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Regelung zur Nutzung des Dienstfahrzeuges nach dem Ende der Lohnfortzahlung bei anhaltender Krankheit

Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 16.05.2025, Aktenzeichen 10 SLa 1164/24

Leitsätze:

1. Die Überlassung eines Firmenwagens auch zur privaten Nutzung stellt einen geldwerten Vorteil sowie Sachbezug dar und ist damit Teil der Arbeitsvergütung. Die Gebrauchsüberlassung ist regelmäßig zusätzliche Gegenleistung für die geschuldete Arbeitsleistung. Damit ist sie nur so lange geschuldet, wie der Arbeitgeber überhaupt Arbeitsentgelt leisten muss. Sie entfällt grundsätzlich, wenn der sechswöchige Entgeltfortzahlungszeitraum nach § 3 Abs. 1 EFZG ausläuft.

2. Eine Klausel in allgemeinen Vertragsbedingungen, wonach der Arbeitnehmer nach Ablauf des sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums berechtigt ist, das Dienstfahrzeug weiter zu nutzen, dafür aber verpflichtet ist, im Innenverhältnis zum Arbeitgeber die Leasingkosten zu tragen, benachteiligt den Arbeitnehmer nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen.

3. Der Arbeitgeber kann über § 812 Abs. 1 BGB keine Rückabwicklung eines Zeitraums verlangen, die im Widerspruch zu den Wertungen des AGB-Rechts steht.

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hessen, 10. Kammer, behandelt die Frage, unter welchen Bedingungen Arbeitnehmer nach Ablauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlung ihren Dienstwagen weiter privat nutzen dürfen und ob sie in diesem Fall zur Tragung der Leasingkosten verpflichtet sind. Im Zentrum steht die Kontrolle der einschlägigen Vertragsklauseln nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) (§§ 305 ff. BGB) in Verbindung mit den Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG).

Der Entscheidung liegt ein Streit zwischen einem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber, einem großen Beratungsunternehmen (ca. 2.300 Beschäftigte), zugrunde. Nachdem der Kläger länger erkrankt war und die Entgeltfortzahlung endete, verlangte sein Arbeitgeber die Erstattung der Leasingraten für den weiterhin genutzten Dienstwagen.

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hatte der Klage des Arbeitnehmers in erster Instanz stattgegeben. Es sah die Vertragsklauseln als unklar an und deshalb keine Pflicht des Klägers zur Kostenübernahme.

Das LAG Hessen bestätigte dieses Urteil und wies die Berufung der Arbeitgeberin zurück. Die Revision wurde nicht zugelassen. Das LAG hält die Vertragsklauseln für unwirksam, weil sie gegen das AGB-Recht (§ 307 BGB) verstoßen.

Sachverhalt:

Der Kläger war seit 2006 bei der Beklagten beschäftigt und nutzte aufgrund eines Dienstwagenüberlassungsvertrages vom 8. März 2022 einen BMW X3 auch privat. Die Arbeitgeberin übernahm die Leasingkosten. Nach der Erkrankung des Klägers ab dem 26. Juni 2023 endete die Entgeltfortzahlung am 6. August 2023, doch der Kläger behielt das Fahrzeug weiter.

Die Beklagte verlangte im April 2024 die Erstattung mehrerer Leasingraten (insgesamt über 8.000 Euro) und stützte sich auf Ziffer 8.2 der internen „Dienstwagen-Policy“, wonach Mitarbeitende bestimmter Gruppen (A und B) bei längerer Krankheit die Leasingkosten selbst tragen müssen.

Der Kläger weigerte sich und verwies auf Ziffer 7.2 des Überlassungsvertrags, die ihm auch nach sechs Wochen Krankheit ein fortbestehendes Nutzungsrecht einräumte, ohne eine Kostenpflicht zu erwähnen.

Das Arbeitsgericht gab der negativen Feststellungsklage statt. Die Beklagte legte Berufung ein und argumentierte, die Privatnutzung des Firmenwagens sei ein geldwerter Vorteil, der mit Ablauf der Entgeltfortzahlung entfällt; bei fortgesetzter Nutzung müsse der Arbeitnehmer folglich die Leasingkosten übernehmen.

Entscheidungsgründe des LAG Hessen: 

Das Gericht bejahte die Zulässigkeit der negativen Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO. Der Kläger habe ein berechtigtes Interesse, da der Arbeitgeber die Rückzahlung der Leasingraten forderte und somit ein streitiges Rechtsverhältnis bestand.

Die Klage ist begründet; der Beklagten steht kein Anspruch auf Erstattung der Leasingraten zu.

a) Keine Anspruchsgrundlage aus Ziffer 8.2 der Dienstwagen-Policy

•   Die vom Arbeitgeber einseitig erlassene Dienstwagenrichtlinie ist AGB (§ 305 BGB).

•   Die Klausel verstößt gegen § 307 Abs. 1 BGB, da sie den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt.

•   Eine Pflicht zur Zahlung von Leasingraten nach Ende der Entgeltfortzahlung führt zu einer untypischen Risikoverlagerung: Der Arbeitnehmer trägt dann wirtschaftlich die Investitionsentscheidung des Arbeitgebers.

•   Nach ständiger Rechtsprechung (BAG, 9 AZR 631/09 und 9 AZR 574/02) gilt: Der geldwerte Vorteil „Dienstwagen zur privaten Nutzung“ ist nur solange geschuldet, wie Arbeitsentgelt gezahlt werden muss (§ 3 Abs. 1 EFZG). Danach entfällt der Anspruch und damit auch die Nutzungserlaubnis.

Die Klausel kehrt dieses Prinzip um und verpflichtet den Arbeitnehmer, nach Entgeltende Kosten zu tragen, ohne ein Wahlrecht zu haben – ein Wertungswiderspruch zum Schutzgedanken des Arbeitsrechts.

b) Intransparenz wegen Widerspruchs zu Ziffer 7.2 des Überlassungsvertrags

•   Ziffer 7.2 des Überlassungsvertrags lässt die Nutzung über sechs Wochen Krankheit hinaus ausdrücklich zu – ohne Kostenpflicht.

•   In Kombination mit der Policy-Klausel (Ziffer 8.2) entsteht Widerspruch und Unklarheit.

•   Nach der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB geht dies zu Lasten des Verwenders, also des Arbeitgebers.

•   Für den verständigen Arbeitnehmer lässt sich aus dem Gesamtzusammenhang kein klares Bild seiner Pflichten ableiten.

c) Keine Anspruchsgrundlage aus Schadensersatzrecht (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB)

•   Selbst wenn der Kläger zur Rückgabe verpflichtet gewesen wäre, träfe ihn nur geringes Mitverschulden (§ 254 BGB), da die Arbeitgeberin die Rückgabe organisatorisch hätte verlangen müssen.

•   Die Arbeitgeberin trage die Verantwortung für ihr Dienstwagenmanagement.

d) Kein Bereicherungsanspruch (§ 812 Abs. 1 BGB)

•   Zwar erhielt der Kläger einen wirtschaftlichen Vorteil (Nutzung), jedoch nicht ohne Rechtsgrund, weil die Klauseln unklar formuliert und vom Arbeitgeber zu vertreten sind.

•   Eine AGB-rechtswidrige Regelung kann nicht über das Bereicherungsrecht rückgängig gemacht werden.

Kernaussagen des Urteils:

1.  Dienstwagen als Vergütungsteil:
Die private Nutzung eines Dienstwagens ist ein geldwerter Vorteil und daher Bestandteil des Arbeitsentgelts. Sie entfällt nach Ablauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlung (§ 3 Abs. 1 EFZG).

2.  AGB-Kontrolle von Dienstwagenrichtlinien:
Arbeitgeberinterne Policys sind regelmäßig AGB, unterliegen also Transparenz- und Angemessenheitskontrolle (§§ 305 ff. BGB).

3.  Intransparente Klauseln sind unwirksam:
Widersprüchliche Regelungen in Dienstwagenverträgen und -richtlinien führen zur Unwirksamkeit der belastenderen Klausel (§ 305c Abs. 2 BGB).

4.  Keine Kostenüberwälzung nach Krankheit:
Eine automatische Pflicht zur Übernahme von Leasingraten durch erkrankte Arbeitnehmer ist rechtswidrig, da sie das Insolvenzo-, Investitions- und Betriebsrisiko unzulässig auf Arbeitnehmer verlagert.

5.  Verantwortung des Arbeitgebers:
Der Arbeitgeber muss beim Wegfall der Nutzungsvoraussetzungen (z. B. Krankheitsende der Entgeltfortzahlung) aktiv Rückgabe anfordern, statt stillschweigend Kostenansprüche zu erheben.

Bedeutung für die Praxis:

Das Urteil stärkt die Position von Arbeitnehmern im Umgang mit Dienstwagenregelungen.

Arbeitgeber müssen darauf achten, dass Klauseln über Leasingkosten, Rückgabepflichten und Nutzungsmöglichkeiten klar, transparent und ausgewogen formuliert sind.

Automatische Pflichten zur Kostenübernahme nach Ende der Entgeltfortzahlung sind unzulässig.

Betriebliche Richtlinien ohne Beteiligung des Betriebsrats oder unklare Verknüpfung zu individuellen Verträgen bergen erhöhte AGB-Risiken. Arbeitnehmer können sich erfolgreich darauf berufen, dass bei Unklarheiten die für sie günstigere Auslegung gilt (§ 305c Abs. 2 BGB).

Fazit:

Das LAG Hessen stellt klar, dass Arbeitsverträge und Dienstwagenrichtlinien klare Abgrenzungen zwischen Vergütungsbestandteilen und Nutzungspflichten enthalten müssen.

Unklare, widersprüchliche oder belastende Regelungen zulasten von Arbeitnehmern halten der gerichtlichen AGB-Kontrolle nicht stand.