpflichten an den Beteiligten zu 1. für die Monate Februar 2023 bis Mai 2023 jeweils 463,00 EUR brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. März 2023 auf 463,00 EUR, seit dem 01. April 2023 auf 463,00 EUR, seit dem 01. Mai 2023 auf 463,00 EUR und seit dem 01. Juni 2023 auf 463,00 EUR zu zahlen. 
  4. die Beteiligte zu 2. zum Ersatz des Schadens aus der Verletzung des § 78 S. 2 BetrVG zu verpflichten an den Beteiligten zu 1. für den Monat Mai 2023 1.620,96 EUR netto zzgl. Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Juni 2023 zu zahlen. 
  5. der Beteiligten zu 2. aufzugeben, dem Beteiligten zu 1. monatlich Auskunft über die Berechnung seiner hypothetischen Mehrarbeit und seiner Schichtvergütung unter Mitteilung des konkreten Rechenwegs zu erteilen.
  6. der Beteiligten zu 2. zum Ersatz des Schadens aus der Verletzung des § 78 S. 2 BetrVG aufzugeben, die Vergütung des Beteiligten zu 1. für die Monate Oktober 2022 bis Mai 2023 sowie die hypothetische Mehrarbeit des Beteiligten zu 1. für die Monate November 2021 bis Mai 2023 benachteiligungsfrei zu ermitteln, Abrechnungen in Textform hierüber zu erteilen und sich hieraus ergebende Guthaben – unter Abzug der bereits abgerechneten und bezahlten Vergütung – zu zahlen. 

Das zurückweisende Arbeitsgericht erachtete es als unzulässig, die genannten Ansprüche im Wege des Beschlussverfahrens geltend zu machen und verwies das antragsstellende Betriebsratsmitglied in das Urteilsverfahren als zulässige Verfahrensart. 

Hiergegen hat das antragstellende Betriebsratsmitglied Beschwerde eingelegt mit der Argumentation, dass seine Ansprüche (Unterlassung von Benachteiligung, Schadenersatz wegen Benachteiligungsverbots, regelmäßige Auskunft zur Prüfung, ob weiterhin gegen das Benachteiligungsverbot ihm gegenüber verstoßen werde) aus seiner Amtstätigkeit und einer entsprechenden Benachteiligung im Sinne des § 78 Satz 2 in seiner Amtstätigkeit herrühren und es sich nicht um reine Individualansprüche handle, so dass aus seiner Sicht das Beschlussverfahren vorliegend die richtige Verfahrensart sei. Es wäre darüber hinaus unschädlich, dass auch andere Anspruchsgrundlagen in Betracht kommen. Zudem sei nicht vom Gericht der Streitgegenstand vorzugeben, sondern vom Antragsteller. 

Dieser Argumentation vermochte sich die 2. Kammer des LAG Niedersachsen ebenfalls nicht anzuschließen und wies die sofortige Beschwerde des Betriebsratsmitglieds als unbegründet zurück. 

Anhand der Grundsätze, wonach die Art und Weise, wie ein Rechtsstreit vor den Arbeitsgerichten entschieden wird, sich nach den §§ 2 und 2a des ArbGG richtet und Arbeitssachen gemäß § 2 ArbGG im Urteilsverfahren (§ 2 Abs. 5 ArbGG) und die in § 2a ArbGG genannten Arbeitssachen im Beschlussverfahren (§2a Abs. 2 ArbGG) zu entscheiden sind, und hierfür maßgebend der zugrunde liegende Streitgegenstand ist, kam auch das LAG Niedersachsen im vorliegenden Fall zu dem Schluss, dass das Urteilsverfahren die richtige Verfahrensart sei. Es sah es nicht als gegeben an, dass der geltend gemachte Anspruch bzw. die begehrte Feststellung ihre Rechtsgrundlage in einem betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis der Beteiligten hat. Auch im Hinblick auf den im Zivil- und Arbeitsgerichtsprozess einschließlich des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens geltenden sogenannten zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff, wonach der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den konkret gestellten Klageantrag und den ihm zugrundeliegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt wird, sah das LAG Niedersachsen vorrangig eine individualrechtliche und damit im Urteilsverfahren zu entscheidende Angelegenheit. Die Frage, nach welcher Entgeltstufe das freigestellte Betriebsratsmitglied ohne Befreiung von der Arbeitsleistung wegen seines Betriebsratsamtes zu vergüten wäre, ist der inhaltliche Kern im vorliegenden Verfahren.

Das Betriebsratsmitglied sieht sich aufgrund der Rückgruppierung vordergründig in seinen Rechten nach § 78 Satz 2 BetrVG verletzt und wegen seiner Betriebsratstätigkeit benachteiligt. Dies stellt aus Sicht des LAG Niedersachsen eine Wertung dar, verändert den zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex aber nicht. Der Tatsachenvortrag des Betriebsratsmitglieds ließ zudem den Schluss zu, dass sowohl kollektivrechtliche als auch individualrechtliche Anspruchsgrundlagen in Betracht kommen. Das LAG sieht es ebenfalls nicht als gegeben an, dass der Streitgegenstand durch den Antragsteller zu bestimmen ist und er das Prüfprogramm des Gerichts in Bezug auf die richtige Verfahrensart auf die kollektivrechtlichen Anspruchsgrundlagen begrenzen kann. Wenn nämlich das Gericht gemäß § 308 Abs. 1 ZPO verpflichtet wäre, den Sachverhalt nur unter diesen Anspruchsgrundlagen zu prüfen, würde der Streitgegenstand auch nur teilweise in Rechtskraft erwachsen, nämlich hinsichtlich der Anspruchsgrundlagen, über die bereits entschieden wurde. Der Antragsteller könnte sein Begehren mit den noch nicht rechtskräftigen Anspruchsgrundlagen in einem weiteren Urteilsverfahren verfolgen, selbst wenn es nur um bestehende Konkurrenz zwischen den Anspruchsgrundlagen geht. Das LAG sieht eine Vermeidung dieser Konsequenz als geboten. 

Für das Gericht macht der vom freigestellten Betriebsratsmitglied ausdrücklich (nur) aus § 78 Satz 2 BetrVG abgeleitete betriebsverfassungsrechtliche Leistungs- und Schadenersatzanspruch die Angelegenheit nicht bereits automatisch zu einer betriebsverfassungsrechtlichen.  Das LAG Niedersachsen beruft sich auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 12.06.2018 zu 9 AZB 9/18. Demnach sind Verfahren, die den Anspruch eines Betriebsratsmitgliedes auf Zahlung von  Arbeitsentgelt für die durch Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben ausgefallene berufliche Tätigkeit (§ 37 Abs. 2 BetrVG) oder einen Vergütungsanspruch eines gemäß § 38 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitglieds zum Gegenstand haben, bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG und gehören nicht zu den “Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz” gemäß § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG. 

Da es dem Betriebsratsmitglied konkret um die Zahlung von Arbeitsentgelt geht, ist zunächst zu prüfen, welcher Entgeltstufe der Antragsteller nach § 37 Abs. 2 BetrVG in Verbindung mit § 611a Abs. 2 BGB ohne seine Freistellung zuzuordnen wäre. Abhängig vom Ergebnis dieser Prüfung kann oder muss dann geprüft werden, ob sich Ansprüche des Antragstellers auch aus einer Verletzung des Benachteiligungsverbots nach § 78 Satz 2 BetrVG ergeben. Die vom Antragsteller vorgebrachte Anspruchsgrundlage basierend auf § 78 Satz 2 BetrVG ist ein sekundärer Anspruch, der auch für die Bestimmung der richtigen Verfahrensart nur sekundär heranzuziehen ist. Diese Bewertung betrifft nach Ansicht des LAG Niedersachsen alle vom antragstellenden Betriebsratsmitglied geltend gemachten Ansprüche. Alle betreffen den Bereich der Arbeitsvergütung und sind erkennbar nur als Unterstützungsanträge dazu dienlich, dass das Betriebsratsmitglied an die aus dessen Sicht zutreffende Arbeitsvergütung gelangt. 

Allerdings hat das LAG Niedersachsen in diesem Fall die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil die Entscheidung der 2. Kammer vom 06.11.2023 in Divergenz zu der Entscheidung der Kammer 3 des LAG Niedersachsen vom 07.11.2017 zum Aktenzeichen 3 Ta 166/17 steht.