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Bundesarbeitsgericht bestätigt: Anspruch auf Zeitgutschrift für Umkleidezeiten im Rettungsdienst auch bei Krankheit und Urlaub

Bundesarbeitsgericht (5. Senat), Urteil vom 14.05.2025, Aktenzeichen 5 AZR    215/24


Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Mai 2025 (Az. 5 AZR 215/24) behandelt die Frage, ob die tarifvertraglich geregelten Umkleidezeiten im Rettungsdienst nicht nur bei tatsächlicher Arbeitsleistung, sondern auch bei Abwesenheit wegen Krankheit und Urlaub auf dem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben sind.

Hintergrund des Verfahrens:

  • Der Kläger ist als Rettungssanitäter beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK) beschäftigt und muss bei seiner Tätigkeit im Betrieb Schutzkleidung tragen.
  • Der Manteltarifvertrag (MTV) sieht vor, dass für die Zeit des An- und Ablegens der Schutzkleidung eine Pauschale von 12 Minuten pro geleisteter Schicht als Zeitgutschrift gewährt wird (§ 23 Abs. 2 MTV).
  • Die Beklagte schrieb diese Gutschrift jedoch nur bei tatsächlicher Arbeit gut, nicht während Urlaub oder Krankheitszeiten.
  • Der Streitpunkt: Ob die Zeitgutschrift auch für Abwesenheitszeiten (Krankheit/Urlaub) auf das Arbeitszeitkonto zu übernehmen ist.

Gang der Instanzen:

  • Das Arbeitsgericht Nürnberg wies die Klagen zunächst ab. Das Landesarbeitsgericht gab der Leistungsklage teilweise statt: Der Kläger erhält 10,4 Stunden Zeitgutschrift für abwesende Schichten durch Krankheit (5,8 Std.) und Urlaub (4,6 Std.).
  • Die Beklagte legte Revision gegen dieses Urteil ein, blieb damit jedoch erfolglos.

Rechtliche Würdigung des BAG: 

Anforderungen an die Arbeitszeitgutschrift

  • Nach dem MTV wird die geschuldete Arbeitszeit durch Arbeit und Abwesenheit, die der Arbeit gleichsteht (z.B. Krankheit, Urlaub), erbracht und auf dem Arbeitszeitkonto dokumentiert (§ 9, § 11 MTV).
  • Die Gutschrift für Umkleidezeit ist eine besondere Form vergütungspflichtiger Arbeit und muss bei der Berechnung des Sollarbeitszeitkontos auch bei Abwesenheit berücksichtigt werden.
  • Ein abweichender Ausschluss oder eine andere Bemessungsgrundlage für die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall ist im MTV nicht eindeutig geregelt.

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaubsentgelt

  • Der Arbeitnehmer hat im Krankheitsfall Anspruch auf das Entgelt, das er bei tatsächlicher Arbeitsleistung erhalten hätte (§ 3 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 EFZG; § 16 Abs. 1 und 2 MTV).
  • Die Zeitgutschriften auf dem Arbeitszeitkonto gelten als Teil des Entgelts und sind mithin auch während Krankheit und Urlaub zu gewähren.
  • Für die Urlaubsvergütung sind alle „stetigen Vergütungsbestandteile“ zu berücksichtigen, einschließlich der Umkleidezeiten (§ 18 Abs. 1 und 2 MTV, § 1 BUrlG).
  • Die BAG verweist auch auf unionsrechtliche Vorgaben, nach denen der Urlaubslohn „wertgleich“ mit dem Entgelt während der Arbeitszeit sein muss (EuGH, Rs. C-514/20).

       Ausschlussfrist und materielle Rechtskraft

  • Die Ausschlussfristen des MTV (§ 28) standen einer Gutschrift in diesem Fall nicht entgegen, da die Beklagte dies nicht explizit geltend gemacht und die tatsächliche Feststellung des LAG keine Anhaltspunkte für einen Fristverfall ergab.
  • Die rechtskräftige Abweisung der Feststellungsklage hatte keine Auswirkung auf die Leistungsklage für bereits entstandene Ansprüche.
  • Der Arbeitnehmer hat im Krankheitsfall Anspruch auf das Entgelt, das er bei tatsächlicher Arbeitsleistung erhalten hätte (§ 3 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 EFZG; § 16 Abs. 1 und 2 MTV).
  • Die Zeitgutschriften auf dem Arbeitszeitkonto gelten als Teil des Entgelts und sind mithin auch während Krankheit und Urlaub zu gewähren.
  • Für die Urlaubsvergütung sind alle „stetigen Vergütungsbestandteile“ zu berücksichtigen, einschließlich der Umkleidezeiten (§ 18 Abs. 1 und 2 MTV, § 1 BUrlG).
  • Die BAG verweist auch auf unionsrechtliche Vorgaben, nach denen der Urlaubslohn „wertgleich“ mit dem Entgelt während der Arbeitszeit sein muss (EuGH, Rs. C-514/20).

Ausschlussfrist und materielle Rechtskraft

  • Die Ausschlussfristen des MTV (§ 28) standen einer Gutschrift in diesem Fall nicht entgegen, da die Beklagte dies nicht explizit geltend gemacht und die tatsächliche Feststellung des LAG keine Anhaltspunkte für einen Fristverfall ergab.
  • Die rechtskräftige Abweisung der Feststellungsklage hatte keine Auswirkung auf die Leistungsklage für bereits entstandene Ansprüche.

Auswirkungen des Urteils: 

  • Die Praxis der beklagten Arbeitgeberin, Umkleidezeiten nur bei tatsächlicher Tätigkeit, nicht aber bei Abwesenheit durch Krankheit oder Urlaub anzurechnen, ist nicht mit dem MTV und den gesetzlichen Vorgaben vereinbar.
  • Rettungsdienstmitarbeiter erhalten auch für die durch Krankheit oder Urlaub nicht geleisteten Schichten die pauschale Zeitgutschrift laut MTV auf ihr Arbeitszeitkonto.
  • Das BAG bestätigt damit die Gleichwertigkeit der Entgeltfortzahlung für Umkleidezeiten wie für andere Lohnbestandteile und stellt damit Arbeitszeit und Vergütung für Pflichtumkleiden im Rettungsdienst rechtlich klar.

Fazit:

Das Urteil des BAG verpflichtet Arbeitgeber im Rettungsdienst, Umkleidezeiten als zu vergütenden Bestandteil auch für Schichten im Fall von Krankheit oder Urlaub auf das Arbeitszeitkonto gutzuschreiben. Die tarifvertragliche Regelung des Bayerischen Roten Kreuzes in Verbindung mit den gesetzlichen Bestimmungen zur Entgeltfortzahlung und Urlaubsvergütung stellen sicher, dass Arbeitnehmer nicht schlechter gestellt werden, wenn Schichten z.B. krankheitsbedingt oder im Urlaub ausfallen. Das Urteil hat Signalwirkung für tariflich geregelte Fälle mit ähnlichen Sachverhalten.